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Vom Ohr ins Herz: Mit „Psalm 31“ ins neue Schuljahr

Zum 500. Reformationsjubiläum knüpfte der diesjährige Schulanfangsgottesdienst eine kleine Brücke zu Martin Luther: „…dass der Psalter wohl möcht’ eine kleine Bibel heißen“, so hatte der Reformator einst die Sammlung der alten Gebete kommentiert. Deren Verse werden seit Jahrtausenden von Gläubigen gesprochen, um Trost und Hoffnung zu finden oder Klage und Trauer auszudrücken.

Eine Art Kette von Betenden durch die Zeiten von damals bis heute – bis zum Schulanfangs-Gottesdienst in der Kartäuserkirche. Ihn hatten das Evangelische Schulreferat und das Pfarramt für Berufskollegs im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region – im vierten Jahr nun – gestaltet und dabei einen Text ins Zentrum gerückt: Psalm 31.

Trost und Hoffnung in Psalm 31
Aus diesem langen Psalm sind vor allem zwei Sätze sehr bekannt: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Vers 9b) und „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Vers 16a), letzteres auch als Kirchentags-Motto populär geworden. Aber was steht eigentlich in diesem 31. Psalm, dessen Trost und Hoffnung die anwesenden Lehrerinnen und Lehrer ins neue Schuljahr begleiten sollte? Um den Inhalt zu vergegenwärtigen, trugen vier Stimmen das Gebet abwechselnd in Gänze vor – von verschiedenen Ecken des Gotteshauses aus. Die Worte füllten den Raum, um vom Ohr ins Herz zu sacken.

Zwei Kurz-Predigten
Mit der Deutung des Psalms beschäftigten sich – nach Gebet und Schriftlesung – zwei Kurz-Predigten, gehalten von Superintendent Markus Zimmermann und Johannes Voigtländer, Pfarrer des Berufskollegs. Beide hatten gemeinsam mit den Pfarrer-Kollegen Hanser Brand von-Bülow und Jost Klausmeier-Saß sowie mit den Referenten des Schulreferats – Utta Brauweiler, Dr. Rainer Lemaire und Thomas vom Scheidt – den Schulanfangsgottesdienst gestaltet.

„Sich Dinge zusagen lassen von Gott“
Zimmermann ging vom Lehr-Alltag aus und erntete bestätigende Lacher, als er seine Erfahrungen aus dem Schulleben skizzierte. „Es ist eigentlich nie, wie man es geplant hat“, stellte er fest. Mal sei nicht genug Papier am Kopierer, mal kein einziger Schüler da. Zudem gelte es nach den Ferien, sich nicht nur wieder in die Schule einzufinden, sondern sich auch auf neue Schüler und womöglich Kollegen einzustellen und „durch die Kreativität und Fantasie den Unterricht zu gestalten.“ In dieser Situation „ist es wichtig, sich Dinge von Gott zusagen zu lassen.“

Psalm-Vers als Schutz vor Überforderung
Psalm 31, gesprochen ursprünglich von einem Menschen auf der Flucht vor seinen Feinden und vor Fallen und Netzen, biete Schutz vor Überforderung. Zu Anfang stehe „eine wunderbare Zusage“ im Text: „Herr, auf dich traue ich.“ Unsere „Fallen und Netze“ seien heutzutage anders. Sie reichten von der „Freiwillig bin ich nicht hier“-Haltung mancher Schüler über Rechtfertigungen gegenüber Eltern bis zum Vertretungsbedarf. Doch bei all dem gelte mit Blick auf Psalm 31: „Ich bin nicht allein.“ Der Superintendent riet, diesen Psalm-Vers wie einen Spezialschutz gegen Überforderung und Nerverei anzuwenden: „Sagen Sie sich das vor, wenn Sie in das Gebäude kommen und das Chaos schon wieder vor sich sehen.“

Das Fach Religion weitet den Blick
Die Zeile „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ sei gerade auch für Religionslehrer bedeutsam, so Zimmermann. Denn es sei Fakt, „dass der Religionsunterricht schon junge Menschen bewegt.“ Oder anders ausgedrückt: „Das Fach, das wir zu verantworten haben, weitet den Blick.“ Und führe oft zu neuen Theologen. Denn frage er Theologie-Studenten nach ihrer Motivation, heiße es in über der Hälfte der Fälle: „Ich hatte einen tollen Religionsunterricht.“

Überraschende Auslegung von Vers 16
Pfarrer Voigtländer hob „Ruhe und Trost“ hervor, die Psalm 31 spende. In den Fokus seiner Kurz-Predigt rückte er den Vers „Meine Zeit steht in deinen Händen“ – und überraschte dabei mit einer ungewöhnlichen Auslegung. „Der Satz ist eine Aussage, die wie ein Fels in der Brandung steht“, so Voigtländer zur konventionellen Deutung der Zeile. Doch diese vom Ich getroffene Festsetzung befremde ihn, weshalb er im Hebräischen nachgeschlagen und entdeckt habe, dass die wortgetreue Übersetzung korrekt lauten müsse: „In deiner Hand meine Zeiten.“ Eine andere Pluralbildung, die Verschiebung der Substantive und kein Verb. Dadurch klinge der Vers nicht mehr wie eine Festsetzung, sondern wie eine Bitte, wie ein Gebetsruf.

„In deiner Hand meine Zeiten“ bringt Freiheit
Das Wort „Zeiten“ vermittle zudem etwas Dynamisches: nach diesen Zeiten folgen jene. Während die gängige Übersetzung „Zeit“ einen Zeitstrahl impliziere mit einem Anfang und einem nicht absehbaren Ende, rhythmisiere der Begriff „Zeiten“ das Leben durch immer wieder neue Anfänge und Enden. „Hier könnte durch ein anderes Zeitverständnis Freiheit entstehen“, so Voigtländer. Denn man dürfe immer wieder etwas hinter sich lassen und neue Anfänge wagen. Auch dass es im Urtext „Hand“ statt „Hände“ heißt, gefiel dem Pfarrer: „Ich finde es unglaublich entlastend, dass Gott für uns und unsere Nöte nur eine Hand braucht.“ Die andere habe er sozusagen für anderes frei.

Berührende Einzelsegnungen
Das Abendmahl wurde auch dieses Jahr wieder in einem riesigen Kreis der Anwesenden um den Altar gefeiert, wobei die anschließende Einzelsegnung jeder Person von vielen als sehr berührend empfunden wurde. „Sei getrost und unverzagt, Gott schütze dich im neuen Schuljahr.“ Solchermaßen gestärkt konnte nach den Fürbitten und dem Segen hinaus in die Sonne geschritten werden, begleitet von der energiegeladenen Spielweise Thomas Frerichs’, Kantor der Kartäuserkirche.

Psalm 31 … to go
Viele nahmen sich Zeit, sodann in der Kartause bei einem Imbiss ins Gespräch zu kommen. „Ich hatte mich schon gefragt, was es dieses Mal gibt“, sagte eine Lehrerin und entfaltete das Mini-Buch, das sie als Give-away am Kirchenportal erhalten hatte. „Psalm 31 … to go“ stand auf der Eigenkreation der Veranstalter, der ein Mini-Marker beigefügt war. So konnte jeder seine persönlichen Favoritenverse kennzeichnen – als Westentaschen-Stärkung fürs neue Schuljahr.

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser