Im Haus der Evangelischen Kirche in Köln haben nicht allein Ämter, Stellen und Einrichtungen des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region ihren Sitz. In der Kartause in der Südstadt unterhält auch das „Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW“ seine Geschäftsstelle, in einem vom Verband angemieteten Raum, wie beispielsweise auch der Kölner Flüchtlingsrat e.V. nebenan. Gegründet wurde das Netzwerk Asyl in der Kirche, dem die Kölner Pfarrerin Gabriele Spieker vorsitzt, im Jahr 1993. Er bildet einen Zusammenschluss kirchlicher Gemeinden, Asylgruppen und Einzelpersonen.
Hilfen für „Schutzsuchende“
Was leistet das Netzwerk? Es ist aktiv in der Beratung von Flüchtlingen und „Menschen ohne Papiere“. Es bietet Schutzsuchenden konkrete Hilfestellungen, „versucht Menschen in Not mit Menschen, die helfen könnten, zusammenzubringen“. Es berät und unterstützt Kirchengemeinden, Freundeskreise und Einzelpersonen in ihrem vielfältigen Engagement für „Illegalisierte“ und Flüchtlinge. Schließlich zielt es darauf, „über den tragischen Einzelfall hinaus Flüchtlingsschutz und Menschenrechte in Kirche und Gesellschaft zu verankern“. Derartige Netzwerke von Unterstützerkreisen sind nicht auf Nordrhein-Westfalen beschränkt. Das erste Treffen von Kirchenasylinitiativen auf Bundesebene 1994 der Evangelischen Akademie in Mülheim mündete in der Gründung des eingetragenen Vereins „Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche“. Dessen Büro befand sich zunächst ebenfalls im Haus der Evangelischen Kirche in Köln. Nach der Jahrtausendwende verlegte die Bundesarbeitsgemeinschaft ihre Geschäftsstelle in die Hauptstadt. Von Berlin aus, in direkter Nähe zu Mandatstragenden und Bundeseinrichtungen, versucht sie nun, den Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz insbesondere auch „auf politischer Ebene organisatorisch zu bündeln“.
Neben Berlin noch immer ein Sitz in Köln
Derweil blieb der NRW-Landesverband Köln treu. Thomas Flörchinger ist seit einem Jahr als ehrenamtlicher Koordinator in der Geschäftstelle des Netzwerks tätig. „Ich möchte, dass die Kontinuität der Einrichtung als Ansprechpartner gewahrt, die Anlaufstelle für Flüchtlinge und Unterstützende in dieser Form bestehen bleibt“, begründet der Journalist sein Engagement. Das Thema Asyl gehört „schon lange“ zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Über hundert Mitglieder zählt der Verein. Darunter befinden sich Privatpersonen, mehrheitlich aber juristische, etwa Institutionen, Vereine und Kirchengemeinden – in der Mehrzahl evangelische Gemeinden. Allein knapp zwanzig von ihnen gehören dem Evangelischen Kirchenverband Köln und Region an.
Kirchen stehen in der Tradition, verfolgten, „illegalisierten“ Menschen Zuflucht und Schutz zu bieten
Seine Arbeit bestreit der Verein mit Mitgliedsbeiträgen sowie Spenden. Alle sechs Wochen etwa finden Treffen im evangelischen Haus der Kirche in Duisburg statt. Dort versammeln sich Vorstand und Arbeitsausschuss, der sich aus Delegierten verschiedener Kreise zusammensetzt. Die evangelisch-kirchliche Struktur des Vereins erklärt sich dadurch, dass er aus kirchlichen Zusammenhängen heraus gegründet worden ist, etwa der Diakonie und der evangelischen Flüchtlingsarbeit. Flörchinger spricht von unterschiedlich hohen Aktivitäten in den jeweiligen Mitgliedsverbänden. Für Nordrhein-Westfalen stellt er eine besondere Aktivität fest. „Die Zahl der in unserem Netzwerk mitarbeitenden Menschen ist verhältnismäßig hoch.“ Und wo starke Strukturen bestünden, falle es erfahrungsgemäß leichter, sowohl Menschen zu unterstützen als auch Betroffene zu ermutigen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Flörchinger betont, dass der Begriff Asyl keine Erfindung der modernen Gesetzgebung sei, sondern alttestamentarischen Ursprungs. Insbesondere Kirchen stünden in der Tradition, verfolgten, „illegalisierten“ Menschen Zuflucht und Schutz zu bieten. Diese Tradition greife das Netzwerk bewusst auch mit der Namensgebung „Asyl in der Kirche“ auf.
Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit für Flüchtlinge
Das Netzwerk übernehme in vielfältiger Form die Anwaltschaft für Flüchtlinge am Rande der Legalität, so Flörchinger. Es sei Ansprechpartner für die Belange von ´Menschen ohne Papiere´, wie auch für diejenigen, die sich, in welcher Form auch immer, für diese einsetzten. „Unser Verein leistet insgesamt eine starke Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit für Flüchtlinge. Dabei geht es nicht nur um Asyl oder Kirchenasyl, sondern um das Gesamtthema Flucht und Migration“, schildert Flörchinger. Daher umfasse der Aufgabenbereich ebenso die Veröffentlichung von Publikationen, die Konzeption von Ausstellungen sowie die Ausrichtung von Tagungen zum Thema Flüchtlinge/Migration. Auch von solchen, in denen sich Betroffene mit Unterstützenden austauschten. Weiter biete das Netzwerk Informationsveranstaltungen, insbesondere für Kirchengemeinden. „Und wir mischen uns öffentlich ein in die kommunale wie landesweite Flüchtlingsarbeit, gehen auf Stadtverwaltungen zu, operieren mit Resolutionen.“
„Vordringlich“: Beratung
„Die meiste Arbeit wird jedoch im Stillen geleistet“, betont Flörchinger. Dazu gehören umfangreiche Hilfestellungen für Kirchengemeinden und Unterstützerkreise. Und selbstverständlich, vordringlich, die Beratung von Betroffenen. Flörchinger selbst kann in der Kölner Geschäftsstelle des Netzwerkes nur begrenzt eine Verfahrensberatung leisten. „Aber eine Erstberatung, die machen wir schon.“ Für tiefer gehende fachliche Auskünfte stünden entsprechend versierte Anwälte und hauptberufliche Flüchtlingsberatende zur Verfügung. Das sei aber nicht immer vonnöten. Häufig gehe es in Gesprächen mit Flüchtlingen um ganz praktische Dinge. „Ein Diabetiker, der mit seiner Zustimmung nach Belgrad ausgewiesen werden sollte, äußerte die begründete Sorge, dort nicht ausreichend mit Medikamenten versorgt werden zu können. Wir haben ihm geholfen, ihn mit einer kleinen Summe ausgestattet, dass er dort zumindest am Anfang gut zu recht kommen konnte.“
„Die wenigsten Anfragen münden in einem Kirchenasyl“, stellt Flörchinger fest. Gleichwohl sei das Kirchenasyl eine bewährte Form des Beistands von Gemeinden, um für Flüchtlinge einen legalen Aufenthaltsstatus zu erwirken.
Hartnäckigkeit zahlt sich oft aus
Was genau ist Asyl in diesem Zusammenhang? Ein Bleiberecht „für Menschen“, wie es in einer Handreichung der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft für Gemeinden und ihre Gremien formuliert ist, „denen durch Abschiebung Gefahren für Leib, Leben und Freiheit drohen, oder für die mit einer Abschiebung nicht hinnehmbare soziale, inhumane Härten verbunden sind“. Über 500 von ihnen haben in Nordrhein-Westfalen seit der Netzwerk-Gründung 1993 von einem Kirchenasyl profitiert. Etwa davon, dass Gemeinden und Unterstützende ein nochmaliges Verfahren angestrengt haben und hartnäckig geblieben sind.
Kirchenasyl entstehe mitten vor Ort aus persönlicher Betroffenheit heraus, weiß Flörchinger. Familien und Einzelpersonen würden aktiv, um etwa von Abschiebung bedrohten Nachbarn oder Mitgliedern ihrer Gemeinde Unterstützung und Zuflucht zu gewähren. „Es entsteht aus dem Schutzbedürfnis für Menschen heraus, die unter uns leben und nun gegen ihren Willen und Wunsch weg sollen. Die Leute reagieren und helfen.“ Weder seien noch beanspruchten Kirchenasylgemeinden einen rechtsfreien Raum. Vielmehr versuchten sie, Zeit für eine eingehende Prüfung der Fälle, für weitere Verhandlungen zu gewinnen, „für die Ausschöpfung aller Rechtsmittel und für eine sorgfältige Überprüfung des Schutzanspruches“.
Es gibt auch „stille Kirchenasyle“
„Wir wissen nicht von jedem Asyl“, sagt Flörchinger. Und es gebe „stille Kirchenasyle“, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahre, und gerade deshalb oder trotzdem einen erfolgreichen Abschluss fänden. In der Regel aber nutzten Kirchenasylgemeinden die Öffentlichkeit. Dies diene dem Schutz der Flüchtlinge und der Herstellung eines transparenteren Verfahrens. Flörchinger erinnert sich an ein Kirchenasyl aus der jüngsten Vergangenheit. Dabei unterstützte eine Gemeinde eine Frau und ihre beiden Kinder, für die bereits die Abschiebung angeordnet war. Der Freundeskreis gab nachträglich ein psychologisches Gutachten in Auftrag. Darin wurde der betroffenen Mutter attestiert, traumatisiert zu sein. Die Ausländerbehörde gab ihrerseits ein weiteres Gutachten in Auftrag, das zum selben Ergebnis gelangte. Eine Abschiebung kam dann nicht mehr in Frage.
Achtzig Prozent der Verhandlungen aus dem Kirchenasyl heraus enden mit dauerhaftem Bleiberecht
„Unsere generelle Erfahrung ist, dass achtzig Prozent der Verhandlungen mit einem dauerhaften Bleiberecht für die Betroffenen enden“, so Flörchinger. Insgesamt sei es auffallend, dass viele Urteile von Verwaltungsgerichten einer späteren Überprüfung nicht standhielten.
Eine besondere Form des Kirchenasyls bildete das Wanderkirchenasyl, bei dem die Belastung der Unterstützerseite lokal, regional oder überregional auf verschiedene evangelische und katholische Gemeinden verteilt wurde. Die Kölner Antoniterkirche gilt als Keimzelle des Wanderkirchenasyls (1998 bis 2000) in Nordrhein-Westfalen. In der evangelischen Kirche an der Schildergasse wurde in der Amtszeit von Pfarrer Kurt-Werner Pick bereits 1992 zwei Roma-Familien fünfeinhalb Jahre lang Asyl gewährt – bis zur Legalisierung ihres Aufenthaltes hierzulande. Beim späteren Wanderkirchenasyl haben zahlreiche abgelehnte kurdische Asylbewerbende zunächst in der Antoniterkirche, später auch in anderen Kölner und weiteren Kirchengemeinden eine vorübergehende Gastfreundschaft erfahren. Insgesamt wurde damals über 400 Menschen Beistand geleistet.
„Unsere Arbeit bleibt unverändert wichtig“
Auf Initiative der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. kommen seit 1991 Vertretende von Behörden und Flüchtlingseinrichtungen jedes Jahr zu einer „Behördentagung“ zusammen. „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kommunale und regionale Ausländerbehörden haben ihren Auftrag qua Gesetz und zielen auf die ordentliche Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern. Dieser Grundkonflikt bleibt bestehen, solange sich die politischen Vorgaben und die Formulierung der Asylgesetze nicht ändern werden“, konstatiert Flörchinger. Vor diesem Hintergrund sei es verständlich, dass die Tagungs-Teilnehmenden verschiedene Blickrichtungen hätten. „Aber es ist doch ein großer Fortschritt, dass wir miteinander reden. Es ist nicht verkehrt, dass sich beide Seite gegenseitig kennen lernen.“
„Unsere Arbeit bleibt unverändert wichtig“, betont Flörchinger mit Blick auf die hohe Zahl derjenigen, die immer wieder aufgrund Verfolgung, Hunger und anderer lebensbedrohender Umstände Zuflucht suchten in den wohlhabenden Staaten Mitteleuropas. „Solche Situationen werden immer dann wahrgenommen, wenn besonders viele Flüchtlinge ´vor der Tür´ stehen.“ Die hiesige Bevölkerung würde in der Mehrheit ängstlich reagieren. Sie hätten Angst, etwas von ihrem Wohlstand verlieren zu können. „In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns, um für Flüchtlinge etwas zu tun“, so Flörchinger.
Foto(s): Broich