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„Von wegen Heilige Nacht! – Weihnachten in der politischen Propaganda“ Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum Köln

Weihnachtsbotschaft und Kampfmittel, Friedensgruß und nationale (Kriegs)Symbolik – wie passt das zusammen? Einst „schmückten“ Gewehre und Ehrenzeichen aus Pappe, gläserne Granaten und U-Boote, Soldaten und Zeppeline den Christbaum. In der Feldpost befanden sich Bilder von Großmunition als Festgruß von der Front an die Lieben daheim. Patriotisch bemalte Kugeln hingen am Tannenbaum. Gebäck in Form von Jagdfliegern wurde verzehrt und „Julschmuck“ mit Hakenkreuz-Motiven fabriziert. Wer sich in die Sonderausstellung des städtischen NS-Dokumentationszentrums im EL-DE-Haus Köln, Appellhofplatz 23-25, vertieft, wird verwundert sein über die breite politische Vereinnahmung des Weihnachtsfestes in Deutschland des 20. Jahrhunderts. Was uns heute in der Regel wie absurde Verirrungen und skurrile Auswüchse erscheint, hatte (nicht nur) auf Zeitgenossen tatsächlich eine prägende Wirkung.

Auch eine Station des Krippenwegs
„Von wegen Heilige Nacht! – Weihnachten in der politischen Propaganda“ spannt den Bogen von der Kaiserzeit und dem Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart, bis hin zum Thema Rechtsextremismus. Sämtliche Exponate, darunter etliche Kleinteile, stammen aus der „Weihnachten“-Sammlung von Rita Breuer. Gemeinsam mit ihrer Tochter verantwortet die Sauerländerin auch die Auswahl und Konzeption der Schau: Sie umfasst Advents- und Weihnachtsdekorationen verschiedener Art, Weihnachtspostkarten, Kalender, Geschenke für Soldaten an der Front, Artikel für die „Weihnachtsfeier im Felde“, Back- sowie Bastelutensilien, Kinderspielzeug… Hinzu kommt eine beträchtliche Zahl an Publikationen, Foto- und Bildmaterial.
Vielfältig sind etwa die Formen und Größen der gezeigten Krippen. Darunter befinden sich aufklappbare, leicht zu montierende kleine Exemplare aus Papier oder ausgesägten Holzteilen, die in beiden Weltkriegen den deutschen Soldaten als Festpostgabe geschickt wurden. Ebenso ein Einzelstück, das 1942 der katholische Divisionspfarrer Franz-Josef Göttke für Mit-Überlebende des „Kessels von Stalingrad“ am Don-Ufer angefertigt hat: Als Werkstoffe verwendete er Holz, Wäsche, Papier und abgeschabte Farbe, für die Figurenköpfe Brotteig. Überstanden hat die Krippe den Krieg in einer Munitionskiste. Serielle Anfertigungen sind dagegen die Krippen-Sammelfiguren einer Margarine-Marke, die Kunden Anfang der 50er Jahre als Werbegeschenke erhielten. Sämtliche Krippen der Ausstellung bilden zugleich eine Station im Rahmen des 14. Kölner Krippenweges (bis zum 6. Januar).

Von der privaten Sammelleidenschaft zur Erkenntnis gesellschaftspolitischer Phänome
Auslöser der vor dreißig Jahren begonnenen und weiter wachsenden Sammlung war der Wunsch von Rita Breuers Mann, den nächsten Christbaum mit „Omas“ Weihnachtsschmuck behängen zu können. Auf ihrer Suche begegnete Breuer vielen Dingen, die sie zunächst staunen ließen. „Ich fand es kurios, dass eine Feldpostkarte aus dem Ersten Weltkrieg neben der Friedensbotschaft ein Geschoß zeigte.“ Bald jedoch bekam die Nostalgie einen anderen Zungenschlag. Breuer musste erkennen, dass hinter den militaristischen, kriegerischen Motiven und der nationalsozialistischen Leugnung von Weihnachten als Geburtsfest Jesu Christi mehr stand als eine geschmackliche Entgleisung – nämlich ein zielgerichteter wie tief gehender Missbrauch des Festes zu Propagandazwecken.


Weihnachtskarte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs

Tochter Judith, promovierte Apothekerin, hat die Sammelleidenschaft ihrer Mutter zunächst begleitet, dann geteilt und schließlich begonnen, die Facetten von „Weihnachten in der politischen Propaganda“ nach und nach aufzuarbeiten. Da das Thema auf der wissenschaftlichen Ebene kaum eine eingehende Beachtung gefunden hat, dürfen sich die Breuers durchaus als Pioniere sehen. Dabei hegten sie anfangs Selbstzweifel, als „ganz normale Hausfrauen“ und historische Laien nicht dem gängigen Forscher-Profil zu entsprechen. Doch schon ihre erste Ausstellung 1998 in Olpe wurde ein Publikumsmagnet. Nicht weniger die folgenden Präsentationen in anderen Teilen Deutschlands. In der Vielzahl der Dinge, die Breuer auf Flohmärkten ergattern konnte und die ihr sonstwie überlassen wurden, sieht die Sammlerin ein Indiz für ein gesellschaftspolitisches Phänomen: „Die Propaganda zu Weihnachten konzentrierte sich nicht allein auf die höhere Schicht. Sie war immer allgemein ausgerichtet. Und sie kam damals unten an, wurde von dort herauf transportiert.“

Zweiter Weltkrieg: Backformen und Plätzchen in Form von Jagdfliegern und Ehrenzeichen

„Deutsche Weihnacht“
Das gilt insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus. „Damals wurde Weihnachten als ein weiterer Aufhänger genutzt, um rassistische und völkische Vorurteile unter die Menschen zu bringen“, so Judith und Rita Breuer. Dabei versuchte die Propaganda eine „germanische Abstammung“ des Weihnachtsfestes zu belegen. Aus dem christlichen Fest sollte eine „Deutsche Weihnacht“ werden, gefeiert als „Licht“- „Jul“- oder „Sonnwendfest“. Einerseits wollten „Theologen“ Jesus als arischen Ahnherr zu etablieren. Andererseits deutete man die Geburt Jesu in ein allgemeines Mutter-Kind-Symbol um. Es stand für das Lebenswunder, das über die Dunkelheit siegende Licht und gleichzeitig für die Zukunft des deutschen Volkes. Es wurde ein „artgerechter“ Weihnachtsbaum propagiert, geschmückt mit germanischen Sagengestalten, Runen und „Sinnbildern“: Tierfiguren, Jahresrad und Sonnenkranz aus Teig und Holz. Gebackene „Sinnbilder“ lösten auch den Christstollen ab. Märchen wie „Das Kind im Berge“ sollten das Weihnachtsevangelium von der Geburt Christi verdrängen. Den Gaben bringenden Nikolaus ersetzte der blau oder grau gewandete „Schimmelreiter“.

Manches wirkt bis heute
Um die christliche Grundlage der Weihnacht aus den Köpfen zu verdrängen, suchte die nationalsozialistische Propaganda traditionelle Advents- und Weihnachtslieder entsprechend umzutexten oder durch neue Kompositionen zu ersetzen. Mit Folgen bis in die Gegenwart. Der ursprüngliche Text und dessen Sinn sind häufig vergessen. Die manipulierte Version wird fälschlich als historische Tradition missgedeutet. Wie in dem Stück „Es ist für uns eine Zeit angekommen“. Darin wurde die Zeile „unser Heiland Jesu Christ, der für uns, der für uns, der für uns Mensch geworden ist“ geändert in „Übers schneebeglänzte Feld wandern wir, wandern wir, durch die weite weiße Welt“. Diese Weihnachts-Ideologie wirke teilweise bis heute, betont Judith Breuer. Auch deshalb, weil manche Adventskalender und „stimmungsvollen Weihnachtsbücher“ aus der NS-Zeit im Nachdruck oder neuen Kleid vorliegen. „Ihnen ist nicht sofort anzusehen, wessen Geistes Kind dahinter steht.“ Gerade in jüngster Zeit habe die „Neue Rechte“ das Weihnachtsfest „aufgrund seines hohen Stellenwertes in unserer Gesellschaft“ für ihre Zwecke entdeckt. Eine damit geschickt verknüpfte Propaganda könne eine größtmögliche Breitenwirkung und „unverdächtige“ Beeinflussung erzielen.
Damit wird deutlich: Entgegen Breuers anfänglicher Vermutung endete nach 1945 die politische Propaganda zur Weihnachtszeit nicht. Ihre Fortsetzung findet sich am Schluss der Ausstellung anhand prägnanter Beispiele dokumentiert. So negierten die Machthaber in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands weiterhin Weihnachten als christliches Fest und knüpften damit an die NS-Propaganda an. Die Einstellung „linker“ Autoren der 68er Bewegung zum Fest findet sich beleuchtet. Und schließlich die Tatsache, dass auch noch im 21. Jahrhundert zu Weihnachten Feldpost verschickt wird.

Öffnungszeiten, Material
Geöffnet ist die Sonderausstellung im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, EL-DE-Haus, Appellhofplatz 23-25, bis zum 17. Januar 2010: dienstags bis freitags 10 bis 16 Uhr, donnerstags 10 bis 18 Uhr, samstags, sonntags und am 2. Weihnachtstag 11 bis 16 Uhr. Ein von Judith und Rita Breuer verfasster Begleitband, erschienen bereits 2000 im Verlag An der Ruhr (ISBN 9783860725726), vertieft die Thematik.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich