You are currently viewing Von Karelien zur Weltpolitik: Klaus Bednarz zu Gast im Königsdorfer Literaturforum

Von Karelien zur Weltpolitik: Klaus Bednarz zu Gast im Königsdorfer Literaturforum

Der Gemeinderaum füllt sich lange vor Beginn der Veranstaltung. Es wird so voll, dass noch zusätzliche Stühle und Hocker angekarrt werden müssen. Teile des Publikums passen schließlich überhaupt nicht mehr hinein und verfolgen die Lesung vom Eingangsbereich des Gemeindehauses aus. Anlass für diesen Andrang ist ein Autor, der sein neustes Buch im Königsdorfer Literaturforum in der Christuskirche von Frechen-Königsdorf, einem Bezirk der Evangelischen Kirchengemeinde Weiden, vorstellt. Eine Reportage mit dem Titel: „Das Kreuz des Nordens – Reise durch Karelien“. Während die letzten stehenden Besucherinnen und Besucher den Raum mit den Augen absuchen, ob nicht doch noch irgendwo ein freier Sitzplatz ist, hört man von einigen die Frage: „Karelien? Wo liegt denn Karelien?“



Ein „Stück lebendiger Fernsehgeschichte“
Hier wird schon deutlich, dass die Menschen nicht nur zu einer Lesung des Königsdorfer Forums kommen, deren Thema sie interessiert. Sie kommen auch, um eine Legende zu sehen, ein Stück lebendiger Fernsehgeschichte: Als Gast begrüßt das Königsdorfer Literaturforum Klaus Bednarz, den zweimaligen Grimme-Preisträger, der über fast zwei Jahrzehnte das Gesicht des Politmagazins „Monitor“ war. Darüber hinaus war Bednarz als ehemaliger Student der Slawistik, der seine Promotion über Anton Tschechow geschrieben hat, auch langjähriger ARD-Korrespondent in Warschau und Moskau. Noch heute gilt er als der Experte für Osteuropa schlechthin. Als Chefreporter des WDR darf er sich seine Themen heute weitgehend selbst aussuchen. So kann Bednarz, der von einem warmen Applaus auf das Podium begleitet wurde, schmunzelnd erzählen, dass er bei der Ankündigung seiner „Reise durch Karelien“ die Frage beantworten musste, wohin genau er denn fahren wolle: „North- oder South-Carolina?“

Das „Kreuz des Nordens“
Die zweiteilige Fernsehdokumentation „Das Kreuz des Nordens“ lief zur Jahreswende. Bednarz las in Königsdorf aus dem begleitenden Buch vor. Es handelt nicht in erster Linie von der großen Politik, wie ja auch kein Landstrich bereist wird, der als weltbekanntes Touristenziel gelten kann, selbst wenn Bednarz Karelien als „eine der ältesten Kulturlandschaften Europas“ vorstellt. Am Beginn der Lesung beschreibt Bednarz selbst sein Reiseziel Karelien, „jenes sagenumwobene Grenzland zwischen Russland und Finnland. Es erstreckt sich von St. Petersburg bis zum nördlichen Polarkreis, vom Finnischen Meerbusen im Westen bis zum eisbedeckten Weißen Meer im Osten“. Anhand dieses entlegenen Orts zeigt Bednarz die Auswirkungen der Weltpolitik auf. Er beginnt mit konkreten Schicksalen und Begegnungen, erzählt von Schiffern und Bauern, und endet doch irgendwie immer bei den so genannten großen Zusammenhängen: zum Beispiel bei den Schlachten im Zweiten Weltkrieg zwischen Finnen und Russen um das unwirtliche Land oder bei dem sowjetischen GULAG-System, das im Kloster Solowski in Karelien seinen Anfang nahm. Das Publikum hört den Lesungen gebannt zu und merkt beim professionellen Moderator Bednarz teilweise zuerst gar nicht, dass die Lesung in spontane Erzählung übergegangen ist.

Bednarz bezieht Stellung
Dann geht die Lesung über in eine offene Fragerunde, bei der Bednarz Stellung bezieht, wie man es aus MONITOR-Zeiten kennt. Er bezeichnet Russland als Tyrannei, in der die kritischen Journalisten um ihr Leben fürchten und die Armen sich keinen Brotaufstrich mehr leisten können, während die Gewinner der Wende in teuren Restaurants sitzen, in denen eine Flasche Wein über tausend Euro kostet. Er berichtet von der Monopolstellung des staatlichen Fernsehens, das als Propagandainstrument des Kreml operiert. Und er berichtet von seinem Traum für die kommende Olympiade in China: „Bei der Eröffnungsfeier wünschte ich mir, dass Deutschland nur von einem Athleten vertreten ist, der die Fahne trägt, und einem, der das Schild hält, auf dem ‚Germany‘ steht. Das wäre ein Signal, das auch das chinesische Staatsfernsehen bei seiner Berichterstattung nicht vertuschen könnte.“

Der Abend endet schließlich mit einem Signier-Marathon. Das Publikum hat dem Jouernalisten lange aufmerksam zugehört, aber genug hat es offensichtlich noch lange nicht.

Text: Anselm Weyer
Foto(s): Weyer