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Über alte und neue Formen von „Familie“ wurde im Altenberger Forum diskutiert

Der Dominikanerin Schwester Jordana mochte man durchaus zustimmen, als sie im Martin-Luther-Haus der Evangelischen Kirchengemeinde Altenberg/Schildgen behauptete, dass die traditionelle Vorstellung von der Familie noch immer zahlreiche Anhänger hat. Ein auf Lebenszeit verheiratetes Paar aus Mann und Frau, dazu eine größere oder kleinere Zahl von Kindern – für die Mehrzahl der jungen Leute dürfte das noch immer ein Ideal darstellen.

Doch die Realität ist längst viel bunter geworden: Der Anteil von Alleinerziehenden, Patchwork-Gemeinschaften, von Formen des gleichgeschlechtlichen Zusammenlebens, von Senioren-Wohngemeinschaften und anderen Lebensformen nimmt stetig zu.

Zusammenleben im 21. Jahrhundert
Daher hatte der Ökumene-Ausschuss Rhein-Berg in der Reihe Altenberger Forum „Kirche und Politik“ zum Diskussionsabend: „Familie – eine bedrohte Art? Zusammenleben im 21. Jahrhundert!“ geladen. Offensichtlich stieß das Thema auf großes Interesse, denn der Saal des Martin-Luther-Hauses war sehr gut gefüllt. Die Experten auf dem Podium waren sich schnell einig, dass der Begriff „Familie“ nicht mehr auf die „Mutter – Vater – Kind“-Konstellation beschränkt bleiben könne. „Familie ist überall da, wo Erwachsene füreinander und für Kinder Verantwortung übernehmen“, wie es der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes PariSozial Bergisches Land, Gerhard Marzinkowski, formulierte.

Wesensmerkmale von Familie: Schutz und Geborgenheit
Otmar Baumberger, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Dellbrück/Holweide, wies darauf hin, dass gegenseitige Anerkennung, das Gefühl von Schutz und Geborgenheit Wesensmerkmale der Familie seien, die zuweilen auch größere Gruppen – Baumberger nannte die Gemeinschaftsaktivitäten einer Kirchengemeinde als Beispiel – annehmen könnten. Der provokativen Frage des Moderators Uwe Schulz, ob nicht der Staat durch Maßnahmen wie die Erweiterung des Betreuungsangebots für Kleinkinder oder die Einführung der Ganztagsschule gleichsam Aufgaben der Familie übernehme und diese somit aushöhle, widersprach Marzinkowski mit Hinweis auf die zunehmende Zahl von Doppelverdienern: „Viele Familien geraten so unter finanziellen Druck, dass ihre Funktionsfähigkeit nur durch solche Angebote erhalten werden kann.“

Qualität der Betreuung verbessern
Auch Schwester Jordana, die ein Haus in einem Kinderdorf leitet, betonte die Bedeutung solcher „Ersatzfamilien“, deren Einrichtung nicht zuletzt beweise, dass die Sensibilität für die Bedürfnisse von Kindern zugenommen hat: „Viele Eltern sind überfordert, sie erfüllen nicht ihre Vorbildfunktion, sie können Kindern keinen Schutz und keinen Raum zur Entfaltung geben.“ Dennoch betrachte sie die verstärkten Angebote zur Betreuung von Kleinkindern etwa durchaus mit Skepsis: „Die Frage ist doch, ob hier die Bedürfnisse der Kinder im Vordergrund stehen oder die Interessen der Arbeitswelt.“ Die Qualität der Betreuung lasse jedenfalls häufig sehr zu wünschen übrig.
Dafür erhielt sie viel Beifall. Wie auch Gerhard Marzinkowski, als er darauf hinwies, dass die Politik immer noch Alleinerziehende, unverheiratete oder gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern finanziell benachteilige, indem weiter am Ehegattensplitting festgehalten werde – in dessen Genuss auch kinderlose Ehepaare kommen. Kinder dagegen seien vor allem ein Armutsrisiko, etwa die Hälfte der Alleinerziehenden in Nordrhein-Westfalen beispielsweise sei auf Hartz-IV-Zuwendungen angewiesen.

Bischofssynode machte einen Anfang
Johannes Dünner, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion, gab zu, dass die Politik die traditionelle Familie zu lange als etwas Gegebenes angesehen habe, als einen stabilisierenden Faktor der Gesellschaft. Und das man darüber nachdenken müsse, wie neue Formen des Zusammenlebens unterstützt werden können. Dass an der Kinderbetreuung einiges verbessert werden muss, bezweifelte auch er nicht. „Der Ausbau des Angebots musste sehr schnell erfolgen, das ging zulasten der Qualität.“ Als Katholik musste er außerdem zum Ausgang der Bischofssynode im Oktober in Rom Stellung beziehen, auf der sich die katholischen Würdenträger mit den „pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie“ beschäftigt hatten, aber liberalere Regelungen ablehnten: „Die nötige Zweidrittelmehrheit fehlte noch, aber man hat sich ernsthaft mit diesen Fragen beschäftigt, das war ein Anfang“, meinte Dünner.

Es bilden sich Netzwerke von Freunden
Als weniger problematisch sahen die Teilnehmenden an der Podiumsdiskussion die künftige Rolle der Senioren an. Moderator Schulz fragte, ob da womöglich eine „Pflegeindustrie“ im Entstehen sei. Doch Marzinkowski verwies darauf, dass noch immer die meisten Pflegebedürftigen von Familienmitgliedern versorgt werden. Außerdem bildeten sich zunehmend Netzwerke von Freunden, die einander unterstützten. Pfarrer Baumberger konnte das bestätigen, er berichtete von der Begeisterung in seiner Gemeinde für generationenübergreifende Wohnprojekte. Seinem eigenen Ruhestand sehe er gelassen entgegen: „Ich stelle mir vor, dass ich weiter an Projekten mitarbeite, mit Gleichaltrigen, aber auch mit Jüngeren. Auch Menschen, die 20 oder 25 sind, kann man noch manches beibringen.“

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans