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Von der Antike bis in die Gegenwart: Ein neues Buch präsentiert zwei Jahrtausende jüdischer Kunst und Kultur in Köln

Wer sich gewissenhaft mit der Geschichte Kölns beschäftigt, kommt an den jüdischen Beiträgen und Einflüssen nicht vorbei. Gleich, ob man sich ihr unter dem wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen, politischen, sozialen oder geisteswissenschaftlichen Aspekt nähert. Zwar ist diese Tatsache bekannt. Trotzdem gerät sie häufig aus dem Blickfeld. Die Publikation „Zwei Jahrtausende jüdische Kunst und Kultur in Köln“ vermag diese Gefahr weitgehend zu bannen und die Verhältnisse zurechtzurücken.



Historische und aktuelle Fotografien
Herausgeber Jürgen Wilhelm – er ist unter anderem Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit – und weitere zwölf AutorInnen, darunter HistorikerInnen, KunsthistorikerInnen, JudaistInnen und Mitglieder der Synagogen-Gemeinde, bieten einen ansprechenden Einblick in das Thema. Sie schlagen den Bogen von der Antike bis in die unmittelbare Gegenwart. Gut gegliederten Informationen sind historische wie aktuelle Fotografien beigegeben. Gemäß dem Titel finden sich zentral jüdische Kunst und Kultur behandelt. Dennoch müssen an der allgemeinen jüdischen Geschichte Kölns Interessierte weder auf entsprechende (wenn auch knappe) Darstellungen noch Verweise verzichten.

Der Beginn
Juden kamen mit den Römern ins Rheinland. Köln gilt als die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen. Früheste schriftliche Belege dafür sind zwei im Codex Theodosianus erhaltene Dekrete von Kaiser Konstantin aus den Jahren 321 und 331 an den Rat der Stadt Köln. Vermutlich ließen sich bereits in der Antike die Kölner Juden im Bereich des heutigen Rathauses nieder. Zumindest im Mittelalter standen dort deren Privathäuser und öffentliche Gebäude. Nach Ausgrabungen in den 1950er Jahren wurde die Mikwe, das Ritualbad, restauriert und mit einem gläsernen Pyramidendach versehen. Direkt daneben begannen im August 2007 die Grabungen für die Archäologische Zone. Sie soll unter dem Rathausvorplatz eingerichtet werden. An dieser Stelle ist auch das Haus der jüdischen Geschichte und Kultur geplant.
Die Veröffentlichung geht also zunächst den wenigen antiken und zahlreichen mittelalterlichen Spuren der Juden in Köln nach. Sie zeigt das relativ friedliche, das fruchtbare Miteinander, die gegenseitige Bereicherung von nicht-jüdischen sowie jüdischen Bewohnern auf. Und sie verdeutlicht den großen Anteil der Juden an der Entwicklung Kölns, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Zugleich bringt sie antijüdisches Verhalten der christlichen Bevölkerung zur Sprache. Dies steigerte sich bis zu offenem Judenhass und grausamen Ausschreitungen. Bei Kreuzzugs- und Pestpogromen werden das jüdische Viertel zerstört, dessen Bewohner vertrieben oder ermordet und schließlich, 1424, erneut vom Rat ausgewiesen. Erst seit 1798, im Zuge der französischen Besetzung Kölns, sind wieder Juden innerhalb der Stadtgrenze ansässig.
Ein größerer, reich illustrierter Abschnitt befasst sich mit der jüdischen Zeremonialkunst. Die erläuterten Kultgegenstände stammen mehrheitlich aus der bedeutenden Judaica-Sammlung des Kölnischen Stadtmuseums. Einzelne Exponate reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück.

Von Gebäuden und Menschen
Jüdischen Einrichtungen, Orten und Personen in Köln ist das umfangreichste Kapitel gewidmet. Helmut Fußbroich, der auch die Texte zur Dokumentation der Kirchenbauten in der Publikation „Evangelische Kirchen in Köln und Umgebung“ verantwortet, behandelt hier die untergegangenen wie existierenden jüdischen Gotteshäuser im heutigen Stadtgebiet. Die erstmals 1899 eingeweihte Synagoge Roonstraße wurde als einzige der beim Novemberpogrom 1938 (teil)zerstörten Synagogen nach dem Krieg wieder aufgebaut. Elfi Pracht-Jörns skizziert die ehemaligen jüdischen Schulen, die teils bis in den Zweiten Weltkrieg hinein bestanden haben. Die selbe Autorin nimmt auch die jüdischen Friedhöfe in den Blick. Die jüngste unter den bestehenden sieben jüdischen Begräbnisstätten in Köln wurde im Dezember 1918 an der Venloer Straße in Nachbarschaft zum Westfriedhof eröffnet. Heute wird sie als einzige noch belegt.

Im weiteren Verlauf stellt Monika Grübel Rabbiner und Gelehrte vom Mittelalter bis heute vor, die hier gewirkt haben. Ruhig breiter hätte die Auswahl von Kulturschaffenden und Unternehmern ausfallen können. Immerhin sind kurze Lebensbeschreibungen etwa der bildenden Künstler David Elkan, Eduard Bendemann und Otto Freundlich aufgenommen. Die Bankiersfamilie Oppenheim ist vertreten, ebenso der Komponist Jacques Offenbach und sein Vater, der Musiker Isaac Offenbach. Außerdem Karl Marx, der Politiker und Publizist Moses Heß sowie der Kaufmann Leonhard Tietz, der 1914 an der Hohe Straße das damals größte und modernste Warenhaus Europas einweihte. Den jüdischen Arzt und Pionier der Arbeiterbewegung, Andreas Gottschalk, porträtiert übrigens Klaus Schmidt, evangelischer Pfarrer im Ruhestand und Historiker aus Köln.

„Aus der Vergangenheit in die Zukunft blicken“
Die Ausgrenzung, Entrechtung, Verfolgung, Emigration und Ermordung von Juden unter den Nationalsozialisten wird in der insgesamt 311 Seiten starken Publikation insbesondere am Beispiel von Künstlern, Intellektuellen und Wissenschaftlern verdeutlicht. Auf Diskriminierung und Berufsverbot reagierte die jüdische Seite mit der Gründung des Jüdischen Kulturbundes Rhein-Ruhr. Dessen Zentrum war Köln. Doch auch hier schritt der „systematisch betriebene Ausschluss aus der deutschen Kultur“, der unter anderem ein Aufführungsverbot von Werken deutscher Schriftsteller und Komponisten beinhaltete, rasch voran.
„Dieses Buch hilft uns aus der Vergangenheit in die Zukunft zu blicken“, schreibt Netanel Teitelbaum, Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln, in seinem Vorwort. Das abschließende Kapitel untermauert diese Feststellung. Es ist dem Gemeindeleben nach dem Krieg, insbesondere seit den 1980er Jahren gewidmet. Sämtliche der Beiträge stammen von Miguel Freund. Das langjährige Mitglied der Gemeindevertretung und des Vorstandes der Kölner Synagogen-Gemeinde informiert über die beiden Zentren der Gemeinde, die Synagoge Roonstraße sowie das 2003 eröffnete Wohlfahrtszentrum in Köln-Ehrenfeld. Es beherbergt eine jüdische Kindertagesstätte und Grundschule, ein Elternheim und kleine Synagoge, Verwaltungs- und Vereinsräume. Freund stellt ebenso Vereine und weitere Einrichtungen der Gemeinde vor. Und erinnert schließlich an den Rabbiner-Sohn und Shoa-Überlebenden Ernst Simons. Der gebürtige Kölner prägte bis zu seinem Tod 2006 die Nachkriegsgemeinde mit und wirkte als Vermittler zwischen Juden und Nichtjuden. Mit Simons´ schon oft zitierten Antwort auf die Frage, wie sich Christen gegenüber Juden verhalten sollten, schließt das Buch: „Seien Sie gute Christen, und lassen Sie uns gute Juden sein!“

Das Buch
Jürgen Wilhelm (Hrsg.), Zwei Jahrtausende jüdische Kunst und Kultur in Köln, 311 Seiten mit 176 farbigen Abbildungen, Leinen, Greven Verlag, Köln, 39,90 Euro.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich