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Was macht Arbeit wertvoll? Welchen Gerechtigkeitsbegriff haben Politiker, wo gibt es Alternativen?

Die Verteilung und der Stellenwert von Arbeit – genauer: der „Erwerbsarbeit“ – in unserer Gesellschaft ist immer schon wichtiges Thema in der Arbeit des Sozialwerks im evangelischen Stadtkirchenverband Köln gewesen. Doch heute, vor den Diskussionen um unsere Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, ist es brisanter denn je. Sozialwerks-Leiter, Pfarrer Uwe Becker, hat schon lange vor der bitteren Erkenntnis gewarnt, die „Arbeitslosengeld II“ und die Umsetzung von „Hartz IV“ für uns alle bereit halten werden – jene bitteren Erkenntnisse, die sich jetzt unter anderem durch die Montagsdemonstrationen allerorten Öffentlichkeit verschaffen.

Der Gerechtigkeitsbegriff unserer Sozialpolitik
So hat Becker beispielsweise im Juni 2004 anläßlich eines Expertengesprächs in Erfurt zum Thema „Zukunft der Arbeit“ im Kontext der Hartz-Gesetzgebung anhand der Thesen des ehemaligen SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz über den Gerechtigkeitsbegriff unserer Sozialpolitik referiert. An der Argumentation von Scholz kritisiert Becker vor allem, dass sie „Ursachenanalyse und Lösungsstrategie so modifiziert, dass sie der Politik wieder die Reputation einer Gestaltungsmacht eröffnen“ könne. Dabei bediente sich Scholz – wie natürlich andere Politiker auch – immer wieder gut klingender Thesen: Die Erwerbsarbeit vermittle Menschen Lebenssinn, verhelfe zu Respekt und Selbstrespekt,  „zugespitzt ausgedrückt: Der Wert der Arbeit ist so hoch, dass er die Entwertung sonstiger Lebenszusammenhänge rechtfertigt!“

„Würde der Arbeit“? Schon lang kein Thema mehr
Man denke nur an die Diskussion um die „angemessenen Mieten“ – dies war schon lange im  Gesetzesentwurf für Hartz IV, Absatz 13 nachzulesen. Bezogen auf die Zumutbarkeit von Arbeit heißt es da:  Die „bisherigen Qualifikationen des Arbeitslosen, die Entfernung zur neuen Arbeitsstelle oder ungünstige Arbeitsbedingungen sind unerheblich“ – Becker zitiert dies mit einem dicken Ausrufezeichen. Folgerichtig kritisiert er: „Als unerheblich oder auch als wertlos gelten also, angesichts der Möglichkeit, irgendeine Arbeit aufnehmen zu können, die Qualifikation, die ein Mensch unter Einsatz von Zeit und vielfach verbunden mit persönlicher Identifikation erworben hat, ebenso wie die sozial-räumlichen Beziehungen, die das Leben zentral prägen, wie auch die Bedingungen von Arbeit – Entgelt, Arbeitszeit, Betriebsklima -, also auch Aspekte, die in dieser Republik vor einigen Jahren noch unter dem Stichwort ‚Würde der Arbeit‘ diskutiert wurden!“

Arbeitsaufnahme = soziale Gerechtigkeit? Eine paradoxe Gleichung
Und wo bleibt da die viel beschworene Gerechtigkeit? Nach vielen schönen Worten bleibt am Ende die lapidare Tatsache, dass von jedem Arbeitssuchenden nur eines erwartet wird: eine große „Anstrengung zur Arbeitsaufnahme“. Erst dadurch vollziehe sich die versprochene Gerechtigkeit – „unabhängig von Art, Inhalt und Bezahlung der Erwerbsarbeit“. Damit ist für Becker der beschriebene Gerechtigkeitsanspruch „inhaltlich entleert und für die Legitimation eines unabweisbaren Zwangs zu jedweder Arbeitsaufnahme instrumentalisiert“ worden.

Und noch ein Aspekt darf nicht vergessen werden: Selbst wenn man Arbeit als „Medium sozialer Gerechtigkeit“ akzeptiert, schafft sie noch lange keine Gerechtigkeit im Sinne der Existenzsicherung: „Erst die effektive Höhe des Einkommen entscheidet darüber, ob diese Erwerbsarbeit wirklich Existenz sichernd ist oder nicht, eine Frage, die sich durch die gegenwärtig favorisierte Einrichtung eines Niedriglohnsektors zukünftig immer mehr stellen wird.“

Wir brauchen ein anderes Verständnis von „Arbeit“
Diese Fragen werden mittlerweile ja fast alle diskutiert. Aber da ist noch etwas anderes. Becker nennt dies den „Reflexionsstopp“, einen Mangel an Analyse- und Diskursbereitschaft: Denn allein, dass Menschen Geld verdienen, reicht eben nicht aus, um wirklich von „sozialer Gerechtigkeit“ sprechen zu können: Was wir völlig aus dem Auge zu verlieren drohen, ist, dass „es durchaus eine ganze Reihe von gesellschaftlich sinnvollen und für das Gemeinwohl nützliche Tätigkeiten gibt, die all das leisten, was Erwerbsarbeit zwar leisten soll, wozu sie aber keineswegs in jedem Fall in der Lage ist: Sinnstiftung und Anerkennung, Identität und sozialen Zusammenhalt, Produktivität und Gemeinwohlorientierung und alles in allem Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.“ Es gibt also etwas anderes als die klassische „Erwerbsarbeit“. Wir haben es wahrscheinlich schon aus den Augen verloren. Für Becker kommt der uns fehlende Arbeitsbegriff dem nahe, was „Hannah Ahrendt als Arbeiten und Herstellen bezeichnet hat“. Das Sozialgefüge, das aus solch einem „anderen“ Arbeitsbegriff  erwächst, findet Uwe Becker in der Bibel, in der Tatsache, „dass nach biblischer Vorstellung der Reichtum nicht aus der Arbeit aller erwächst, sondern dass der Reichtum der sozialen Gemeinschaft insgesamt so verwendet wird, dass alle arbeiten können, tätig sein können, etwas herstellen können und dabei ausreichend abgesichert sind.“

Tipps
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Text: Al-Mana
Foto(s): ran