You are currently viewing Superintendent Hübner eröffnete in Frechen das Stiftungsforum „Türen zum Nächsten“ und rief zur Bescheidenheit auf

Superintendent Hübner eröffnete in Frechen das Stiftungsforum „Türen zum Nächsten“ und rief zur Bescheidenheit auf

Im vergangenen Herbst hat die Evangelische Kirchengemeinde Frechen die unselbständige Stiftung „Türen zum Nächsten“ errichtet. Mit ihren Erträgen sollen die diakonische und kirchliche Arbeit der Kirchengemeinde materiell wie ideell unterstützt werden: die Kinder- und Jugendarbeit, die Kindertagesstätte sowie der Sozialdienst.


Brennende gesellschaftliche Probleme im Vordergrund
Um die Stiftungsziele publik zu machen, Öffentlichkeit zu schaffen und mit den Einwohnenden Frechens ins Gespräch zu kommen, hat die Stiftung eine Veranstaltungsreihe im Gemeindehaus konzipiert. Ihr Name lautet „Stiftungsforum“. Vorgesehen sind jährlich vier Themenabende mit jeweils einem Impulsvortrag und anschließender Diskussion. Innerhalb der Reihe sollen „brennende gesellschaftliche Probleme“ behandelt und Interessierte zur Mitverantwortung angeregt werden. „Wir möchten, dass sich viele Frechener mit unseren Zielen identifizieren. Auch deshalb, weil viele Bürger von den diakonischen Gemeindeangeboten profitieren. Wir tragen viel zur Verbesserung des sozialen Klimas in der Stadt bei“, wies Stiftungsratsvorsitzende Almuth Koch-Torjuul unter anderem auf die Bedeutung des Sozialdienstes auch als Arbeitslosenzentrum hin.

Hübner sprach vom „christlichen Gewissen“
Zum Auftakt der Reihe begrüßte der Stiftungsrat den Superintendenten des Kirchenkreises Köln-Süd des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, Dr. Thomas Hübner. Vor gut 30 Besuchenden sprach der Pfarrer aus Köln-Rondorf zum Thema „Christliche Verantwortung in Zeiten knapper Kassen“. Vorab betonte Koch-Torjuul, „wir wollen eine lebendige Gemeinde sein, die ihre diakonischen Aufgaben wahrnimmt. Wir teilen das Problem, weniger finanzielle Mittel zu haben.“ Trotzdem müsse man als christliche Gemeinde gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und mittragen. Hübners rund 40-minütiger Vortrag war gespickt mit zahlreichen lokalen Bezügen und historischen Verweisen. Etwa auf „das christliche Gewissen“, das im 6. Jahrhundert die allgemeine Praxis der Kindesaussetzung abgeschafft habe. Ebenso auf die „geniale Idee der Kurrende“, einer im 3. Jahrhundert von der römisch-katholischen Kirche begründeten, heute weitgehend vergessenen Musikeinrichtungen für zunächst verwahrloste, bedürftige Kinder.

Die Kraft einer Gemeinde
Hübner verwies auch auf die frühe „Erfindung“ der Nachhaltigkeit und die Wirkung der Aufklärung. Immer wieder hob er die Bedeutung der alten Frechener Gemeinde hervor und sprach über das, was die Kraft einer Gemeinde ausmache: „Die Kirchengemeinde hat einzigartige Möglichkeiten“, stellte er fest. „Erstens: Sie ist vor Ort.“ Dies habe der säkulare Bereich zu spät wahrgenommen. So habe dieser für die Jugendarbeit in Gebäude investiert, statt in Stellen. Nun würden aus Geldmangel Gebäude wieder abgerissen, bedauerte Hübner die ungenutzten Möglichkeiten einer effektiven Kooperation zwischen Kirchen und Kommunen.

„Sie sind in Frechen noch im Paradies“
Hübner sagte: „Wir wollen sehen, was wir geleistet haben“ und zog einen erstaunlichen Vergleich: In den 1950er Jahren seien in beiden Volkskirchen im deutschsprachigen Raum mehr Kirchen gebaut worden, als in der Summe seit Verbreitung des Christentums in den entsprechenden Ländern und Gebieten. Dadurch seien auch Bedürfnisse in den Randgemeinden geweckt worden, Unbescheidenheit habe sich breit gemacht. Und nun müssten angesichts sinkender Kirchensteuereinnahmen und allgemein knapper Kassen Gemeindezentren geschlossen werden, in manchen Gebieten bis zu 50 Prozent. Was uns hier an Einschränkungen bevorstehe, so Hübner, sei im Ruhrgebiet längst vollzogen. „Sie sind in Frechen noch im Paradies“, sagte er. Angesichts der zahlreichen Gemeindezentren hätten sich die Mitglieder an die Fußläufigkeit zum Gottesdienst und zu Veranstaltungen gewöhnt. Aber dadurch verliere eine Gesamtgemeinde auch ihre Mitte. Hübner gab zu bedenken, dass schon der Gang zum Gottesdienst eine Art Einstimmung bedeuten könne. Muss eine Gemeinde über Schließungen dieser Art verzweifeln? Nein, meinte Hübner. „Ich bin oft in ostdeutschen Gemeinden zu Gast. Wenn Sie dorthin kommen und vergleichen das mit unserer Situation, dann haben wir keine Probleme.“ Hübner empfahl, die Aufgabe von Gemeindezentren nicht als Verlust zu empfinden.

Bescheidenheit als Überlebenskonzept
„Ihre Stiftung nennt einen Begriff: den des Nächsten!“, betonte Hübner. „Die Frage ist, wer ist mein Nächster?“ Je mehr und besser wir medial über das Elend und die beklagenswerten Verhältnisse in der Welt informiert seien, desto abgebrühter reagiere augenscheinlich unser Gewissen. Es gelte, das Schild der diakonischen Verantwortung hochzuhalten. Einen wichtigen Abschnitt widmete Hübner dem Aspekt der Bescheidenheit, respektive ihrem Gegenteil. So prangerte er die Unbescheidenheit etwa in der Regelung der Altersbezüge von Ministern an, die selbst die Praktiken in den größten, untergegangen Königreichen in den Schatten stellen würden. Überhaupt sei das Leben vieler Menschen geprägt von Maßlosigkeit, doch „wofür“, fragte er und antwortete: „Wir müssen unser Leben nicht erfüllen. Das Leben ist erfüllt.“ Bescheidung heiße, dass der die Reise am leichtesten antrete, der das leichtere Gepäck hat, deutete Hübner auf unsere irdische Gastrolle hin. „Und obwohl ich nur Gast bin, sollte ich dem Gastgeber etwas dalassen.“ Bescheidenheit sei sie das einzige Überlebenskonzept. Und das betreffe nicht nur die Umweltproblematik.

Hübner: Die Zeit der großen christlichen Gemeinden kommt noch
Frechen sei im diakonischen Bereich immer ein Vorbild gewesen. „Ist das dieser Gemeinde überhaupt bewusst?“ In der schweren, von Armut und Not geprägten Zeit des Frühbarocks hätten Vorfahren unter großen Entbehrungen das Gotteshaus errichtet. Die strahlende Musik dieser Epoche spiegele nicht die wahren sozialen Verhältnisse wider. Vielmehr habe die Musik die Not „ausgeglichen“. Es wäre beschämend, wenn wir heute das nicht leisten könnten, was die Vorfahren dieser Gemeinde geleistet und entbehrt hätten. Die Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts, die nachfolgende Aufklärung eines unaufgeklärten Glaubens, die naturwissenschaftlichen Weiterentwicklungen im 19. Jahrhundert hätten zunächst dazu geführt, dass man über die Bibel gelächelt habe. Bald darauf, etwa mit Einstein, habe man erkennen müssen: „Die Bibel war weit vor unserem Wissen richtig.“ Die theoretische Naturwissenschaft habe zu neuen Erkenntnissen geführt. Hübner prognostizierte, dass die Zeit der großen christlichen Gemeinden erst noch komme. Und diese Zeit werde aufklären müssen über den Irrtum, dass wir Menschen durch Forschungen oder „Fortschritt“ alleine schon etwas wüssten. Vielmehr, zitierte Hübner, komme die Einsicht aus dem Glauben, „dann erst habe ich die Chance, das Leben zu verstehen.“ Damit wünschte Hübner der Frechener Stiftung und den Stiftenden Glauben und Kraft für ihre Verantwortung für den Nächsten.

Kirche in Frechen-Bachem von Schließung bedroht
Dr. med. Evelyn Plamper, erste stellvertretende Vorsitzende des Stiftungsrates, bedankte sich bei Hübner für die Anregungen. Den Vortrag habe sie als sehr wohltuend empfunden. „Sie haben uns ein Stück geerdet. Das ist notwendig für den Prozess, der uns bevorsteht.“ In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Folgen der Schließung von Gemeindezentren. Betroffen ist davon zum 1. Juli 2008 auch die Kirche in Frechen-Bachem. Angesichts dieser Problematik plädierte ein Gast entschieden für die Aufrechterhaltung einer seelsorgerische Präsenz in der Nähe, für eine ohne Auto erreichbare Anlaufstelle. „Ein bescheidener Treff im Quartier muss unbedingt erhalten werden, aus organisatorischen und seelsorgerischen Gründen. Es ist nicht zu vermitteln, weshalb eine Kirche dort geschlossen werden soll und hier bestehen bleibt.“ Eine weitere Zuhörerin reklamierte die notwendige Einbeziehung gerade auch älterer Menschen, „die keine sechs Kilometer zur nächsten Kirche gehen können“. Hübner nannte ein Beispiel aus einer mecklenburg-vorpommerischen Gemeinde, in der die Kranken und Alten zu den Gottesdiensten mit Kutschen oder Bussen abgeholt würden. „Würde es nicht den Charme einer Gemeinde ausmachen, dass die, die Auto fahren, jemanden mitnehmen“, fragte er. Hübner sprach auch die Tatsache an, dass Mitglieder von Kirchengemeinden heute immer älter würden. „Was machen ältere Menschen, die Angst davor haben, aufgrund von Demenz und Krankheit beispielsweise einfache Bankgeschäfte nicht mehr erledigen zu können, wer organisiert das?“ Wichtig seien Fragen, wie ältere Menschen betreut, in Kontakt mit Gemeinde, anderen Gemeindegliedern gehalten oder gebracht werden können. In diesem Zusammenhang sei die Bedeutung von Festen und regelmäßigen Begegnungsangeboten der Gemeinde nicht zu überschätzen.

Nächster Termin: 21. Mai 2007
Fortgesetzt wird die Vortrags- und Diskussionsreihe „Stiftungsforum“ im Gemeindehaus der Evangelischen Kirchengemeinde Frechen, Hauptstraße 209, am Montag, 21. Mai, 20 Uhr. Dann behandelt der Hamburger Journalist Thomas Bastar die Frage „Schärft ein Kirchentag das soziale Gewissen?“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich