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Verschiedene Perspektiven und doch ein Ziel. Sichtbare Schritte zu einer ökumenischen Zukunft der Kirche beim 11. Kölner Ökumenetag

Über der Kölner Innenstadt kreiste ein Polizeihubschrauber, Straßensperren erlaubten nur Fußgängern und Radlern den Zutritt zum Stadtkern. Der von der rechtspopulistischen Organisation „Pro Köln“ anberaumte und von der Polizei aufgrund Sicherheitsbedenken kurzfristig verbotene „Anti-Islamisierungskongress“ auf dem Heumarkt warf seine Schatten auch auf den 11. Kölner Ökumenetag. Zu diesem hatte der Evangelisch-Katholische Arbeitskreis im Stadtbereich Köln eingeladen. „Die Zukunft der Kirche ist ökumenisch. Worauf warten wir noch?“ lautete das Motto. Zur Einstimmung gab es am Vorabend in der evangelischen Trinitatiskirche einen musikalischen und kulturellen Abend „auf dem Weg zur Einheit der Kirche“. Am Folgetag trafen sich gut 200 Christinnen und Christen in der katholischen Kirche St. Maria im Kapitol, um das Thema in Vorträgen sowie Arbeitsgruppen unter verschiedenen Aspekten zu behandeln. Den Abschluss bildete ein ökumenischer Vespergottesdienst.

Friedensgrüße an „unsere Nächsten aus allen Völkern“
An der von den christlichen Kirchen mitgetragenen Protestkundgebung „Köln stellt sich quer“, bei der sich zur selben Stunde 10.000 Menschen gegen das Treffen und die Geisteshaltung der Rechtsgerichteten zusammenfanden, beteiligten sich die Ökumenetag-Besuchenden in St. Maria im Kapitol mit einem ökumenischen Friedensgebet. Zeitgleich, um 12 Uhr, sandten auch die Kundgebungsteilnehmenden an der Bühne am Gürzenich mit identischen Psalmen und Liedern Friedensgrüße an „unsere Nächsten aus allen Völkern“.

Ökumene-Veranstaltung ein „ökumenisches Leuchtfeuer“
Am Gürzenich war der Evangelische Kirchenverband Köln und Region unter anderem mit Rolf Domning vertreten. Bevor der stellvertretende Stadtsuperintendent sich zur Gegendemonstration aufmachte, begrüßte er die Teilnehmenden des Ökumenetages. Hier wie vor dem Gürzenich werde heute ein Zeugnis für die Stadt abgelegt, sagte Domning. Am Gürzenich wolle man eine Verbindung schaffen zu dem, was „hier bei ihnen passiert“, charakterisierte Domning den 11. Kölner Ökumenetag als „ökumenisches Leuchtfeuer“.

Multikulturell und bunt „erklang“ die Ökumene mit vielen Mitwirkenen
„Wie Ökumene klingt“ – so wurde der 11. Kölner Ökumenetag am Freitagabend, 19. September, in der Trinitatiskirche eröffnet. „Musik und mehr auf dem Weg zur Einheit der Kirche“ – die Zuhörerinnen und Zuhörer erlebten ein musikalisches, tänzerisches und kabarettistisches Programm, das die Vielfalt des kölnischen ökumenischen Lebens lebendig vor die Ohren und Augen führte. Pastor Meinderd de Vries von der niederländisch-reformierten Kirche in der Kölner Region und zugleich Vorsitzender des Internationalen Konventes christlicher Gemeinden in Köln, ermunterte zu Beginn in seinem Grußwort die deutschen Gemeindeglieder dazu, die ausländischen christlichen Gemeinden als willkommene Gäste in die Gemeindezentren und Kirchen einzuladen. Der Chor der baptistischen Gemeinde an der Friedenskirche „Sound of Salvation“, der Ökumenische Musikkreis Musica Vita aus Pulheim, der Chor der evangelischen Hanbit-Gemeinde aus Südkorea, die äthiopisch-orthodoxe Sängerin Tsega Tebege, der evangelische Kirchenmusiker Thomas Frerichs mit Band und die Tänzerin Susanne Steinkuhl zeigten je auf ihre Weise, wie bunt, mitreißend und vielfältig das Lob Gottes, das Vertrauen auf seine Liebe und die Hoffnung auf Neuaufbrüche sein können. Dorothee Schaper, Pfarrerin an der Melanchthon-Akademie und Beauftragte für den christlich-islamischen Dialog, unterbrach die ‚Andacht‘ durch zwei kabarettistische Auftritte als „Polly von der Kartäuserjass“. Angesichts der schönen Musik hatte sie ihren Entschluss, aus Köln mit Sack und Pack auszuwandern, kurzerhand aufgegeben.

„Was hast Du, was ich nicht habe?“
Dechant Rainer Fischer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Köln (ACK), grüßte auch im Namen von Stadtdechant Johannes Bastgen. „Ich erhoffe mir etwas ganz Besonderes“, so Fischer: Dass man nicht nur nachdenke über die Zukunft der Kirche, sondern sie vorweg nehme. Das Thema „Die Zukunft der Kirche ist ökumenisch“ könnte zu Missverständnissen Anlass geben: „Worauf warten wir noch bei der Suche nach der Einheit der Christen? Was hast Du, was ich nicht habe?“ bestärkte Fischer die Anwesenden. „Sie haben die große Chance, weiter zu denken. Solche Zeichen erwarte ich. Wir in der Ökumene sind so etwas wie Mutmacher.“ Ökumene heiße so viel wie Haus, Wohnen. „Wenn Kirche das Haus Gottes ist, dann hat Kirche Zukunft.“

Eigene Sichtweise ist nicht die einzig mögliche
Vielleicht hatten einige der Teilnehmenden auf dem Weg zu ihren Plätzen das Kirchenmodell aus Pappe im Mittelgang begutachtet. Darauf waren Zettel mit Stellungnahmen zur Ökumene angebracht. Eine Formulierung stammte von Friedrich Weber, Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche von Braunschweig: „Das erste, was man sich abgewöhnen muss, ist es, die eigene Sichtweise für die einzig mögliche zu halten.“ Dass es verschiedene Perspektiven und doch ein Ziel geben kann, machten denn auch die beiden anspruchsvollen Referate am Vormittag deutlich.

Theologischer Dialog „unglaublich positiv“
Zum Auftakt sprach Professorin Dr. Birgitta Kleinschwärzer-Meister aus der Perspektive katholischer Theologie und Kirche über „Zukunft der Ökumene – Ökumene der Zukunft“. Nachdem die Münchnerin die Haltung der katholischen Kirche vor und nach dem II. Vatikanischen Konzil referiert hatte, sprach sie über die gegenwärtige Situation des evangelisch-katholischen Verhältnisses. Kleinschwärzer-Meister informierte über die drei hauptsächlichen Ebenen der Ökumene: Über die geistliche Ökumene, die Ökumene auf der Ebene der Lehre und diejenige im sozial-diakonischen Bereich. Dem evangelisch-katholischen theologischen Dialog attestierte sie „unglaublich Positives“ als auch ungelöste Schwierigkeiten. Positiv sei etwa die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999. Unverändert Probleme gebe es dagegen im Berich des Sakraments-, Kirchen- und Amtsverständnisses. Im dritten Teil wandte sich die Professorin der Zukunft der Ökumene zu. Diese werde entscheidend davon abhängen, „ob wir bereit und fähig sind zu einer ´Ökumene der Zukunft´“. Dies setze eine Perspektivenerweiterung voraus. Mindestens müsse die bestehende Perspektivenerweiterung positiv zur Kenntnis genommen werden. Als wesentliche Aufgaben einer solchen „Ökumene der Zukunft“ nannte Kleinschwärzer-Meister zunächst die Lösung der bestehenden theologischen Probleme, die Suche nach einer ökumenischen Hermeneutik und Praxis angesichts ungelöster struktureller Probleme: Wie steht es um die Amtsfrage und Zielfrage der Ökumene, also um die Gestalt und Bedingungen der kirchlichen Einheit? Die bereits bestehende und gelebte ökumenische Gemeinschaft auf allen Ebenen der Kirche müsse wieder neu wahrgenommen und vertieft werden. Schließlich sei es Aufgabe einer „Ökumene der Zukunft“, nach einer gemeinsamen Antwort auf die Herausforderungen der so genannten postmodernen Gesellschaft zu suchen.

Es kann keine Rede sein von „ökumenischer Eiszeit“
Über evangelische Perspektiven referierte Professorin Elisabeth Parmentier von der Fakultät für evangelische Theologie der Uni Straßburg. „Versöhnung als Gabe und Aufgabe“ hatte sie ihre Ausführungen betitelt. Angesichts der Resultate der ökumenischen Arbeit, der diesbezüglichen kirchlichen Erklärungen in den letzten 50 Jahren könne von einer „ökumenischen Eiszeit“ nicht die Rede sein. Andererseits bestehe sie dort, wo „es um die Bewusstseinsveränderung, um die Konsequenzen und die reale Umsetzung dieser Errungenschaften in deutlichen, sichtbaren Schritten geht“. Dabei sei die Einheit in Christus allem Bemühen um Einheit schon vorausgesetzt. Nur müsse sie auch gelebt werden. „Versöhnung der Christen geschieht nicht nur im Herzen und im Gebet, sondern verlangt nach gelebter Versöhnung der Kirchen.“ Versöhnung mit Gott und dadurch miteinander bilde das Herz des christlichen Glaubens. „Somit ist Ökumene nicht eine Option, sondern die notwendige gemeinsame Bekehrung zum Zentrum des Glaubens.“

Einheit durch geschichtliche Trennungen verdunkelt
Durch geschichtliche Trennungen sei die Einheit verdunkelt. Nun gehe es darum, sie derart zum Vorschein zu bringen, dass Etappen der Versöhnung möglich würden. Parmentier blickte auf Erreichtes, etwa das „Lima-Dokument“ (1982), mit dem spätestens die Taufe gegenseitige Anerkennung findet, lange vor der Erklärung der christlichen Kirchen in Deutschland im April 2007, die wechselseitig die Taufe anerkannten.

Der für die Veränderung notwenige Prozess muss „durchlitten werden“
Für Parmentier liegt das Grundproblem der ökumenischen Arbeit, in der sie zudem „Angst vor verbindlichen Schritten“ konstatiert, nicht in der Verschiedenheit und Existenz mehrerer Kirchen. Vielmehr in ihrer Unversöhntheit und der Schwierigkeit, sich einander voll anzuerkennen. Wichtig sei dabei nicht nur eine „Ökumene des Lebens“, sondern auch eine Ökumene des Lehrkonsens´. „Es kann nicht darum gehen, nur identische Glaubensaussagen zu produzieren, vielmehr gelte es danach zu trachten, dass die darin ausgedrückte Wahrheit des Glaubens, in der einer Kirche eigenen Logik und Systematik und Formulierung auch in der anderen Kirche anerkannt sein kann.“ Der bis zu den notwendigen Veränderungen führende Prozess müsse sozusagen durchlitten werden auf der Ebene der Menschen, der Theologie und der Kirchen/Kirchenleitungen. Veränderungen fänden meist aber statt mit asymetrischen Vermittlungen zwischen diesen drei Ebenen. Dies führe zu gegenseitigen Hemmnissen. „Pfarrer, Theologen, verantwortliche Laien in den Gemeinden sind die Vermittler, ohne die keine ökumenische Zukunft möglich ist.“ Gemeinsame Ausbildungen, Bildungsorte, ökumenische Initiativen und Gruppen bildeten deshalb die Zellen, „die zwischen Kirchen, Theologen, Gemeinden den ökumenischen Organismus aufleben lassen“. Gemeinsames Feiern und Zusammenleben, also die Erfahrung gelebter Ökumene, sei ebenso notwendig wie Theologie und verbindliche Texte.

Bedrohliches Gefühl: Identität aufgeben zu müssen
Am Beispiel etwa der „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ machte Parmentier das innerevangelische Brücken-Modell deutlich. Es beinhaltet eine „volle Versöhnung verschiedener Kirchen, die sich gegenseitig anerkennen und miteinander Kirchengemeinschaft erklären“. Ein solches Modell der gegenseitigen Anerkennung gebe die Verschiedenheit nicht auf, „sondern nimmt sie als Bereicherung wahr, sofern sie nicht kirchentrennendes Potential aufweist“. Andererseits wies Parmentier darauf hin, dass sich die meisten „Protestanten“ durch ihre Geschichte, Minderheits- und Diasporasituation definierten, durch ihre ethischen Werte und Freiheitsliebe. Bei ihnen könne Ökumene in einer ohnehin von Wandel und Veränderung geprägten Zeit die Verunsicherung und das bedrohliche Gefühl steigern, die eigene Identität und Geschichte „aufgeben“ zu müssen.

Parmentier befürwortet ein „selbstbewusstes evangelisches Profil“
Angst vor dem Verlust ihrer Überzeugung und Identität sei das große Dilemma auch in der Logik der Ökumene in der katholischen und evangelischen Kirche. Das berge die Gefahr von Profilierung und Konkurrenz. Parmentier befürwortet zwar „ein selbstbewusstes evangelisches Profil, das in der Lage ist, auf seine spezifische Art die christliche Botschaft klar und überzeugend zu vermitteln“. Aber eine Ökumene der Profile und Differenz brächten keine Zukunftsperspektive für die Ökumene. Nicht nur die Selbsterhaltung evangelischer Konfession sei wichtig, sondern die Demonstration, „dass evangeliumsgetreue Botschaft auch die Notwendigkeit verbindender Zeugnisse und Wege mit sich bringen sollte, und darum die Stärkung der Identitäten, die bereit sind, miteinander zu wachsen und voneinander zu lernen, wie konfessionsverbindende Ehen, ökumenische Gruppen und Partnerschaften“.

Es gehe nicht um eine billige Einheit, sondern um gewissenhafte Prüfung
Schließlich ging Parmentier ein auf gemeinsame Sorgen und Hoffnungsschimmer. Ökumene geschehe immer im Zusammenhang sozio-kultureller Ereignisse. Zunächst zustande gekommen als Reaktion gegen die Verwüstungen der Weltkriege, sieht sie heute „wieder so eine gute Zeit für die Ökumene: das zusammenwachsende Europa und die Globalisierung sind eine Motivation, denn die Versöhnung der Völker kann nur glaubwürdig vertreten werden von Kirchen, die sich auf diesen Weg begeben“. Kirchen könnten zu allen gesellschaftlichen Problemen, zu Konflikten „nur im gemeinsamen Bekennen ihres Glaubens antworten, und zwar immer kontextuell“. Denn die Menschen seien deutlich weniger an den konfessionellen Unterschieden und deren Versöhnung interessiert, vielmehr an „sichtbaren Formen der Zusammenarbeit oder gar des Zusammenlebens“. Laut Parmentier geht es „nicht um billige Einheit, sondern um gewissenhafte Prüfung, wie weit unsere Kirchen veränderbar sind“. Wenn Ökumene eine Frucht des heiligen Geistes sei, werde gemeinsam gelebter und gefeierter Glaube „uns reifen lassen zu einer Umkehr, in der wir lernen, uns gegenseitig so zu vertrauen, dass wir bereit sind, auch unsere Sicherheit aufs Spiel zu setzen, weil wir uns von der anderen Kirche unterstützt wissen“.

Dr. Bock: „Schon die Gegenwart der Kirche ist ökumenisch“
Am Nachmittag vertieften elf gut besuchte Arbeitsgruppen die Anstöße und Fragestellungen der Vorträge: Ökumenische Gemeindepartnerschaften, der Umgang der Kirchen mit ‚Schrift und Tradition‘, die brennende Frage der Gastfreundschaft bei der Eucharistie- und Abendmahlsfeier, die Positionen der orthodoxen Theologie für den ökumenischen Dialog, ökumenische Feierformen, der Zusammenhang der Taufe zur Schöpfungsverantwortung, die Ämterfrage und die umstrittene „Bibel in gerechter Sprache“ beschäftigten die Besucherinnen und Besucher des Ökumenetages, bevor um 16.30 Uhr der Vespergottesdienst den Höhepunkt bildete. Musikalisch wurde dieser von einem gemeinsamen Chor getragen, der sich aus Mitgliedern des Luther-Chors an der Lutherkirche unter der Leitung von Thomas Frerichs und des Chores „Himmel und Ääd“ an St. Severin unter der Leitung von Gerd Schmidt zusammensetzte. In der Predigt betonte Ökumenepfarrer Dr. Martin Bock, dass die Gegenwart Jesu Christi nicht nur die Zukunft betimme: „Deshalb ist schon die Gegenwart der Kirche ökumenisch“, stellte er heraus. Mit Blick auf den 20. September und alle Aktionen von ‚Köln stellt sich quer‘ war ihm wichtig, dass das „Amt der Versöhnung“, das die Kirchen wahrnehmen, im Sinne Jesu nur eine Bitte sein kann. Es widerstehe allen Gewalt- und Sündenbockfantasien, die von Rechts immer wieder aufgebaut würden. „Christen leben aus der Gegenwart der Gerechtigkeit. Diese breiten sie in der Stadt aus, orientieren daran ihren Lebensstil“.
Am Ende des Gottesdienstes wurde durch die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln das Kölner Ökumene- und Versöhnungskreuz erneut in die Gemeinden ausgesandt – bis zum 2. Ökumenischen Kirchentag in München im Mai 2010. Im Monat Oktober beginnt das Ökumenekreuz seine Reise in den christlichen Kirchen der Stadt Brühl.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich