Das Wort ist bekannt. Diakonie Michaelshoven zum Beispiel. Die Diakonie erscheint gewissermaßen als evangelische Caritas, als Markenname für Hilfsorganisationen,die aus einer evangelischen Tradition kommen. Das Wort Diakonie stammt aus dem Altgriechischen. Im Neuen Testament, in dieser Sprache geschrieben, ist von „Diakonie“ die Rede und ebenso von „Diakonen“.
Der erste Diakon Deutschlands: Theodor Fliedner
Für die Evangelischen wurde der Begriff durch das Engagement von Theodor Fliedner aus Kaiserswerth (heute ein Stadtteil von Düsseldorf) in den 1830er-Jahren geprägt. Er war Pfarrer einer Gemeinde, die durch den Wirtschaftswandel verarmte. Daraufhin reiste er bis in die Niederlande und nach London, um bei anderen reformierten Gemeinden um Geld zu betteln. Dabei begegnete er an manchen Orten ehrenamtlichen Helferinnen in Gemeinden, die Diakonissen genannt wurden. Zu Hause gründete er dann mit anderen einen Verein zur Resozialisierung weiblicher Strafentlassener, brauchte dafür Mitarbeiterinnen, dann auch welche für eine Kleinkinderschule und ein Krankenhaus. Und so kam er darauf, die dafür nötigen Mitarbeiterinnen als „Diakonissen wie zu der Apostel Zeiten“ zu verstehen. Kurz darauf setzte sich auch die Bezeichnung „Diakon“ für männliche Mitarbeiter durch. Er und viele andere seiner Zeit sahen sich als eine Bewegung, die statt eines Amts des Diakons als Durchgangsstufe auf dem Weg zum Priesterberuf nun wieder dem ursprünglichen Sinn von Diakonie näherkam. Diakonie stand bei ihnen für einen helfenden, einen karitativen Dienst, aus Liebe und mit Selbsterniedrigung und Selbstverleugnung.
Neue Fragestellung
In jüngerer Zeit hat es eine heftige bibelwissenschaftliche Debatte um die genaue Bedeutung des Begriffs „Diakonie“ im Neuen Testament gegeben. Sie wurde von einem katholischen australischen Forscher angestoßen, der die These vertrat: Diakonie hat im Neuen Testament eigentlich nichts mit einer sozialkaritativen Tätigkeit zu tun. Diese Bedeutung hätten erst Anfang des 20. Jahrhunderts deutsche evangelische Bibelwissenschaftler mit Verbindungen zur Diakonie eingetragen. Beruht dann das gängige Verständnis von Diakonie auf einer Fehlinterpretation der biblischen Quellen?
Geht man dieser Frage nach, so zeigt sich: Wie so oft liegt die Wahrheit zwischen den Extremen. Und: Interessant ist auch die weitere geschichtliche Entwicklung.
Die geschichtliche Entwicklung eines wichtigen Begriffs
Das Wort Diakonie hatte im Altgriechischen tatsächlich eine viel breitere Bedeutung: Es stand für alle solche Arbeit, die jemand im Auftrag eines anderen macht und/oder anderen Menschen zugutekommt. Von der Arbeit einer Ministerin bis zu der eines Service-Mitarbeiters, von der eines Dieners bis zu der einer Stellvertreterin – all das hätte man im Altgriechischen als Diakonie bezeichnen können.
Phoebe, eine Person aus der Gemeinde des Apostel Paulus in Korinth, vermutlich eine Geschäftsfrau, reiste nach Rom und trat dort als „Diakonos“,als Repräsentantin und Beauftragte ihrer Gemeinde, auf (vgl. Römerbrief Kap. 16). Und Lukas erzählt von Jesus so, dass er sich selbst einen „Diakonos“/ Diener nennt (Kap. 22). Im Aramäischen, das Jesus selbst sprach, gab es ein entsprechendes Wort nicht. Aber es drückt gut aus, was der Grundsinn dessen war, was die christliche Gemeinde von Jesus bekennt: Dass er im Auftrag Gottes handelt und dass er mit seinen Predigten und seinen Krankenheilungen, seinem Leben, seinem Tod und seinem Auferstehen im Auftrag eines anderen, nämlich Gottes, kam und für andere – nämlich die Menschen – handelte.
2Ab der zweiten, dritten Generation der Urgemeinde wurde „Diakon“ zu einer offiziellen Amtsbezeichnung, ebenso wie auch die Bezeichnungen „Aufseher“ (griech.: Episkopos, deutsch: Bischof) und „Ältester“ (griech.: Presbyter, daraus wurde das deutsche „Priester“). Die Diakone vertraten dann in den ersten Jahrhunderten den Bischof vor Ort. Im Gottesdienst hatten sie vor allem mit der Zubereitung der Gaben im Abendmahl zu tun. Da wurden nämlich als Opfergaben Essen und sonstige Gaben gesammelt und dann hinterher an die Armen der Gemeinde verteilt (das schloss dann auch Besuche bei den Armen und Kranken ein).Aber als die Kirche Massenkirche und Staatskirche wurde, verlor sich das breite Spektrum an Tätigkeiten für den „Diakon“.Verwaltungsaufgaben und Armenfürsorge wurden anders geregelt. Übrig blieben ein paar Hilfstätigkeiten im Gottesdienst. Erst nach der Reformation kam man dann wieder an manchen Orten (in Deutschland etwa in Wesel) auf die Idee, Männer und Frauen (dann genannt „Diakone“ und „Diakonissen“) für Kranken- und Armenfürsorge in der Kirchengemeinde zu wählen.
Was erbringt der Blick auf die Geschichte?
Zunächst: Diakonie hat damit zu tun, dass Menschen nicht für sich arbeiten, sondern weil sie sich in einem Auftrag wissen und weil sie für andere arbeiten. Diakonie in einem solchem weiten Sinn geschieht an vielen Orten – eigentlich überall da, wo verantwortlich und menschlich gelebt und gearbeitet wird. Schließlich: Die Arten und Weisen der Diakonie wandeln sich mit den Zeiten. Die gesellschaftlichen Bedingungen des Helfens haben sich radikal gewandelt. Die neue Idee im 19. Jahrhundert war: Statt ehrenamtlicher Arbeit macht man einen Beruf daraus. Das war eine bewusst emanzipatorisch angelegte Sache. Denn ein zugleich ebenso bewusst verfolgtes Ziel aller Initiatoren bestand darin, Frauen eine Alternative zu bieten. Die Senatorentochter Amalie Sieveking hatte als Erste die Idee von evangelischen Krankenschwestern. Es setzte sich dann ein Modell durch, das die Diakonisse aufs Zölibat festlegte. Das war zunächst sehr erfolgreich, weil es Frauen ermöglichte, sich von zu Hause aus selbstständig zu machen, einen eigenen Beruf aufzunehmen. Es führte allerdings auch mit dem Zölibat auf Lebenszeit historisch in eine Sackgasse und ließ diese Lebensform der Diakonie am Ende des 20. Jahrhunderts so gut wie aussterben.
Die Erfindungen des 19. Jahrhunderts haben die Diakonie bei uns wachsen lassen. Sie haben sie zu einer eigenständigen Größe in der Gesellschaft gemacht, wo sich etwas davon zeigen kann, für andere helfend tätig zu sein. So etwas passiert nicht von allein: Es ruht auf irgendwie gelernten Selbstverständlichkeiten. Zum Beispiel auf der, was man sich unter Diakonie vorstellt. Darum ist es wichtig, dass sich jeder selbst die Frage stellt: „Was bedeutet eigentlich Diakonie für mich?“ – und vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrung und seines Wissens nach Antworten sucht.
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