Die Thomaskirche der Evangelischen Gemeinde Köln feiert 50-jähriges Jubiläum. Zur Feier dieses Jubiläums ist das Fotobuch „Thomaskirche 50 plus – Evangelisches Leben im Agnesviertel“ entstanden. Darin hat der renommierte Kölner Fotograf Eusebius Wirdeier das Gemeindeleben in allen Facetten dokumentiert. Vom 27. November bis 2. Dezember plant die Thomaskirche eine Festwoche, in der weitere Fotos zu sehen sein werden. Kirche-Koeln.de hat mit Eusebius Wirdeier und Pfarrerin Eva Esche über das Buch, das Fotografieren und die Gemeinde gesprochen.
Wie entstand die Idee, das Jubiläum mit einem Fotobuch zu feiern?
Eusebius Wirdeier: Die Idee entstand eigentlich als wir uns bei einem gemeinsamen Freund getroffen haben, bei einem runden Geburtstag. Und ich schenkte ihm zwei Fotobücher, eins über die Renovierung in St. Severin, das ich gemacht hatte, und eins über das Viertel St. Ursula und Eigelstein. Und es stand das Jubiläum der Thomaskirche vor der Tür und dann entstand die Idee, dass sich die Gemeinde vielleicht dieses Buch „gönnt“.
Eva Esche: Ich hatte schon überlegt, was wir für dieses Jubiläum machen können. Letztes Jahr im September haben wir uns dann auf dem Geburtstagsfest getroffen – auf Korsika, auch noch ein nettes Setting – und ich war begeistert von diesen Schwarzweiß-Bildern. Die haben eben eine viel größere Tiefe als Farb-Fotos. Für mich war das irgendwie neu und die erste Reaktion aus der Gemeinde war „Wie schwarz-weiß? Wir sind doch hier so schön bunt!“ Aber gerade das Bunte, die Lebendigkeit, die unseren Bezirk ausmacht, die ist in den Büchern zu sehen. Genau so ist es richtig.
Die Fotos in „Thomaskirche 50 plus“ sind eine Bestandsaufnahme und keine Retrospektive. Wie kam es zu dieser Idee?
Eva Esche: In diesem ersten Gespräch auf Korsika sagte Eusebius: „Wenn man wissen will, wo es hin geht in Zukunft, dann ist es gut, wenn man weiß, wo man herkommt.“ Und mir und vielen aus der Gemeinde hat dieses Buch nochmal neu gezeigt, wo wir herkommen.
Eusebius Wirdeier: Als ich den Auftrag bekommen habe, die Gemeinde zu fotografieren, habe ich sehr schnell den Wunsch verspürt, mich erstmal in die Archive zu setzen und die Geschichte zu erforschen, über die ja auch nicht sehr viel bekannt war. Und die Dokumente und Fotos führten mich komischerweise zuerst in die Machabäerstraße und in die Schildergasse, wo die Kirchengrundstücke beschnitten wurden.
Eva Esche: Wir wussten nämlich gar nicht, dass wir sozusagen nur hier sind, weil der Kreuzkirche und der Antoniterkirche durch die Nord-Süd-Fahrt so viel Land abgenommen wurde. Und dass sich dadurch, dass die KiTa hierhin gebaut wurde, bei der Kreuzkirche, wo sie ursprünglich geplant war, dieser wichtige Zweig des Gemeindelebens nicht mehr entwickeln konnte.
Hat diese Recherche ihren Blick verändert?
Eusebius Wirdeier: Ja, ich finde schon. Zum Beispiel mit dem Wissen, wie wichtig der Kindergarten anfangs war und für die Gemeinde heute noch ist. Wie viele Menschen, die heute hier sind, die als Kind in den Kindergarten gegangen sind immer noch hierhin kommen. Wie eng diese Bindung ist, das ist ganz wichtig zum Verstehen und auch zum Fotografieren. Man fotografiert anders, wenn man solche Sachen weiß.
Eva Esche: Das hat mir nochmal deutlich gezeigt, dass wir es richtig gemacht haben mit der KiTa, mit der Konzentration auf Kinder- und Jugendarbeit. Die KiTa haben wir nicht in eine andere Trägerschaft abgegeben, obwohl es günstiger wäre. Das kostet die Gemeinde richtig viel Geld, dass wir die KiTa in der Kartause und die hier haben. Und ich glaube, dass wir diese enge Bindung von den Menschen, den Eltern und Kindern, hin zur Gemeinde nur so halten können. Egal, ob die Kinder dann hier bleiben oder nicht, aber sie haben die Kirche als Lebensraum kennengelernt. Sie dürfen hier spielen, toben und sein wie sie sind und ich glaube das bringt die enge Verbindung.
Herr Wirdeier, Ihre Bilder haben eine ganz besondere Strahlkraft. Wie finden Sie den richtigen Moment?
Eusebius Wirdeier: Ich habe natürlich viel mehr fotografiert als jetzt in dem Band ist. Den richtigen Augenblick zu finden, ist die eine Sache, und die Zusammenhänge herzustellen, ist die andere Sache. Man muss sich natürlich selber als Person auch hierhin begeben und in das Gemeindeleben reinbegeben und auch innerlich anwesend sein. Ich hab ja fast alles mitgemacht. Ich war an Karneval verkleidet und habe hier fotografiert, habe die Kinder in der KiTa fotografiert, bei einer Beerdigung auf dem Nordfriedhof, oder die Einsammel-Aktion nach dem Weihnachtsmarkt und die Verteil-Aktion hier im Haus am Heiligabend. Dieses Hineinbegeben, Nähesuchen und auch -finden gehört mit dazu.
Welche Bedeutung hat die achteckige Form der Thomaskirche für das Verständnis der Gemeinde?
Eva Esche: Es entsteht einfach immer ein Kreis. Ganz wichtig war auch schon Pfarrer Meyer, dass die Thomaskirche keine Stufe zum Altar hat. Er hatte einen Konfi, der Rollstuhlfahrer war, und auf einmal merkte er, überall wo Stufen sind, kommt der nicht hin. Keine Stufen zu haben ist ganz praktisch, aber das macht auch ganz viel mit der Gemeinde, wenn man auf einer Ebene ist. Man sieht sich, man hat den anderen im Blick. So ist das bei uns.
Eusebius Wirdeier: Von der Empore aus habe ich diese Kreisform wunderschön beobachten können, die sich ganz oft ergeben hat. Und die Architektur von Ludwig Groth kommt dem sehr entgegen, die begünstigt dieses Kreisförmige mit einer flachen Hierarchie. Das ist augenfällig, wie das zusammen geht, das Geistige und das Gebaute, die Architektur.
Herr Wirdeier, wie schaffen Sie es aus diesen gewöhnlichen Orten das Besondere herauszuholen?
Eusebius Wirdeier: Begreifen Sie den Gestaltungsvorgang als zwei Phasen. Die eine Phase ist, dass ich aufnehme – seelisch und mit dieser Maschine vor dem Auge. Und dann kommt ein zweiter Schritt, wo aus den einzelnen Bildern, die man vielleicht als einzelne Töne begreifen kann, eine Melodie komponiert wird. Und das ist ein Vorgang, an dem Eva und Wolfram Esche intensiv mitgewirkt haben. Ich habe so eine Art „Bild-Vokabelheft“ gemacht, wo viel mehr Bilder drin waren, als ins Buch passten. Dann haben wir uns per E-Mail darüber verständigt, welches reinkommt und welches nicht. Wenn man so ein Buch macht, gibt es starke Bilder und schwächere Bilder. Und die schwächeren Bilder sind ganz wichtig, weil die leiten von dem einen Thema zum anderen über. Oder schaffen dem Leser mal eine Entspannung. Es darf nicht die ganze Zeit so ein Staccato sein. Und dann kommen ja noch Texte dazu, die man zwischen die richtigen Bilder stellen muss. Und dass ist eine schöne kompositorische Arbeit, die hat für mich viel mit Musik zu tun.
Frau Esche, Sie sind ja konvertiert und erst verhältnismäßig spät in den Pfarrberuf gekommen. Wie hat das Ihre Haltung geformt, der Stadtgesellschaft gegenüber immer offen zu sein?
Eva Esche: Ich komme aus einer anderen Enge: Ich komme aus einem sehr katholischen Dorf. Und das hat mir wirklich oft die Luft genommen, obwohl ich sehr am Glauben und der Kirche interessiert war. Und so bin ich ausgetreten. Im Studium hat mich dann die Befreiungstheologie und die feministische Theologie fasziniert – alles was uns befreit hat, mich und andere Frauen.
Was ist das Besondere am evangelischen Leben im Agnesviertel?
Eusebius Wirdeier: Das ist gar nicht so einfach zu beschreiben. Es sieht anders aus und es hört sich anders an als das katholische Leben. Ich könnte es aber gar nicht so richtig auf den Punkt bringen. Es ist zum Beispiel sehr buchbetont. Das habe ich so von hier mitgenommen. Es wird viel vorgelesen und sehr bewusst gelesen, die Bücher sind immer präsent.
Eva Esche: Man sagt uns ja immer nach, die Protestanten seien zu wortlastig. Aber ich glaube, das haben wir geändert. Wir haben jetzt mehr Rituale. Das habe ich auch sicherlich aus der katholischen Kirche mitgebracht. Spiritualität läuft nicht nur über das Wort. Spiritualität ist im Segen, im gemeinsamen Abendmahl, im Anzünden der Kerzen, im selber Fürbitten sprechen zu können – natürlich immer begleitet vom Wort.
Foto(s): Felix Eichert / Eusebius Wirdeier