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Vortrag in der Melanchthon-Akademie: „1512 – Luther in Köln“

Was tat der sächsische Reformator, der seine Karriere als zerquälter junger Mönch begann, 1512 in Köln? In drei Kurzvorträgen in der Melanchthon-Akademie erläuterten Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, Pfarrer und Autor Klaus Schmidt sowie Professor Dr. Siegfried Hermle vom Institut für Evangelische Theologie, Abteilung Kirchengeschichte, an der Universität zu Köln zeitgeschichtliche Hintergründe von Luthers Besuch in der Domstadt. „Das hat schon fast Kirchentagsdimensionen“, gab sich Bock angesichts der rund 70 Besucherinnen und Besucher im Saal erfreut. Immerhin widmen die SantiagoFreunde Köln dem Köln-Besuch des Reformators eine eigene Vortragsreihe.

Im Spannungsfeld von Scholastik und Humanismus
Klaus Schmidt, Buchautor und Pfarrer im Ruhestand, skizzierte zunächst das kulturelle Umfeld, in dem sich der junge Luther 1512 bewegte. Wieviel er selbst davon mitbekam, blieb jedoch offen. Einige hundert Kilometer weiter südlich schaffen Künstler wie Botticelli und Michelangelo Werke, die als „Highlight“ der Renaissance gelten. In Köln wirkte dagegen wenige Jahrzehnte vorher Stephan Lochner, und zwischen seinen Altären und Botticellis „Geburt der Venus“ „liegen Welten“. Geistesgeschichtlich „brodelte“ es nicht nur in Italien, wo Niccolo Macchiavelli in Konflikt mit der katholischen Kirche und den herrschenden Medici kam. In West- und Nordeuropa attackierte Erasums von Rotterdam die Scholastik, die Begründung kirchlicher Dogmen durch philosophische Methoden. Johannes Reuchlin, neben Erasmus einer der bedeutendsten Vertreter des Humanismus, beschäftigte sich respektvoll und anerkennend mit dem Judentum. Eine Auseinandersetzung mit Johannes Pfefferkorn, selbst konvertierter Jude, und dessen antijüdischen Schmähschriften, gipfelte in der Verfassung von Reuchlins Gegenbuch „Augenspiegel“.

Luther rief zum "Dreinschlagen" auf
Aus heutiger Sicht zeigen sich darin Zeitgenossen wie Erasmus und Reuchlin „fortschrittlicher“ als der Reformator: Reuchlin pflegte Austausch mit jüdischen Gelehrten, Erasmus hoffte auf die Vernunft Herrschender, ohne Kriege auszukommen. Luther dagegen bejahte die Frage, „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können“ und rief die Fürsten in dem Bauernkriegen zum „Dreinschlagen“ auf. In der Hinsicht war Luther ein "furchtbarer Theologe“ resümierte Schmidt. Viel Raum widmete Schmidt einer zeitgleich von Luthers Köln-Besuch tobenden Debatte rund um antischolastische Schriften, die „Dunkelmännerbriefe“, deren Auslöser judenfeindliche Kölner Dominikaner waren, denen Luther jedoch keine Aufmerksamkeit widmet.

Luthers Weg zum Augustinerorden
Was brachte den jungen Mönch dazu, die beschwerliche Reise zu Fuß von Wittenberg nach Köln auf sich zu nehmen? Professor Dr. Siegfried Hermle rekapitulierte zunächst den religilösen Kontext, in dem Luther sich bewegte: Die Furcht vor Verdammnis und Fegefeuer bestimmten die Religiosität, Christus wurde nicht nur als liebender Erlöser, sondern auch als Weltenrichter gesehen, und der Heiligenverehrung war der junge Luther nicht abgeneigt. Seine „Lieblingsheilige“, Anna Selbdritt, rief der frischgebackene Jurist an, als ihn bei Stotternheim – auf dem Heimweg von Mansfeld nach Erfurt – ein Gewitter überraschte. Seiner Entscheidung, in den strengen Augustiner-Eremiten-Orden einzutreten, waren mehrere Erlebnisse vorausgegangen: Der plötzliche Tod eines Studienfreundes und eine Verletzung mit seinem eigenen Studentendegen hatten ihn sensibilisiert: „Das, was sich heute eigentlich jeder wünscht, ein plötzlicher Tod, war damals das Schlimmste, was einem passieren konnte“, erläuterte Hermle. Ohne Vorbereitung auf das Jenseits, ohne die Gelegenheit, alle Sünden noch schnell zu bereinigen, drohten Hölle oder zumindest Fegefeuer.

Steile Ordenskarriere und 95 Thesen
Die Augustiner betrieben, im Gegensatz etwa zu den Benediktinern, keine Landwirtschaft und lebten als Bettelorden, dessen Mitglieder viele Pfarrstellen besetzten. Die Strenge, so Hermle, „war für Luther am Orden das Interessanteste“. Er bemühte sich um konsequente Regelbeachtung und machte schnell „Karriere“. Vor dem Theologiestudium in Erfurt und Wittenberg, zu dem ihn der Orden, vor allem sein Beichtvater und Förderer, der Generalvikar Johann von Staupitz, abstellte, wurde er bereits 1507 zum Priester geweiht. 1509 erhielt er den ersten akademischen Grad.
Aber auch der strenge Augustinerorden war von Verfallstendenzen nicht verschont geblieben, und 1511 reiste Luther mit einem Mitbruder nach Rom, um beim Papst zu erreichen, dass sein Wittenberger Orden nicht mit der „laxeren“ Richtung zwangsvereinigt wurde. Den Papst traf er in Rom nicht an, aber ein eindrucksvolles Erlebnis blieb es für den bis dahin ortstreuen Sachsen schon. Nach Köln führte ihn – gemeinsam mit Staupitz und einem Mitbruder – die Reformkongregation des Ordens, deren Vertreter über die künftigen Ordensregeln diskutierten: Luther schloss sich als Vertreter dieser Reformkongregation deutlich der strengen Richtung an, aber die Kölner Episode hinterließ in seinem Werk wenig Spuren. „Ob er in Köln an Beratungen teilnahm, wissen wir nicht“, betonte Hermle. In Erinnerungen und Beichten spielt der Köln-Besuch Luthers jedenfalls keine Rolle. Zurück in Sachsen setzte er seine steile Ordenskarriere fort, um 1517 seine "95 Thesen" zu veröffentlichen.

Kölner Dom für Predigten ungeeignet
Sollte Köln nach dem eindrucksvollen Rom-Erlebnis bei Luther noch viele Spuren hinterlassen haben? In seinem umfangreichen Werk äußert sich der Reformator insgesamt fünfmal über seinen Köln-Aufenthalt: In einer Predigt von 1531 spottet er über die Gebeine der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom: „Ich weiß nicht, ob's nicht Bauern sind“. Auch die Legende von den 11.000 Jungfrauen bekommt „ihr Fett weg“: „Wo steht geschrieben, dass 11.000 Frauen dort begraben wären?“ An örtlichen Getränken blieb ihm nicht etwa das kölsche Bier im Gedächtnis, sondern ein Wein, „quod penetrabat in mensa manum“, der ihm bis in die Fingerspitzen ging, wie er etwa 1539 äußerte – ob dies ein Kompliment war? Den Dom bezeichnete er aufgrund seiner gewaltigen Ausmaße 1538 als für Predigten gänzlich ungeeignet, unter anderem durch seine „vier Reihen Pfeiler“. Seinem Ideal einer „feinen mäßigen Kirche mit niedrigem Gewölbe“ entsprach das Kölner Wahrzeichen jedenfalls nicht. Last but not least verwies der Judenfeind auf eine Kölner Epitaph: "So wenig die Katze der Maus gut sein kann, so wenig kann ein Jude Christ werden“. „Leider ist dies Luthers Position“, so Hermle, der allerdings auf die weniger radikale Position des jungen Luther verwies. „Luther hat jüdische Schriften hoch geachtet und die Kirche zunächst angeklagt dafür, dass sie sich so gegenüber den Juden verhielt“.

Was sähe Luther heute in der Stadt?
Als sichtbare „Spur“ findet sich nur noch die Namensgebung des Hotels „Augustinerhof“, errichtet an der Stelle, an der sich das Kölner Augustinerkloster befand. Was sähe Luther, käme er heute in die Stadt? Mit dieser theoretischen Zeitreise begann Bock seinen Ausblick: Er sähe katholische Kirchen, in denen die Predigt einen viel größeren Raum einnehme als zu seiner Zeit, Mischehen verschiedenster Konfessionen, die Ehrenfelder Moschee oder eine Sitzung der „AG christlicher Kirchen“. „Er würde Bauklötze staunen“, so Bock. Auch Papst Benedikts XVI. Verweis auf Luther bei seinem Papstbesuch würde ihn erstaunen. In seiner alten Heimat Sachsen würde er dagegen auf Städte stoßen, in denen nach 40 Jahren DDR nur noch rund 15 Prozent Christen leben.

Widersprüchlich und authentisch
Geblieben von der Reformation als „Regenguss, der durch Europa ging“, sei dagegen der Appell an alle Christinnen und Christen, „coram deo“, zu glauben und zu handeln, „so vor Gott zu stehen, dass wir uns vor ihm zu verantworten haben“, betonte Bock.

Die „Daseinskompetenz“ in Luthers Werk, der uns heute noch seine Widersprüchlichkeit zumutet, war wohl eher der Anlass für Bettina Adler, den Vortragsabend zu besuchen. Sie bekam in einem Elternhaus mit „Mischehe“ beide Seiten mit. Die Position der katholischen Kirche zu Frauen brachte sie vom Konversionsgedanken ab. Luthers Positionen, zum Beispiel zu den Bauernkriegen, kann sie ebenso wenig mittragen. An Luther hat sie seine Authentizität fasziniert: „Luther war ein Mensch der konsequent war, er war für mich einfach echt."

Text: Annette von Czarnowski
Foto(s): von Czarnowski