„Und am siebten Tage ruhte Gott sich aus!“ Dieser theologisch nicht unbedingt schwergewichtige Satz aus der Schöpfungsgeschichte hat seit mehreren tausend Jahren den Alltag der Menschen strukturiert und das gesellschaftliche Leben geformt. Der Sonntag als traditioneller Tag der Ruhe, der Entspannung, der freien Zeit, die Ausnahme der Regel, prägt in den christlichen Kulturen den Ablauf der Woche, ist Anfang und Ende zugleich und eine wichtige Richtschnur für die zeitliche Orientierung der Menschen. Aber hat der Sonntag heute noch diese zentrale Bedeutung? Und wenn ja, wie lange noch? Mit den tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohungen für den Sonntag – und andere Feiertage – beschäftige sich das 16. Altenberger Forum „Kirche und Politik“. „Sonn- und Feiertagsruhe – Wert oder Fessel?“ Über dieses Thema unterhielt sich die WDR-Journalistin Maija Bakker mit Dr. Dominik Schwaderlapp, Generalvikar des Erzbistums Köln, Landrat Rolf Menzel, Georg Daubenbüchel von der Interessengemeinschaft Bensberger Handel und Peter Prochnau, Geschäftsführer der Gewerkschaft ver.di in NRW Süd. Im wieder einmal bis auf den letzten Platz gefüllten Martin-Luther-Haus am Altenberger Dom verfolgte das Publikum aufmerksam und engagiert die Diskussion.
Entspannte Atmosphäre und entspannte Kunden
Weitgehende Übereinstimmung herrschte auf dem Podium bei Bakkers Eingangsfrage nach dem realen beziehungsweise dem perfekten Sonntag. Alle nannten Begegnungen und Gespräche mit der Familie und mit Freunden, Spaziergänge, Entspannung – und alle auch ein bisschen Arbeit. Allerdings in einer Dosis, die einen Stressfaktor nicht erkennen ließ. Und die individuelle Empfindung von und Belastung durch Arbeit war dann auch der erste Punkt, an dem sich unterschiedliche Meinungen fest machen ließen. „Ich empfinde die Arbeit am Sonntag nicht als Störung, weil es mir Spaß macht. Auch die Kunden, die sonntags einkaufen, sind ganz anders, viel entspannter. Da entwickeln sich auch viele Gespräche“, berichtete Georg Daubenbüchel aus seiner Erfahrung. Er führt einen Familienbetrieb mit zehn Angestellten in Bensberg. An vier Sonntagen im Jahr öffnen er und zahlreiche andere Geschäftsleute zu unterschiedlichen Anlässen ihre Geschäfte. „Auch unsere Angestellten ziehen da mit, weil sie die Einkaufsatmosphäre am Sonntag ebenfalls als besonders einschätzen. Und für fünf Stunden Arbeit am Sonntag werden sie mit zehn Stunden Freizeit unter der Woche entschädigt.
Stress und Belastung für die Beschäftigten
Vier Sonntag im Jahr, kann man da von einer Bedrohung der Sonntagsruhe sprechen? Kann man, meint der Gewerkschafter Peter Prochnau. „Die wenigsten unserer Mitglieder wollen die Sonntagsarbeit. Und in 15 Jahren hat sich der Anteil der Beschäftigten, die mehr oder weniger regelmäßig auch sonntags arbeiten, von 20 auf 30 Prozent erhöht. Es sind ja eben nicht nur vier Sonntage im Jahr. Das gilt für einen Ort oder Stadtteil. In einem Ballungsraum wie Köln mit den umliegenden Kreisen sind jeden Sonntag irgendwo die Geschäfte auf.“ Unterstützung erhielt Prochnau von der katholischen Kirche: „Gehen Sie mal an einem verkaufsoffenen Sonntag über die Schildergasse in Köln. Von einer entspannten Einkaufsatmosphäre werden sie da nichts spüren. Das sehen die Menschen, die dort arbeiten, genauso.“ Nicht umsonst hätten die so genannten Überlastungskrankheiten zugenommen, ergänzte Prochnau. Und ein weiteres Argument führte er gegen die Sonntagsarbeit ins Feld: „Zwei Drittel der Beschäftigten im Handel sind Frauen. Wir können nicht heute über Familien- und Kinderfreundlichkeit reden und morgen die Sonntagsruhe als Zeit für die Familie durch immer neue Konsensrunden aushöhlen.“
Keine klaren Regelungen
Diese Konsensrunden, bei denen auf kommunaler Ebene Politik, Geschäftsleute, Kirchen und Gewerkschaften die Anzahl und Verteilung der verkaufsoffenen Sonntage vereinbaren, sah auch der Politiker Rolf Menzel kritisch: „Vom Gesetz her ist alles klar: Die Sonntagsruhe ist ein Gut, das geschützt werden muss“, zitierte er einen Artikel aus dem Grundgesetz. In der Praxis sei aber alles unklar, weil es eben so viele Ausnahmen, Sonderregeln und Vereinbarungen gebe. „Wir leisten uns viele Krücken, um diese Ausnahmen zu begründen.“ Sein Fazit: „Gesetzlich ist das nicht zu regeln.“ Was Schwaderlapp mit dem Hinweis auf das Ladenschlussgesetz konterte: „Es gibt auch für Sonntagsöffnungen Rahmenbedingungen, an die sich alle halten müssen. Man muss sie nur entsprechend definieren.“
Sonntagseinkauf als kultureller Mehrwert?
Oder auch nicht. „Wer sonntags nicht einkaufen gehen will, der muss es doch auch nicht“, wollte Daubenbüchel die individuelle Entscheidungsfreiheit der Menschen nicht einschränken. Aber wenn wir die verkaufsoffenen Sonntage haben, sind die Geschäftsviertel voll. Früher gingen die Menschen nach der Kirche zum Frühschoppen in die Kneipe, heute gehen sie nach der Kirche in die Stadt zum verkaufsoffenen Sonntag. Da treffen sich die Menschen. Da wird nicht gedankenlos eingekauft, da treffen sich die Menschen und reden miteinander“, gewann er dem Sonntagsshopping auch einen kulturellen Wert ab. Einen Mehrwert, den im Übrigen auch die katholische Kirche gerne mitnehme, wie er und ein Gast im Publikum süffisant-kritisch anmerkten: „Die Souvenir- und Andenkenläden sowohl am Altenberger Dom als auch am Kölner Dom sind ebenfalls sonntags geöffnet.“ Ein Umstand, mit dem Dominik Schwaderlapp „nicht glücklich“ ist.
Konkurrenzdruck, aber keine Umsatzzuwächse
Peter Prochnau führte auch wirtschaftliche und finanzielle Argumente gegen die verkaufsoffenen Sonntage ins Feld: „Im Handel gibt es seit vielen Jahren kaum Umsatzzuwächse. Das Einkaufen am Sonntag führt nur zu einer Verschiebung der Umsätze, und davon profitieren in erster Linie große Handelsketten und Geschäfte in Spitzenlagen.“ Viele andere Geschäfte würden unter Umständen noch draufzahlen, andere müssten, obwohl sie gar nicht wollten oder könnten, zwangsweise mitziehen, weil die Konkurrenz es ja auch mache. Ganz so einfach sah es Georg Daubenbüchel nicht: „Wir Einzelhändler haben den großen Konkurrenten Internet. Das ist sieben Tage rund um die Uhr geöffnet. Wir müssen dann unsere Geschäfte öffnen, wenn die Menschen einkaufen können. Und das ist eben auch am Sonntag.“ Er sieht einen viel größeren Handlungsbedarf bei den Öffnungszeiten unter der Woche. „Einkaufen bis Mitternacht? Ist das notwendig? Das ist betriebswirtschaftlich völlig unsinnig und nur für große Ketten praktikabel. Und dagegen fallen die vier Sonntage im Jahr mit jeweils fünf Stunden Öffnungszeiten doch kaum als Belastung für die Angestellten ins Gewicht.
Entschleunigung des Alltags
Obwohl er der individuellen Sichtweise und Ausprägung des Bensberger Einzelhändlers durchaus folgen konnte – seinen Standpunkt wollte Schwaderlapp keineswegs aufgeben. „Wir sollten das nicht auf die paar Stunden an vier Sonntagen reduzieren. Es geht um den generellen Wert des freien Tages zur Entspannung und Entschleunigung des Alltags.“ Auch die Jugend bräuchte diesen Rhythmus. „Warum geben wir dieses Gut so leichtfertig auf?“ Zur Verdeutlichung wählte er die kleine Geschichte von Loriot, in der ein Mann im Sessel sitzt „und einfach nur nichts tun will“. Dieses Nichtstun, positiv gedeutet, sei heutzutage in unserer Gesellschaft kaum noch denkbar. „Wir müssen immer in Bewegung sein, immer etwas machen, immer etwas erledigen oder immer etwas leisten.“ Es falle schwer, sich dem zu entziehen, doch gerade der Sonntag biete die Möglichkeit, dass das gelingen könne.
Publikum reagierte unterschiedlich
Die Diskussion war abwechslungsreich und vielschichtig, auch wenn sie sich „nur“ mit dem Einkaufen an verkaufsoffenen Sonntagen beschäftigte. Die Sonntagsarbeit im Gesundheitswesen, im Sicherheitsbereich, in der Gastronomie oder im Kultursektor stand nicht zur Debatte und wurde von den Podiumsgästen auch nicht in Frage gestellt. Auch die regelmäßigen Versuche, die so genannten stillen Feiertage – Karfreitag, Allerheiligen, Totensonntag und Volkstrauertag – aufzuweichen, wurden nur gestreift. Aber auch so bot das Thema reichlich Gesprächsstoff, und die Reaktionen im Publikum zeigten, dass es keine eindeutige Mehrheit für eine der Positionen gibt. Es wurde sowohl Verständnis für die Situation der Einzelhändler gezeigt, als auch mehr Regelungen für einen Schutz des Sonntags gefordert. Mit einem abschließenden Dank an alle Teilnehmenden entließ die Gastgeberin, Pfarrerin Claudia Posche von der Evangelischen Kirchengemeinde Altenberg, die Besucherinnen und Besucher. Und die nahmen sicherlich einige Anregungen für den bevorstehenden Weihnachtseinkauf mit.
Foto(s): Fleischer