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Übergriffe in kirchlichen Einrichtungen: „Wir bitten die Opfer um Verzeihung!“ – EKiR-Pressemitteilung und Handreichung zur Auseinandersetzung mit dem Thema

In den vergangenen Tagen und Wochen haben sich neun Männer und Frauen gemeldet, die von körperlicher Gewalt und Erniedrigungen in kirchlichen Einrichtungen im Zuständigkeitsbereich der Evangelischen Kirche im Rheinland berichten. „Wir nehmen diese Schilderungen sehr ernst“, sagte izepräses Petra Bosse-Huber auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Dabei sei es unerheblich, dass sich die Vorgänge bereits vor Jahrzehnten zugetragen haben: „Wir sind beschämt und entsetzt, dass solche Übergriffe offenbar auch in Einrichtungen im Bereich unserer Landeskirche und ihrer Diakonie stattgefunden haben. Wir bitten die Opfer um Verzeihung!“

Wer sein Amt oder seine Funktion in Kirche und Diakonie und die damit verbundene Macht und Autorität missbrauche und Menschen seelische und körperliche Gewalt angetan habe oder antue, verstoße gegen Gottes Gebote, gegen die Botschaft des Evangeliums und gegen den Auftrag der Kirche, so die Vizepräses der zweitgrößten EKD-Gliedkirche: „Wer so handelt, lästert Gott und spottet der Menschen. Wer in der beschriebenen Form Gewalt ausübt, darf nicht erwarten, dass die evangelische Kirche auf diesem Auge blind ist oder tatenlos zusieht.“ Allerdings, so räumte die Repräsentantin der rheinischen Kirche ein, enthielten die Berichte mitunter auch Vorwürfe, das Mitarbeitende der Kirche nicht zu allen Zeiten auf seinerzeit möglicherweise vorgebrachte Hinweise adäquat reagiert hätten. Bosse-Huber wörtlich: „Wir gehen den Vorwürfen der Misshandlung und des Missbrauchs ebenso nach wie dem Verdacht der Vertuschung.“ Der lange zeitliche Abstand erschwere aber die Aufklärung, Verjährungsfristen machten strafrechtliche und disziplinarische Ahndung zumeist unmöglich.

Bereits seit 2003 klare Regeln: Hilfe für Opfer, Verfolgung der Taten
Seit dem Jahr 2003 gibt es in der Evangelischen Kirche im Rheinland ein verbindliches Verfahren für den Umgang mit Verdachtsfällen auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dieses Verfahren sieht einerseits seelsorgliche, psychologische oder therapeutische Hilfe für die Opfer und andererseits die konsequente strafrechtliche und disziplinarische Verfolgung der Taten vor. Auch wenn dieses Verfahren auf Fälle ausgelegt sei, die noch nicht verjährt seien und somit heute noch geahndet werden können, stünden die Hilfsangebote auch Opfern zur Verfügung, die bereits von Jahrzehnten Erfahrungen von Gewalt und Erniedrigung machen mussten.

Adresse
Zentrale Anlaufstelle ist die Juristin im Frauenreferat der rheinischen Kirche, Petra Hundhausen-Kelp (petra.kelp@ekir-lka.de, Telefon 0211/4562-677). Ihr steht ein multiprofessionelles Team zur Seite, das sich um die Opfer kümmert.

Landeskirchliche Schulen und Internate: Mit Ehemaligen sprechen
Die Leitungen der zehn Schulen und drei Internate in landeskirchlicher Trägerschaft sollen auch mit ehemaligen Mitarbeitenden sowie früheren Schülerinnen und Schülern sprechen. Darauf hat der zuständige Leiter der Abteilung Bildung im Landeskirchenamt, Oberkirchenrat Klaus Eberl, hingewiesen: „Inzwischen hat sich ein ehemaliger Schüler eines unserer Internate, das heute nicht mehr existiert, mit entsprechenden Vorwürfen an uns und an eine Zeitung gewandt. Uns ist in diesem Zusammenhang an Offenheit und Transparenz gelegen. Das Wohlergehen der Opfer muss immer im Vordergrund stehen. Ich habe deshalb die Schul- und Internatsleitungen gebeten, dass diese mir unverzüglich mitteilen, wenn ihnen ein entsprechender Fall bekannt wird, damit das Landeskirchenamt die notwendigen Schritte einleiten kann.“

Die Schul- und Internatsleitungen, die Kollegien und Mitarbeitenden sollen nun ermitteln, ob es in der Vergangenheit Fälle sexuellen Missbrauchs oder Fälle so genannter „schwarzer Pädagogik“ in ihrer jeweiligen Schule oder ihrem Internat gab. Zu diesem Zweck sollen sie nach Eberls Angaben auch Kontakt zu ehemaligen Mitarbeitenden sowie Schülerinnen und Schülern aufnehmen, sofern sich dafür noch die Möglichkeit ergibt.

Nähe zwischen Menschen macht besonders anfällig
Gerade weil dieses Feld kirchlicher Arbeit von der Nähe zwischen Menschen lebe, dürfe es bei der Aufklärung solcher Taten kein Wenn und Aber geben, so Oberkirchenrat Eberl: „Die Seelsorge an Menschen und die pädagogische Arbeit mit Menschen leben beide von sozialer Beziehung der Beteiligten. Ohne Nähe, also ohne die Überbrückung von Distanz und ohne ein gewisses Maß an Vertrautheit, können beide kaum gelingen.“ Aber gerade Systeme, zu denen naturgemäß enge soziale Beziehungen gehören, sind nach den Erkenntnissen der Kriminalisten zugleich besonders anfällig für Übergriffe und den Missbrauch von Macht und Autorität. Dazu gehören Familien und ihr Umfeld; dazu gehören Bildungs- und Betreuungseinrichtungen ebenso wie Sportvereine und Gemeinden. „Weil uns das klar ist, müssen wir unserer Verantwortung gerecht werden“, so Klaus Eberl.

Tipp: Die EKiR-Handreichung „Die Zeit heilt keineswegs alle Wunden – Leitlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt“
Bereits 2004 hat die Evangelische Kirche im Rheinland diese Handreichung neu aufgelegt, in der sich die wichtigsten Leitlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt (Intervention, Prävention) für seelsorglich Tätige und Gemeindemitglieder inklusive zahklreicher weiter führender Adressen finden. Im Internet zum kostenlosen download bereit: hier.

Text: EKiR
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