Unter der Überschrift „Was ist wahr?“ stand die zentrale Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Stadtsuperintendent Bernhard Seiger begrüßte die zahlreichen Gäste in der Trinitatiskirche. Unter anderem waren der Einladung gefolgt Weihbischof Rolf Steinhäuser, Stadtdechant Robert Kleine, die Bürgermeister Dr. Ralph Elster und Andreas Wolter, Bezirksbürgermeister Andreas Hupke, die Stadtkämmerin Professor Dörte Diemert, Gregor Stiels, Vorsitzender des Katholikenausschusses der Stadt Köln, und Dr. Volker Haarmann als Vertreter der Landeskirche. Seiger begrüßte auch den Liverpool Cathedral Choir, der gemeinsam mit der Schola der Tersteegenkirche Dünnwald im Gottesdienst sang, und Reverend Dr. Sue Jones, Dean of Liverpool, und Canon Philip Anderson von der katholischen Liverpool Cathedral. Wolf-Rüdiger Spieler begleitete an der Orgel.
„Was ist Wahrheit?“
„Was ist Wahrheit?“, griff Seiger das Thema des Abends auf. Das habe schon Pilatus im Gespräch mit Jesus gefragt. „Und wenn wir hören, was es alles an ,Fake news‘ und ,alternativen Wahrheiten‘ gibt und welche Rolle sie im amerikanischen Wahlkampf spielen, dann wissen wir, welche Macht von dieser Frage ausgeht. Wer bestimmt, was als wahr gilt? Und wenn wir uns dann noch die antijüdischen Verschwörungstheorien vor Augen stellen, die es inzwischen wieder verstärkt gibt, spätestens dann wird einem sehr mulmig, weil nichts mehr sicher ist. Umso wichtiger ist es, sich die der Frage zu stellen, denn Christen liegt an Wahrhaftigkeit und am Vertrauen in das, was gilt und was uns gesagt wird.“
Seiger begrüßte insbesondere die Predigerin der Reformationsfeier, Christina Brudereck aus Essen. „Sie ist evangelische Theologin, Schriftstellerin, Musikerin, Bloggerin und vor allem Gottsucherin.“ Der Stadtsuperintendent verwies auf die Social-Media-Kanäle, auf denen Brudereck sehr präsent sei.
„Die Bibel hat eine Stimme in meinem Leben“
„Was ist Wahrheit?“ sei eine große Frage, erklärte die Predigerin gleich zu Beginn. Sie wolle die Frage kleiner fragen: „Was können die reformatorischen Ideen zur Wahrheit sagen? Welche Spuren habe ich entdeckt beim Fragen dieser Frage? Ein Herz für das Wort wünsche ich mir. Ein Herz für die Bibel.“ Sie liebe die Bibel, bekannte Brudereck. Was wohl zuerst daran liege, dass sie Bücher liebe. Und Geschichten. Von der Bibel allerdings erwarte sie mehr. „Die Bibel hat eine Stimme in meinem Leben. Sie ist eine Autorität. Nicht autoritär, eine echte Autorität, die das Gespräch sucht, weckt und Fragen aushält. Aber ja, eine, die mehr weiß als ich, älter ist, erfahrener, angefüllt mit verrückten, heiligen Ideen. Weltliteratur.“
Selbst zu lesen, sei eine erste Spur, Wahrheit zu finden. Schwierig werde es, wenn es verschiedene Wahrheiten gebe. Wem traue man die Verifizierung zu? Als Predigttext seien die Zeilen 8:15-17 aus dem Buch des Propheten Sacharja ausgesucht worden. Darin heiße es, man solle sich nicht fürchten und verlässlich miteinander sprechen. „Fürchtet Euch nicht“ stoppe zwar die Angst nicht, aber es forme sie. Der Satz formuliere den Glauben: Sola fide. Das hebräische Wort für Verlässlichkeit stehe auch für Festigkeit, Beständigkeit, Treue, Sicherheit, Vertrauenswürdigkeit, Verbindlichkeit.
„Rede einer mit dem anderen Wahrheit und richtet wahrhaftig und recht, schafft Frieden in euren Toren“, zitierte Brudereck aus dem Bibeltext. Und bezog auch ein Wort von „unserem charmanten Bruder aus Nazareth“ mit ein: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Solus Christus. „In der Mitte die Wahrheit, wird umarmt von Weg und Leben. Es gibt sie nicht ohne diesen Rahmen aus Erfahrung und Alltag. Aus Verlauf und Verlaufen, Umwegen, Stationen. Aus Leben. Lebensgefühl, Lebensfragen und -krisen und -phasen. Sie ist nicht beziehungslose Wahrheit. Sondern umgeben vom Gehen und vom Erfahrenen. Sie wird relevant unterwegs.“
Wahrheit finde sich im Gespräch, im Austausch
Brudereck nannte das Lagerfeuer als Bild. Geselligkeit und Wärme vereinten Menschen unter freiem Himmel. Dort könne jeder erzählen. „Auch die, die uns stören.“ Solche Erzählräume zu schaffen, ist Brudereck „akuter Traum“ von Kirche. Erzählräume seien Lernorte und Geschenke für die Demokratie. „Wir sind beteiligt. Wir haben eine Stimme. Das ist eine Herausforderung und unsere Würde.“ Wenn die Kirche solche Räume anbiete, erweise sie der Gesellschaft ein Dienst. „Denn nicht nur die Kirche braucht ja Reformation. Auch unsere Gesellschaft.“ Wahrheit finde sich im Gespräch, im Austausch. Auf der Suche nach dem richtigen Weg. „Die Wahrheit ist in der Suche. Die wir wagen mit Offenheit, Toleranz und Respekt. Mit unserem Gespür für Unwahrhaftigkeit. Mit unserer Wahrnehmung. Wahrheit ist ein Gespräch. Sie findet sich im Gedankenaustausch.“
Aber: Wahrheit ohne Gnade sei kalt. Sola gratia. „Ich schätze, wie frech Christus und Scriptura sind gegenüber Autoritäten, Macht und Geld. Wie kritisch und frei. Wie die Bibel mich wärmt mit ihrer Weisheit. Wie wunderschön sie Wünsche äußert.“ Das Buch Sacharja zeige, dass es etwas gebe, das größer sei als die Angst. „Zeigen wir Haltung. Mischen uns weiter ein.“ Kirche müsse auffindbar und ansprechbar sein. Und sie müsse Auskünfte geben über ihre Hoffnung. „Erzählen wir die Geschichte der Güte. Von Recht, Würde und Menschlichkeit. Bringen wir in gnadenloser Zeit trotzkräftig die Gnade in Gespräch.“
Bürgermeister Andreas Wolter erinnerte daran, dass die Kölner Partnerschaft mit Liverpool seit 1952 bestehe. Er forderte dazu auf, sich kritisch für die Wahrheit einzusetzen. Es gebe endlos viele Informationen. Es sei zu zuletzt Aufgabe der Medien, Fakten und Fiktionen zu unterscheiden. Die Medien seien der vierte Grundpfeiler der Demokratie. Das Vertrauen in sie sei erschüttert. Es gebe aber keine Alternative. Viele fühlten sich aktuell vom politischen Diskurs ausgeschlossen. Deren Stimmen müssten sichtbar gemacht werden. „Demokratie lebt vom Engagement aller.“
Die Predigt von Christina Brudereck können Sie hier nachlesen.
Foto(s): Stefan Rahmann