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„Theologische Kabarettistin“ würzte Frauenwochenende in Forsbach

Kennen Sie Frau Seibold? Ein Wochenende lang war sie in Forsbach zu Gast, und falls Sie sie dort nicht getroffen haben, sehen Sie zu, dass Sie demnächst anderswo ihre Bekanntschaft machen. Denn die schwäbelnde Dame mit Kapotthütchen, Bügelhandtasche und altbackenem lila Kleid erfrischt mit mal naivem, mal gewitztem Frauenblick, den sie auf den Alltag in Haus und Kirchengemeinde wirft.

„Über Kleidung und andere Felle“
Pfarrerin Erika Juckel von der Forsbacher Christuskirche hatte die erfrischend lebendige Person für ein Frauenwochenende gebucht, das zum Jubiläumsprogramm des 450. Geburtstags der Evangelischen Gemeinde Volberg-Forsbach-Rösrath gehörte. Der solo-kabarettistische Auftakt ging im Altarraum über die Bühne – unter dem Titel „Über Kleidung und andere Felle – Vom Paradies zum Laufsteg“. Eine durchaus männerkompatible Darbietung, wie der Geschlechter-Mix in den Kirchenbänken bewies. Am Sonntagmorgen schloss sich der Gottesdienstbesuch Frau Seibolds an, eine launige wie tiefsinnige Dialogpredigt zwischen ihr und Erika Juckel inbegriffen. Erst die folgenden Workshops waren tatsächlich nur Frauen vorbehalten.

Charakter zwischen Dies- und Jenseits
Wachs-Enthaarung, Kleidermode, Cremes und körperliche Ersatzteile: Adele Seibold hatte ein Kaleidoskop weiblicher Themen bereits pointiert sinnierend abgehandelt, als sie plötzlich mit Blick ins Kirchenschiff überrascht stutzte: „Oh, Grüß Gott, Sie sinn scho do?!“ Sehr viele waren gekommen, um die Bühnenfigur kennenzulernen, die jenseits aller Gags und Wahrheiten skizzenhaft blieb: Unverheiratet, aber mit Gebärmutter („Ich hab sie halt noch nischt braucht.“) engagiert sich die altjüngferliche, aber durchaus kecke Gestalt in einer Kirchengemeinde – nicht nur strickend. Leben haucht dem Charakter, der zwischen Diesseits und Jenseits pendelt, eine Theologin ein: Dr. Gisela Matthiae. Sie lebt in Gelnhausen bei Frankfurt und arbeitete als Pfarrerin, bis sie ihrer humoristischen Ader nachgab, um als Kabarettistin und Clownin ihr Geld zu verdienen. Darüber hinaus ist sie als freiberufliche Lehrbeauftragte an Universitäten tätig. In Forsbach drapierte sie auf dem Altar Apfel und Taschenmesser und daneben jede Menge Requisiten, bevor sie ihre Verbindung aus Humor, Alltag und Theologie entfaltete.

„Dann hat die Kirche Fieber“
Pfarrerin Erika Juckel hatte das humoristische Alter Ego der Theologin beim Kirchentag in Dresden kennengelernt und war von Frau Seibold sofort fasziniert. Den zwei Mitinitiatorinnen des „frauenbewegten“ Wochenendes, Leonore Sünner und Pia Herrmann, war es ebenso ergangen. Was die Bühnenfigur sage, sei nicht nur witzig, begründete die Pfarrerin, sondern habe „auch theologisch Substanz“. So erfuhr das Publikum von Frau Seibold, dass derzeit im Pfarramt 30 Prozent Frauen tätig seien: „Das ist gefühlt die absolute Mehrheit!“ Vermutlich werde es bei 37 Prozent kritisch: „Dann hat die Kirche Fieber.“ Und wenn’s gar mal 42 Prozent würden? „So viel verträgt der Körper nicht, der Leib Christi!“

Eva lebte vor Adam
Frau Seibold regte sich darüber auf, dass nur von „Jüngern“ und nicht „Jüngerinnen“ die Rede sei, sie erklärte, warum Eva vor Adam lebte, und sie machte klar, dass ohne Frauen jedes Gemeindefest eine traurige Angelegenheit wäre. Gisela Matthiae schlüpfte mit diversen Hüten, Schals, Jacken und Mundarten in andere Charaktere des Gemeindelebens, sang zwischendurch und streute immer wieder Positionen ihrer unsichtbaren Freundin Edith ins Programm: „Die hat schon einen Computerausdruck von ihrem zukünftigen Gesicht überm Schreibtisch.“ Geschickt verstand es die Künstlerin, das Publikum immer wieder einzubeziehen, beispielsweise als sie nach einem „Kraftplatz“ oder anderen esoterischen Ort in der Gemeinde fragte und Pfarrerin Erika Juckel spontan rief: „Es gibt die Wassertretstelle!“ Ein Apfel durfte in der Zuschauerbank angebissen werden – „Den können Sie dann ja weitergeben.“

So verschiedene Bilder von Gott
Auch „kirchliche Sit-Ups“ wurden vom Publikum unter Lachen durchgeführt. Besonders plastisch war der Einfall zur Gottesebenbildlichkeit: Mit dem Spiegel begutachtete Frau Seibold nicht nur ihr eigenes Konterfei, um darüber zu sinnieren, ob sie nun Gott oder Gott ihr ähnlich sehe, sondern mit dem Spiegel ging sie durch die Reihen, um Weiblein wie Männlein hineinschauen zu lassen. „Oh Gott!“, stöhnte überrascht ein Zuschauer. Frau Seibold sah das anders: „Wir alle zusammen“ seien Gottes Ebenbild. „Jetzt verstehe ich auch, warum es in der Bibel so verschiedene Bilder von Gott gibt – so viele!“

Mirjam haut auf die Pauke
Dieser Gedanke wurde am nächsten Morgen im Gottesdienst vertieft, denn selbstverständlich geht Frau Seibold sonntags in die Kirche. Manche Besucher dürfte es überrascht haben, dass sich die Pfarrerin mit der kabarettistischen Dame nicht nur eine muntere Dialogpredigt zum Thema Trinität (Gott, Sohn und Geistkraft) lieferte, sondern dass auch etwas Fitnessgymnastik zum Gottesdienst gehörte. Wer wollte und weiblich war, konnte nach einem Mittagsimbiss unter drei Workshops wählen: „Sprachspiele für Leib und Seele“ bot Dorothee Schaper, Pfarrerin an der Melanchthon-Akademie Köln, an. Um „Eva – Reformation im Paradies?“ ging es bei Jacqueline Pütz, Irene Prochnow und Pia Herrmann. Und Musikpädagogin Cordula Clausen lud zu „Mirjam haut auf die Pauke“ ein.

Reformation kam – durch eine Frau!
Das Frauenwochenende, so Pfarrerin Erika Juckel, schlage einen Bogen zur Geburtsstunde der Gemeinde. Denn vor 450 Jahren sei die Reformation nach Rösrath gekommen – durch eine Frau! Pfarrer Heinrich Westermann hatte auf sie ein Auge geworfen und wollte heiraten. Dazu musste er das Bekenntnis wechseln … Etwas, was Frau Seibold nicht wundern würde, wenn sie es denn wüsste, denn am Ende ihres Programms gab sie als Parole ihre Erkenntnis aus: „Juhu, es lebe die Vielfalt!“

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser