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Norbert Bauer, Christof Ziemer, Ulrike Schulte-Richtering, Dr. Tobias Kläden, Charlotte Theile und Dr. Martin Bock auf dem Podium der Melanchthon-Akademie

„Verbindender Glaube – Trennende Biografien“

30 Jahre Wende, auch für die Kirchen in Deutschland

Zwei Vorträgen, in Köln und in Erftstadt, organisiert vom Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, widmen sich dem Thema „Mauerfall“. Dabei richtet sich der Blick zurück auch auf die Kirchen. Den Beginn der Veranstaltungsreihe machte eine Podiumsdiskussion in der Melanchthon-Akademie.

Dr. Martin Bock, Leiter der Akademie und Norbert Bauer, Leiter der Kölner Karl-Rahner-Akademie, führten durch den Abend. Zu Gast waren Dr. Tobias Kläden, Ulrike Schulte-Richtering, Christof Ziemer und Charlotte Theile. Alle vier gaben Einblick in ihre ganz persönliche Ost-West-Biographie, berichteten über ihren Glauben und ihr Verhältnis zur Kirche, heute und gestern.

Mit ihren Lebensgeschichten brachten sie unterschiedliche Perspektiven und damit auch viele Anregungen mit. „Wir haben uns im Vorfeld der Veranstaltung bewußt dazu entschieden, diesen Biographien auch Raum zu geben“, so Bock einführend.

Freiheit, Gerechtigkeit und Schuld – Welche Rolle spielten die Kirchen?

Schon die Biographien und Werdegänge der vier Gäste gaben ausreichend spannenden Input, alle Beteiligten hätten an vielen Stellen spürbar noch länger über viele bewegende Erlebnisse sprechen können und wollen. Alle vier Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer haben eine intensive Zeit des Umbruchs miterlebt und ihr eigenes Empfinden als Christ immer wieder reflektiert. „Das Christsein der Westdeutschen, wie ich es kennen lernte, hatte viel weniger Inhalt. Ich war gefühlt viel mehr Christ“, stellte zum Beispiel Schulte-Richtering mit Blick auf ihre Studienzeit nach der Wende fest. „Ich hatte damals Theologie studiert und wir setzten uns intellektuell auseinander mit der Wirklichkeit, in der wir lebten“, so eine Aussage von Ziemer. Er berichtete von seinem Erleben des Prager Frühlings, aber auch den Jahren auf dem Balkan sowie ganz frühen Erinnerungen an die Zeit des Krieges.

Bock stellte im Verlauf des Abends die Frage, ob es eine ost- und westdeutsche Seele gebe. Später ging es dann um die Frage, welche Rollen die Kirchen im Verlauf der Jahre gespielt haben. Die Themen Freiheit, Gerechtigkeit und Schuld wurden benannt und reflektiert. Alle Redner erinnerten sich auch daran, dass es damals, zur Zeit der Wende und in den darauffolgenden Monaten schnell gehen sollte. Es war „das Volk“, welches diese Geschwindigkeit wollte. „Die errungene Freiheit musste gestaltet werden“, so Ziemer. Zur Debatte gestellt wurde dabei auch die Frage, ob der Beitritt zum Grundgesetz sich im Beitritt zur Kirche gespiegelt habe. „Wo hätte man mehr voneinander lernen können?“, „Wo war Ungerechtigkeit und Vergessen?“ fragte Dr. Bock die Runde. Ziemer beschrieb diese Zeit als eine, in der das vorhandene System übernommen wurde. „Man hat aber selbst nicht bedacht, dass man damit keine Möglichkeit der Mitgestaltung mehr hatte“, so der Theologe rückblickend.

Bock und Bauer führten die Diskussion abschließend auf die heutige Zeit und stellten die Frage in den Raum, wie Kirche heute erlebt werde. Was wird vermisst, was wird begrüßt, wurde gefragt und allen Rednern fielen Beispiele ein. Deutlich wurde an diesem Abend aber vor allem, dass der ‚Osten’ und der ‚Westen’ sich nach wie vor vieles zu erzählen hat und dieser Austausch gerade auch mit Blick auf die Kirchen wertvoll ist. „Die Kirche im Osten hat einen Weg vorgelebt, wie man als Kirche einer Minderheit existieren kann – da ist ganz viel Spannendes für die Zukunft drin“, stellte Theile fest. Man könne vieles davon lernen und müsse dies dringend umsetzen, solange es diese Zeitzeugen noch gebe. Diese Anregung war eine von vielen sehr wertvollen Anregungen, die der Abend mit sich brachte.

Die Gäste

Christoph Ziemer

Der lutherischer Theologe Christof Ziemer wurde 1941 in Pommern geboren. Als die Mauer fiel, war Ziemer Pfarrer der Kreuzkirche in Dresden, Superintendent für Dresden-Mitte, Aktivist der Friedensbewegung und somit stark involviert in den Wendegeschehnissen. Nach langjähriger Tätigkeit als Pfarrer in der DDR verließ er nach der Wende die neuen Bundesländer in Richtung Balkan. Heute lebt er in Köln, im Laufe des Abends sprach er davon, dass er eine europäische Biographie habe und auch, dass er nicht genau wisse, was er Heimat nennen solle.

Ulrike Schulte-Richtering

Ulrike Schulte-Richtering lebt ebenfalls in Köln, sie ist evangelische Christin und gebürtig aus Zwickau. Die Lektorin mag den Kölner FC, besucht die Christmette, ihr Ehemann und ihr Sohn sind katholisch. Sie selber entstammt einer sehr christlichen Familie. „Mein Uropa, mein Opa und mein Onkel waren Pfarrer“, berichtete sie. Es habe in ihrer Kindheit einen Spagat zwischen zwei Welten, der sozialistischen und der christlichen, gegeben. „Christ sein im Osten, das war ein bewußtes Christ sein“, sagte sie im Verlauf des Abends und auch: „Es gibt eine ostdeutsche Seele und sie schlägt laut in mir. Das hat aber etwas damit zu tun, zu Hause zu sein und Heimat zu empfinden“.

Tobias Kläden

Der heute in Erfurt lebende Dr. Tobias Kläden wurde 1969 in Köln geboren. „Ich blicke auf eine katholische Normalbiographie zurück“, stellte er auf dem Podium fest. Er wuchs in Lindenthal auf, war Messdiener und engagierte sich in der Jugendarbeit. Als „rheinisch, katholisch, normal“ beschrieb er seine Jugend. Nach dem Zivildienst studierte er Theologie in Bonn, Jerusalem und Münster sowie Psychologie in Bonn. 2004 promovierte er in Münster, bis 2009 arbeitete er am Seminar für Pastoraltheologie und Religionspädagogik der Universität Münster. Seit 2010 ist Kläden Referent für Pastoral und Gesellschaft bei der Katholische Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP) in Erfurt, seit 2011 deren stellvertretender Leiter. Den Mauerfall habe er damals nicht bewußt miterlebt, gab er auf dem Podium zu – aber auch, dass er sich in Erfurt nicht als „Wessi“ fühle. Es gefalle ihm gut dort und eigentlich, so empfinde er es, liege Erfurt in der Mitte Deutschlands.

Charlotte Theile

Die jüngste in der Runde war Charlotte Theile. 1987 in der Nähe von Magdeburg geboren, hat sie als Kind die Wende mit all ihren Umbrüchen miterlebt. „Ich habe diese Zeit sehr stark wahr genommen“, so die deutsch-schweizerische Doppelbürgerin. Es habe in ihrem Leben auch eine Zeit der Überidentifikation mit dem Osten gegeben – heute allerdings fühle sie sich auch im Osten zuweilen fremd. Theile war von 2014 bis 2018 Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung für die Schweiz. Von Zürich aus berichtete sie über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie studierte in Aachen und Bern Politik und Volkswirtschaft, arbeitete für das ZDF und volontierte von 2012 bis 2014 bei der SZ in München. 2017 erschien ihr Buch „Ist die AfD zu stoppen? Die Schweiz als Vorbild der neuen Rechten.“, seit diesem Jahr ist sie freiberufliche Journalistin. Theile lebt in Leipzig, „ein toller Ort, um zu sehen, wie Deutschland zusammenwächst“, sagte sie auf dem Podium.

Text: Judith Tausendfreund
Foto(s): Judith Tausendfreund