„Das war die größte Führung meines Lebens heute“, rief Klaus Schmidt am Ende der von ihm geleiteten Stadtteilführung „Braunsfeld 1945“ erfreut in der Kirche St. Joseph aus.
Warum?
Die Orte, die von Stadtführungen angepeilt werden, nennt man gemeinhin Touristenziele. Köln hat nicht wenige dieser Sorte, die tagtäglich besucht, erkundet und vor allem fotografiert werden. Im Wort „Touristenziel“ steckt jedoch bereits, dass diese Orte normalerweise nicht von Ortsansässigen aufgesucht werden, sondern von Vergnügungs- oder Erholungsreisenden. So trifft es wohl fast allgemein zu, dass man im Urlaub als Besucher etwa von Mittelmeerortschaften mitunter jedes noch so kleine Amphitheater oder Heimatmuseum besucht und auf der ganzen Welt kunsthistorisch doch eher minder bedeutende Dorfkirchen für das Fotoalbum verewigt. Daheim allerdings ist man kein Vergnügungs- oder Erholungsreisender. Prägnante Bauten der Umgebung bleiben somit oftmals unbesichtigt und werden lediglich bei Wegbeschreibungen herangezogen etwa als namentlich nicht bekannte Kirchen, an der abzubiegen ist.
Führungen richten sich auch an Kölnerinnen und Kölner
Dies ändern will die AntoniterCityKirchen-Arbeit mit ihrem Stadtführungsprogramm „Köln mit anderen Augen“. Hier stehen zwar auch die üblichen Highlights auf dem Programm, wie diverse Kirchen und Friedhöfe oder das historische Rathaus. Verstärkt aber setzt „Köln mit anderen Augen“ auf Führungen, die nicht speziell für Durchreisende konzipiert sind, sondern vor allem den Einwohner selbst den eigenen Stadtteil näher bringen.
Zeitzeuge Dr. Max-Leo Schwering erinnert an seinem Vater
Diese Idee findet in den einzelnen Veedeln Zuspruch, wie auch der Zulauf der Stadtteilführung „Braunsfeld 1945“ zeigt, die anlässlich des „Tages des Offenen Denkmals zum Thema Krieg und Frieden“ in Kooperation mit dem Stadtkonservator angeboten wurde.
Über 50 Menschen, die meisten gebürtige oder zugezogene Braunsfelder, folgten dem Historiker Klaus Schmidt, dessen Führung am Hültzplatz begann, um zu erleben, wie die Vergangenheit bis heute fortwirkt. Zur Sprache kamen hierbei nicht primär die großen so genannten Sehenswürdigkeiten, Mahnmahle oder Gedenksteine. Die Spuren der Geschichte sind in Braunsfeld subtiler, so dass es eines kompetenten Leiters bedarf. Diese Führung hatte sogar mehrere. Klaus Schmidt war zwar allein angekündigt, bei weitem mehr Redezeit hatte allerdings der Zeitzeuge Dr. Max-Leo Schwering, dessen Vater Leo Schwering während der Nazizeit Verfolgung und Folter überstehen musste und nach dem Krieg Oberbürgermeister war.
Äußerst lebendige Veranstaltung
Sowohl Klaus Schmidt als auch Max-Leo Schwering haben Bücher über Braunsfeld zur Zeit des Nationalsozialismus geschrieben. Somit wurde die Gruppe von zwei ausgewiesenen Fachmännern geleitet. Dies heißt jedoch nicht, dass ihre Ausführungen unwidersprochen aufgenommen wurden. Das Interessante an dieser Stadtteilführung war eben, dass nicht allein Sehenswürdigkeiten erklärt wurden, die auch in den zahllosen Büchern über Köln immer wieder erschöpfend erläutert werden. Dass der Name „Braunsfeld“ von einem Industriellen namens „Braun“ herrührt, kann man nachlesen, ebenso wie die Tatsache, dass der spätere Erzbischof Josef Kardinal Frings von 1924 bis 1937 Pfarrer in Braunsfeld war. Nicht nachlesen kann man, was die Teilnehmenden bei der Führung „Braunsfeld 1945“ alles an eigenen Erinnerungen beitrugen und Ergänzungen vornahmen. So ergab sich eine äußerst lebendige Veranstaltung. Sie wurde erheblich länger als geplant, wegen zahlreicher Ermunterungen von Seiten der Teilnehmenden, doch etwas ausführlicher zu werden.
Wie war das genau, als die Amerikaner nach Köln kamen?
Wie genau war das denn damals, als noch die alte Schule in der Friedrich-Schmidt-Straße stand, die 1892 erbaut und 1944 zerstört wurde, so dass heute nur noch ein völlig zugewachsenes Stück Park zu sehen ist? Wer erinnert sich noch an die früher übliche Linie auf dem Schulhof, die katholische von evangelischen Schülern trennte, wenn denn überhaupt beide Konfessionen aufgenommen wurden? Wer genau war jener Arzt und Gesundheitspolitiker Franz Vonessen, der in der Braunstraße wohnte und sich widersetzte, Zwangssterilisierungen vorzunehmen, der jüdischen Familien half, den Krieg überlebte und das Gesundheitswesen in Köln wiederaufbaute? Wie war das, als die Amerikaner in der Nacht vom 3. März 1945 in den Kölner Vorort kamen, der nach Lindenthal die meisten Zerstörungen zu beklagen hatte? Und wer von den Anwesenden hat noch in der Nachkriegszeit mit den herumliegenden Handgranaten gespielt? Alles konnte überhaupt nicht zur Sprache kommen, weshalb Schmidt am Ende glücklich war ankündigen zu können, dass bereits Nachfolgeveranstaltungen mit dem evangelischen Veranstalter „Köln mit anderen Augen“ geplant seien.
Foto(s): Anselm Weyer