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„Theologisches Forum“ in der Synagoge Roonstraße anlässlich 50 Jahre Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit sowie 60 Jahre Staat Israel

Mit einem „Theologischen Forum“ eröffnete die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. den Veranstaltungsreigen zu ihrem 50-jährigen Bestehen. Dieses beinhaltete anspruchsvolle Beiträge von drei Gelehrten, die theologisch, aber auch politisch deutlich Stellung bezogen und dabei mit Kritik nicht sparten. Über zwei Stunden folgten gut 130 Besuchende im Gemeindesaal der Synagogen-Gemeinde Köln den Ausführungen. Sie ließen sich vom Agnes-Erkens-Trio musikalisch „davon tragen“ und beteiligten sich schließlich, darunter Alt-Präses Manfred Kock und der aktuelle Kölner Ökumenpfarrer Dr. Martin Bock, mit Kommentaren und Fragen.

Jubiläum ist kein Grund zum Feiern
„Es ist ein stolzes Jubiläum“, begrüßte Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der rund 1000 Mitglieder zählenden Kölnischen Gesellschaft. Damit ist sie die größte der hierzulande fast hundert Vereinigungen, die sich nach dem Holocaust für ein „neues Verhältnis zwischen Juden und Christen“ einsetzen. Auch die 1958 gegründete Kölnische Gesellschaft ist bestrebt, eine entsprechende Erinnerungskultur breit zu verankern sowie den Dialog insbesondere auf lokaler Ebene zu intensivieren und zu einer Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Das Jubiläum sei kein Grund zum Feiern, erinnerte Wilhelm an den „traurigen Anlass“ der Gründung der Kölnischen Gesellschaft. „Wir begehen es mit Respekt für die Leistung derjenigen, die daran mitgearbeitet haben, dass wir heute unseren Freunden von der Synagogen-Gemeinde Köln und anderen auf Augenhöhe begegnen.“

Deutschland trägt auch Verantwortung
Wilhelm ging ebenso ein auf den anderen bedeutenden Anlass der Abendveranstaltung in der Synagoge Roonstraße – nämlich die Errichtung des Staates Israel vor 60 Jahren, am 14. Mai 1948. „Deutschland trägt unabweisbare Verantwortung für die Lebensfähigkeit des Staates Israel.“ Dessen historische Entwicklung wie beklemmende Gegenwart seien stets wichtige Themen der Treffen zwischen Juden und Christen.

Elementarer „Gedanke der Toleranz“
„Die Kölnische Gesellschaft ist die beste“, schmeichelte Dr. Michael Rado, Vorstandsmitglied der gastgebenden Synagogen-Gemeinde Köln. Seit Jahrzehnten sei man freundschaftlich verbunden. In Köln sei eine Atmosphäre der Freundschaft und Partnerschaft entstanden. „Wir von der Synagogen-Gemeinde finden es toll, dass Sie heute so zahlreich zu uns gekommen sind“, dankte er den Besuchenden und Veranstaltern, auch im Hinblick auf den elementaren „Gedanken der Toleranz“.

Idee stammt vom ehemaligen Ökumenepfarrer
Die Idee für das „Theologische Forum“ mit dem Titel „50 Jahre christlich-jüdischer Dialog, 60 Jahre Israel: Erfahrungen – Erkenntnisse – Aufgaben“ stammt von Dr. Hans-Georg Link, Pfarrer im Ruhestand. Der ehemalige Ökumenepfarrer im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region ist derzeit Präsident der deutschen Region der Internationalen Ökumenischen Gemeinschaft sowie Vorstandsmitglied der Kölnischen Gesellschaft. „Es ist alles andere als selbstverständlich, dass wir hier Gäste sein dürfen“, bedankte er sich bei der Synagogen-Gemeinde. „Das spricht für die Qualität unserer Beziehung.“

Konträre Meinungen erwartet
„Wie weise sind wir nach 50 Jahren Dialog geworden, wie sieht die Zusammenarbeit künftig aus?“, stellte der moderierende Link zwei der zu behandelnden Kernfragen. Zugleich kündigte er konträre Meinungen an. Dies sollte sich bestätigen. Für das Podium hatte er drei renommierte Wissenschaftler gewonnen. Diese äußerten sich zunächst in Thesen-Form zu einem jeweils unterschiedlichen Thema, respektive Aspekt.
Eingangs bezog Professor Dr. Micha Brumlik Stellung zu „60 Jahre Israel“. „Der Staat Israel ist nach, aber nicht wegen des Holocaust entstanden“, stellte der Judaist und Erziehungswissenschaftler an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/M. fest. Israel sei in seiner heutigen Form Ausdruck des politischen, staatsbildenden Zionismus. Trotz der Tatsache, dass das bereits im Tenach (hebräische Bibel)verheißene „Land Israel“ („Erez Israel“) für den jüdischen Glauben von unverzichtbarer Bedeutung sei, verbiete „sich jeder Versuch, die Geschichte des Zionismus und die Entstehung des Staates Israel in theologischen Kategorien zu fassen oder gar als Ereignis der Heilsgeschichte zu sehen“. Dazu sei die ganze Frage viel zu ernst. Unsere Sorge um ein friedliches Zusammenleben der Völker erfordere eine nüchterne Betrachtungsweise, eine glasklare, politische Analyse und Diplomatie.

„Können wir uns freuen, wenn andere trauern?“
Völkerrechtlich legitim sei Israel von den Vereinten Nationen durch den Teilungsplan von 1947 ins Leben gerufen worden. Mit der Staatsgründung am Vorabend des Kalten Krieges habe ein absehbarer Krisenherd entschärft werden sollen. Der folgende Unabhängigkeitskrieg, resultierend aus dem völkerrechtlich illegalen Angriff von fünf arabischen Staaten, so Brumlik, „bot Israel die Chance, ein zusammenhängendes Staatsgebiet zu erobern, 700.000 Palästinenser gezielt zu vertreiben, sich deren Eigentum an Böden sowie anderer Habe zu bemächtigen und die Vertreibung durch ein Rückkehrverbot zu besiegeln“. Deswegen sei die Freude geteilt, stellte Brumlik die moralische Frage: „Können wir uns freuen, wenn andere trauern?“

Israel bildet Zusammengehörigkeitsgefühl
„Den Juden in der Diaspora, die sechs Millionen Tote zu betrauern hatten, erschien die Entstehung des Staates als ein Wunder“, fuhr Brumlik fort. So sei die Gründung „Israels oft nach Maßgabe eines theologischen Deutungsmusters verstanden worden: Tod und Auferstehung!“ Heute stelle Israel für die überwiegende Mehrzahl der verstreut lebenden Juden ein das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkendes Element dar. Dieses wirke um so stärker, „je geringer die Bereitschaft ist, selbst dort zu leben“, erklärte Brumlik.

Ein Dialog setze Partnerschaft voraus
Professor Dr. Klaus Wengst, evangelischer Neutestamentler an der Universität Bochum, und bis 2006 gemeinsam mit dem Juden Micha Brumlik 16 Jahre Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden“ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, äußerte sich mit einer gehörigen Portion Skepsis zum Thema „50 Jahre christlich-jüdischer Dialog“. Zwar seien in den letzten Jahrzehnten einige Voraussetzungen für einen solchen Dialog geschaffen worden. Ob es einen wirksamen geben wird, hält er aber für eine offene Frage. Denn ein Dialog setze Partnerschaft voraus. „Aber ist diese schon gegeben?“

Reden, damit sie nicht umgebracht werden
Christen fänden nur wenige Juden, die zu einem Gespräch bereit sind, berief er sich auf eigene Erfahrungen. Zu den Motiven von Juden für ein solches Gespräch gehört laut Wengst – und dessen Hinweis nahm das Publikum mit Bestürzung zur Kenntnis: Wir reden deswegen mit euch, damit ihr uns nicht wieder umbringt. Die christliche Seite habe natürlich eine ganz andere Motivation: Dort sehe man sich aufgrund Gottes Willen auf das Gespräch angewiesen.

Christliche Judenfeindschaft ist theologisch aufzuarbeiten
Als eine Bedingung für den Dialog nannte Wengst das Bekenntnis christlicher Schuld. „Christliche Judenfeindschaft als eine wesentliche Wurzel des Antisemitismus ist theologisch aufzuarbeiten.“ Trotz erster Schritte, sei dieses Bekenntnis weder in die Breite der Kirchgemeinden, noch durchgängig in die theologischen Fakultäten vorgedrungen. Zumindest sei die Substitutionstheorie überwunden, nach der die Kirche die Stelle des Volkes Israel einnimmt. Unerlässlich für den Dialog hält Wengst „die Absage an jedwede Form der Judenmission“. Zu diesem unverändert neuralgischen Thema lägen bereits entsprechende, wichtige Aussagen vor, etwa 1999 von der westfälischen Landeskirche.

Es muss das Gespräch mit Jüdinnen und Juden gesucht werden
Laut Wengst dürfe keinesfalls durch zentrale christlich-kirchliche Aussagen die jüdische Identität angezweifelt und verletzt werden. Es komme hier darauf an, dass grundlegende theologischen Aussagen so formuliert werden, dass sie nicht judenfeindlich verstanden werden können. Und für die Interpretation, das Begreifen jüdischer Texte könne nicht der eigene, christliche Horizont als Maßstab dienen, sondern müsse das Gespräch mit Jüdinnen und Juden gesucht werden.

Professor Heinz nahm kein Blatt vor den Mund
Eine der jüngsten Missstimmungen im Dialog rief die von Papst Benedikt XVI. neu formulierte Karfreitagsfürbitte für Juden hervor. Ihrer weitreichenden Wirkung widmete sich der dritte Podiumsgast Profesor Dr. Hanspeter Heinz. Der Augsburger Pastoraltheologe und Leiter des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken nahm kein Blatt vor den Mund. Er zeigte sich riesig erstaunt über die Fortschritte im Gesprächskreis, allgemein im jüdisch-christlichen Dialog, aber ebenso über die Einbrüche. So hält er die Formulierung der Karfreitagsfürbitte für „missraten“. In ihr sieht er einen Rückfall in alte Schemata. Habe der vorkonziliare Ritus mit seiner „Karfreitagsfürbitte für verblendete Juden“ und der Missachtung des Alten Testaments noch Judenverachtung ausgedrückt, konstatierte Heinz, bekunde die entsprechende Fürbitte von Papst Paul VI. aus dem Jahr 1970 unmissverständlich die Wertschätzung der katholischen Kirche für die Würde Israels. Diese Wertschätzung vermisst Heinz im Gebet von Benedikt XVI.

Nicht hilfreich: Das Schweigen des Papstes
Nicht hilfreich dabei sei das Schweigen des Papstes. Bislang gebe es von ihm keinerlei Anweisung zum Verständnis des Gebets. Dies erkläre die unterschiedlichen Interpretationen von Kardinälen. „Der Schwelbrand vergiftet das Klima“, ärgert sich Heinz. Aber nicht allzu sehr. Denn er sehe nicht ein, deswegen das bislang Erreichte in Frage zu stellen. „Wir dürfen das so mühsam begonnene und hoffnungsvoll weiter geführte christlich-jüdische Gespräch nicht abreißen lassen.“

Empörung über neue Karfreitagsfürbitte
In den sich anschließenden Kommentierungs- und Antwort-Runden drückte auch Brumlik seine Empörung über die neue Karfreitagsfürbitte aus. Von diesem Papst sei anderes erwartet worden. Zugleich kritisierte er wie auch immer geartete judenmissionarische Bestrebungen. Wengst meldete Zweifel an Brumliks Forderung an, die Errichtung des Staates Israel keinesfalls theologisch zu begründen. Die Frage sei doch, mit welchen theologischen Argumenten man umgehe. Aber dass die Theologie ganz beiseite geschoben werde, stößt bei Wengst auf Unverständnis. Heinz ergänzte, dass die meisten jüdischen Mitglieder des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken nicht an eine Auswanderung nach Israel denken würden. „Aber was dort passiert, das ist uns nicht egal“, kleidete Heinz ihre Einstellung in Worte. „Und das“, so Heinz, „hat schon einen religiösen Ton an sich.“ Alt-Präses Manfred Kock stimmte Brumlik zu, die Gründung Israels zu „entmythologisieren“ und dabei auf das Heranziehen religiöser Erklärungen zu verzichten. An Wengst gerichtet erwiderte Kock, dass die Evangelische Kirche in Deutschland bereits gesagt habe, das sie sich nicht mit der Judenmission identifiziere. „Die Mission ist das öffentliche Zeugnis, das wir Christen vor anderen ablegen.“ Und dieses Zeugnis richte sich nicht an das jüdische Volk, sondern beziehe sich auf die – Mehrzahl – Völker. „Wir müssen lernen, die Unterschiede die da sind, zu respektieren“, so Kock. Kölns Ökumenepfarrer Dr. Martin Bock mahnte an, dass Kirche noch reflektierter mit dem ambivalenten Thema Judenmission umgehen müsse.

„Nennt beim Namen, was geschieht“
Große Zustimmung erfuhr Heinz´ abschließender Hinweis, dass es im Miteinander das Wort brauche. Im alltäglichen Miteinander. Selbst bei Liebespaaren. Und erst recht zwischen Religionen. „Nennt beim Namen, was geschieht, und warum man etwas tut.“ Heinz fände es schön, soweit zu kommen, dass man sich gegenseitig respektvoll und unvoreingenommen zuhöre – und einander erläutern könne, „wieso mich Gott bereichert“. Dann sei Dialog spannend und fruchtbar, mehr als jegliche Mission.

Diskussion geht weiter
Die Zeit war voran geschritten – und so blieb entgegen der Ankündigung die vielschichtige Thematik der deutsch-israelischen Beziehungen, der besonderen bundesdeutschen Verantwortung Israel gegenüber nahezu unbehandelt. Zumindest während des Forums. Es steht jedoch zu vermuten, dass die Diskussion beim anschließenden Umtrunk zur Feier der 60. Jahrestages der israelischen Staatsgründung in kleinerem Kreis doch noch vertieft wurde.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich