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Stadtsuperintendent Bernhard Seiger im Kölner Dom

„Was können wir tun, damit andere sagen können: Da mache ich mit.“

Mit einer Doppelveranstaltung würdigte der Evangelische Kirchenverband Köln und Region zwei besondere Jubiläen: Vor 30 Jahren wurde die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln (ACK) gegründet und vor 20 Jahren wurde die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der katholischen Kirche veröffentlicht.

Den Auftakt machte ein ökumenischer Gottesdienst im Kölner Dom unter anderem mit Stadtsuperintendent Bernhard Seiger, Superintendentin Susanne Beuth, Stadtdechant Robert Kleine und Erzpriester Radu Constantin Miron. Professor Dr. Johanna Rahner, katholische Lehrstuhlinhaberin aus Tübingen, hielt die Ansprache in dem Gottesdienst, der unter dem Motto „Gemeinsam unterwegs – Dank seiner Gnade“ stand.

Rahner beschäftigte sich mit Römerbrief 5. „Gnade ist heutzutage für viele zur theologischen Kanzel-Leerformel verkümmert und mit ihr wird zugleich das Thema ‚Rechtfertigung’ in die mittelalterlichen Kellergewölbe der eigenen oder der je anderen Konfessionsgeschichte verbannt. Beide Begriffe erinnern an ungeliebte konfessionelle Minenfelder, an konfessionalistische Unterscheidungslehren, die über Jahrhunderte die Bitternis des konfessionell Trennenden, des unüberbrückbar Fremden/ Anderen verstärkt haben“, erklärte Rahner zu Beginn. Der moderne und auf seine Leistungsfähigkeit pochende Mensch, rechtfertige sich am liebsten selbst und von einer Gnade, die sozusagen von oben herab komme, wolle er erst recht nichts wissen.

Ist der Glaube für das Leben irrelevant geworden?

Das Lebensgefühl der späten Moderne habe sich grundlegend verändert. „In unserer Alltagserfahrung hat eine metaphysische Tiefendimension einfach keinen Platz mehr. Glaube ist für den Normalfall des Lebens schlicht irrelevant geworden.“ Es gelte, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. So seien es gerade jene „Zeichen der Zeit“ in der Peripherie, am Rand, die – wie es Papst Franziskus so nachdrücklich einfordere, die Richtung für eine alternative Ortsangabe von Glaube und Kirche von heute vorgeben würden.

Die neutestamentliche Kernmetapher dafür sei der Satz „Gott ist Mensch geworden“. „Eine Theologie der Menschwerdung ist eine Theologie des Ankommens Gottes im Menschen, die den Menschen nicht unverändert lässt, sondern versucht, ihn von seiner ,besten Seite‘ zu zeigen. Das geschieht ohne dabei die Runzeln und Makel einfach wegzuwischen. Aber diese haben nicht das letzte Wort, sondern bergen die Möglichkeit eines geschenkten Neuanfangs.“ Die Theologie der Menschwerdung sei Beleg, dass „dieses Leben hier und jetzt eine göttliche Würde hat“.

Gottes Gnade ist keine Konkurrentin menschlicher Freiheit, sondern ihr letzter tragender Grund

Gottes Gnade sei eben keine Konkurrentin menschlicher Freiheit, sondern ihr letzter tragender Grund. Auch so könne man Rechtfertigung und müsse man Gnade umschreiben. Das Dramatische an der aktuellen Glaubenskrise sei, das sie vor allem auch eine Kirchenkrise sei. Sie werde nicht mehr als der Ort wahrgenommen, an dem die Gottessehnsucht der Menschen von heute ernst genommen werde. „Die Kirche steht dem zum Glauben Kommen heute entgegen. Nicht weil sie zu wenig glaubt.

Sie ist unglaubwürdig geworden, weil sie mit ihrem erschütterungsfreien und verblüffungsresistenten Katechismuswissen, mit ihrer selbstsicheren Gewissheitssprache die existentielle Not des Gottvermissens nicht mehr kennt, das Ihn zu suchen, aber nicht finden können, das Schweigen Gottes.“ Jesus müsse als Randbemerkung, als Marginalie zum Text, besser – zum Gewerbe – der Welt verstanden werden. Glauben heiße, in dieser fleischgewordenen Marginalie Gottes eigene Handschrift zu entziffern.


30 Jahre Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln – Soirée

Nach dem Gottesdienst traf man sich im Baptisterium hinter dem Dom zu einer Soirée. Dabei sprachen Susanne Beuth, Vorsitzende der ACK, Johanna Rahner, Erzpriester Miron und Rainer Will, stellvertretender Leiter des Katholischen Bildungswerkes Köln, über die Ökumene im Allgemeinen und in Köln im Besonderen. Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, und Jens Freiwald, Referent des Stadtdechanten, moderierten das Gespräch. Will erinnerte an die Taufe als gemeinsames Fundament aller Christinnen und Christen: „Für die frühen Christen war die Taufe das wichtigste Sakrament. Die Zusage gilt: ,Nichts mehr kann uns von Gott trennen.‘“

„Der Leib Christi ist viel größer als die kleine Gemeinde, in der ich gerade bin.”

Miron wurde konkreter: „Ökumene heißt ja immer auch dolmetschen. Wir feiern heute auch 20 Jahre Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Das ist ein Wort, das den Christen im Osten fremd ist. Es ist aber gerade die Aufgabe der Ökumene, solche Begriffe den anderen begreiflich zu machen.“ Rahner nannte das Fensterbild von Gerhard Richter ein „Bild, das mehr ahnt, als es weiß“. Rainer Will nahm den Faden auf: „Das Richter-Bild erinnert ein wenig an eine Bildstörung. Ich finde dieses Bild schön. Es braucht Bildstörungen, Bilder, die nicht stimmen und hinterfragt werden müssen.“ Susanne Beuth erinnerte daran, dass die ACK während ihres Bestehens immer wieder „ökumenische Neulinge“ aufgenommen habe. Als Beispiele nannte sie die „Jesus-Freaks“. Ihr Fazit: „Der Leib Christi ist viel größer als die kleine Gemeinde, in der ich gerade bin.“

Braucht die Ökumene eine andere Sprache?

„In Gottes Rede geht es um die Würde des Menschen“, ergänzte Johanna Rahner und verwies gleichzeitig auf den Islam und insbesondere darauf, „wie stark der Islam die Hingabe zu Gott in den Mittelpunkt stellt“. Einen anderen Aspekt betonte Erzbischof Miron: „Wir leben in einer Zeit, in der die Vollmundigkeit reduziert werden muss. Meine Kinder haben fast nur Freunde, die nicht getauft sind. Da gibt es die Taufe als gemeinsames Band nicht. Oder sie ist zumindest marginalisiert.“ Den Erzpriester beschäftigt zunehmend, ob die Ökumene eine ganz andere Sprache braucht. Aus Mirons Sicht wäre eine gemeinsame Erklärung der christlichen Kirchen, wie die zur Rechtfertigungslehre heute nicht mehr möglich.

Konflikt zwischen Katholizismus und Moderne

Jens Freiwald, Stadtdechant-Referent, verwies darauf, dass viele innerkirchliche Gegner in „ihren Blasen leben“. Es gebe den großen Konflikt zwischen dem Katholizismus und der Moderne. Johanna Rahner mahnte an, den Kirchenbegriff mit „Arten von Handeln“ zu füllen. Mit Verweis auf ihre Ansprache im Dom wünschte sie sich, die Kirche würde beschrieben von der Handlungsebene. „Dann treten die Unterscheidungsfragen in den Hintergrund.“ Rahner plädierte für eine Art des Kirchenverständnisses. „Drinnen und draußen“ sage nichts aus über die Lebenswirklichkeit. Die Professorin aus Tübingen hat wenig Hoffnung für den „Synodalen Weg“, auf den sich Kirchenleitung und Laien in der katholischen Kirche machen wollen. Sie sprach von einer Spaltung innerhalb des Katholizismusses in Deutschland. „Soziologisch betrachtet haben wir es hier mit in sich geschlossenen Gruppen zu tun. Ich habe das Gefühl, dass es sehr schwierig wird, die Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen.“ Es gebe eine „Abgrenzungsmetaphorik“, die dazu diene, die eigene Identität als gesichert sehen zu können.

„Unser Kreuz hat keine Haken”

Susanne Beuth erinnerte daran, dass die ökumenische Bewegung in Köln schon Bemerkenswertes geleistet habe. Sie erinnerte konkret an den von den Kirchen getragenen Protest gegen den AFD-Parteitag in Köln unter dem Motto „Unser Kreuz hat keine Haken“. Es sei im Übrigen schwierig, dogmatische Fragen zu Leuten zu bringen, die mit Dogmatik nichts anfangen könnten. Die zentrale Frage lautet für die Superintendentin: „Was können wir tun, damit andere sagen können: Da mache ich mit.“ Es sei leicht zu sagen, „wir sind alle zusammen“, verwies Beuth auf Unterschiede zwischen den Konfessionen und nannte als Beispiele die gleichgeschlechtliche Liebe. Aber auch auf die Abendmahlsfrage gebe es verschiedene Antworten.

„Und da sind nicht nur die Unterschiede zwischen Evangelischen und Katholischen. Auch die Freikirchen sind da gespalten.“ Und im Grundsatz: „Kirchen neigen dazu zu sagen, so wie wir es machen, ist es richtig.“ Miron bedauerte, dass es in vielen Gemeinden Menschen gebe, für die die Ökumene keinen besonders hohen Stellenwert habe. Aber insgesamt werde die Zahl der Ökumene-Kritiker „kleiner, aber lauter“. Und die Ökumene-Freunde hätten das Problem, „dass sie immer alle mitnehmen müssen“. Superintendentin Susanne Beuth hatte das Schlusswort. Sie appellierte daran, „nicht immer nur auf die Jahrestage zu gucken“. Es gelte einfach nur zu fragen: „Wo sind die Menschen in ihrem Alltag.“ Gemeindepartnerschaften seien hoffentlich keine großen Themen mehr, wenn es in 30 Jahren „60 Jahre ACK” zu feiern gelte. Vernetzungen von Christinnen und Christen aller Konfessionen seien enorm wichtig.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann