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Stuhl-Aktion am Tag des freien Sonntags



Unter den Sitzmöbeln, die vor der Antoniterkirche in der Kölner Schildergasse einen Kreis bildeten, fiel ein Liegestuhl besonders auf: Seine weiße Polyesterbespannung ist beschriftet. Unter Schriftzug und Logo der „Allianz für den freien Sonntag“ steht „Sonntag“, gefolgt von sechs Schlagwort-Zeilen. Fünf von ihnen ist ein grünes Häkchen vorangestellt. „Ausruhen“, „Zeit für andere haben“, „kuscheln“, „Gottesdienst feiern“, „spielen“ – so lauten die ausgewählten Empfehlungen. Mit einem roten „x“ dagegen beginnt die letzte Zeile. Sie lautet „shoppen und schuften“ und ist durchgestrichen. Kurz und knapp verdeutlichen damit die Urheber ihr Anliegen: Nicht fortgesetztem Konsum und einer scheinbar selbstverständlichen, unbegrenzten Erweiterung der Arbeitszeit soll der Sonntag dienen. Stattdessen der Erholung, dem Beisammensein in der Familie oder im Freundeskreis, der Besinnung und der Feier des Tages des Herrn, der Befreiung und bewussten „Unterbrechung der Hektik des Alltags“. Besagter Liegestuhl eignet sich nicht nur zur Anschauung, als dekoratives Symbol. Man kann ihn tatsächlich nutzen, sofern das Körpergewicht 95 Kilogramm nicht übersteigt.

Ein bundesweites Signal
Verwendung fand das Modell nun gemeinsam mit anderen Stühlen am Internationalen Tag des freien Sonntags. Seit sieben Jahren wird am 3. März von der maßgeblich ökumenisch und gewerkschaftlich begründeten und getragenen Bewegung für den Sonntagsschutz geworben. Vielerorts senden zu diesem Anlass regionale wie kommunale Allianzen bundesweit ein Signal für den arbeitsfreien Sonntag in die Gesellschaft, die Politik und die Unternehmen aus.

Ein Kölner Bündnis für den freien Sonntag
Jetzt wurde der Internationale Tag des freien Sonntags erstmals auch in Köln gewürdigt. Veranstalter der (Liege)Stuhl-Aktion war die „Kölner Allianz für den freien Sonntag„. Das Bündnis der beiden großen Kirchen und Gewerkschaften besteht seit 2011. Unterzeichnende der Gründungserklärung sind Stadtsuperintendent Rolf Domning für den Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, Walter Fuchs-Stratmann, Sozialreferent und stellvertretender Leiter der Melanchthon-Akademie, für die Evangelische Arbeitnehmerbewegung (EAN) Rheinland sowie Hannelore Bartscherer, Vorstandsvorsitzende des Katholikenausschusses Köln. Außerdem Andreas Kossiski, Vorsitzender des DGB Köln-Bonn, Hildegard Lülsdorf, Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), Stadtverband Köln, und Christa Nottebaum, Geschäftsführerin von ver.di, Bezirk Köln.

Rhythmus zwischen Arbeit und Ruhe erhalten
Damit macht sich die Evangelische Kirche in Köln und Region im Verbund mit anderen Institutionen ausdrücklich gegen eine weitere Aushöhlung der Sonn- und Feiertagsruhe auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene stark. Die Allianz fordert eine Reduzierung der sonntäglichen Arbeit und die Stärkung des freien Sonntags. Verkaufsoffene Sonntage sollen abgeschafft werden. Mindestens will die Allianz „die Anzahl der zur Öffnung freigegebenen Kalendersonntage weiter“ begrenzt und „den Anlassbezug für die Sonn- und Feiertagsöffnung wieder“ hergestellt sehen. Neben der Einhaltung fordert das Bündnis auch eine konsequente Kontrolle des Sonn- und Feiertagsschutzes in Köln. Es geht der Allianz um die Schärfung des „öffentlichen Bewusstseins für die Sonntags- und Zeitkultur“, um den Erhalt des „kulturellen Rhythmus‘ zwischen Arbeit und Ruhe“ – um der Menschen und einer humanen Gesellschaft willen. Darum, „den Menschen eindeutig in den Mittelpunkt allen Wirtschaftens zu stellen“.

Einkaufsmeile mit Insel
Als passenden Ort für ihre Aktion hatte die Kölner Allianz einen kleinen Abschnitt der von größeren und kleineren Geschäftshäusern gesäumten Schildergasse gewählt – in direkter Nachbarschaft zur Antoniterkirche. Auf einer der meist frequentierten Einkaufsmeilen Deutschlands, die sich an diesem nicht verkaufsoffenen Sonntag weniger belebt zeigte, bildet das evangelische Gotteshaus eine spirituelle „Insel“. Mit der nachmittäglichen Veranstaltung folgte die Kölner Allianz einer Empfehlung der bundesweiten Initiative „Allianz für den freien Sonntag„. Auf diese ging auch die in einigen Gemeinden im Verbandsgebiet umgesetzte Idee zurück, den Sonntagsschutz in Sonntagsgottesdiensten zu thematisieren.

Eine Pause beim Schaufensterbummel
Eine ungewöhnliche Einladung also erwartete die Passanten in der Fußgängerzone: Sie konnten ihren Schaufensterbummel unterbrechen, sich inmitten der Schildergassse auf Stühlen niederlassen, eine Auszeit nehmen und über die Notwendigkeit, den freien Sonntag zu schützen, ins Gespräch kommen – miteinander und mit den Aktiven des Bündnisses. „Mit unserer Aktion wollen wir an unser Engagement, unsere Ziele erinnern“, erläuterte Pfarrer Markus Zimmermann. Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Nord und stellvertretende Stadtsuperintendent versuchte mit seinem Team, darunter seine ebenfalls in der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Mauenheim-Weidenpesch tätige Gattin Pfarrerin Susanne Zimmermann so wie Hannelore Bartscherer, Walter Fuchs-Stratmann, Hildegard Lülsdorf und Christa Nottebaum, Flaneure für das Thema zu sensibilisieren.

„Einmal in der Woche muss Ruhe sein“
„Ganz wichtig“, empfand eine Passantin die Forderung nach dem freien Sonntag, und trug sich gerne in eine der ausliegenden Unterschriftenlisten ein. „Ein Mal in der Woche muss Ruhe sein“, stellte sie fest. Markus Zimmermann zeigte sich angenehm überrascht über die Resonanz: „Es haben relativ viele Menschen unterschrieben.“ Neben, überwiegend, Zuspruch, gab es wenige kritische Stellungnahmen. Ein junger Mann beispielsweise argumentierte, dass er selbst bestimmen wolle, wann er einkaufen gehe. Ein anderer meinte, dass kein ausländischer Gast verstehe, weshalb hier sonntags die Geschäfte geschlossen seien. Insgesamt aber erkennt Markus Zimmermann ein verstärktes gesellschaftliches Engagement für den Schutz des Sonntags.

Gespräche mit Politikern sind geplant
Selbstverständlich stehen die Allianzen auch in Kontakt mit der Politik. Markus Zimmermann verweist auf Gespräche der „Rhein-Erft Allianz für den freien Sonntag“ mit Mitgliedern des Landtages. Der stellvertretende Stadtsuperintendent ist, ebenso wie Dr. Bernhard Seiger, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd, Gründungsmitglied der Rhein-Erft Allianz. Außerdem wurde deren Gründungserklärung im Jahr 2011 von Pfarrer Achim Brennecke, Kreisdechant im Kreisdekanat Rhein-Erft-Kreis, Liv Dizinger, ehrenamtliche DGB-Kreisvorsitzende Rhein-Erft, Detlef Kornmüller, Vorsitzender der KAB, Stadtverband Wesseling, Tim Kurzbach, Landesallianz NRW als Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der KAB, und Christian Lindner, Gewerkschaftssekretär des ver.di-Bezirks Aachen/Düren/Erft unterzeichnet.

Ein Arbeitsschutzgesetz im Wirtschaftsministerium
Seit Gründung der Allianz in Köln habe man mit vielerlei Veranstaltungen und Verlautbarungen auf ihre Ziele aufmerksam gemacht, beispielsweise auf Podiumsdiskussionen und durch Presseerklärungen, erläuterte Bartscherer. „Die öffentliche Wahrnehmung, dass es Menschen gibt, die sich für den Sonn- und Feiertagsschutz engagieren, ist schon gewachsen“, stellt sie fest. Mit der Wirkung auf politischer Ebene ist die Vorstandsvorsitzende des Katholikenausschuss Köln dagegen noch nicht so zufrieden. Für Unbehagen sorge unter anderem der erste Entwurf einer Novelle des Ladenöffnungsgesetzes (LÖG NRW). Diese war zwecks Schutz des Wochenendes und Eindämmung der „Auswüchse bei der Sonn­tagsöffnung“ vom rot-grünen Kabinett beschlossen worden. Zu den wesentlichen Punkten zählt die Reduzierung der absoluten Anzahl der verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage in einer Kommune auf jährlich maximal 13 Sonn- und Feiertage einschließlich ein Sonntag im Advent. Für die Öffnung an diesen Tagen wird ein Anlass vorausgesetzt. Außerdem: „Jede einzelne Verkaufsstelle darf nur an vier Sonn- oder Feierta­gen im Jahr öffnen.“ Bartscherer bezeichnete es als „schwierig, dass die Novellierung aus dem Wirtschaftsministerium kommt. Das ist der völlig falsche Ansatz.“ Wie Nottebaum sieht sie die Zuständigkeit eher beim Familien- oder Arbeitsministerium. „Das war früher ein Schutzgesetz für Arbeitnehmer, jetzt ist es eins für die Wirtschaft“, meinte Nottebaum. „Wir befürchten, dass sich die Einzelhandels-Verbünde durchgesetzt haben.“

Das Gesetz muss eindeutig sein
Der Kölner Allianz geht es laut Bartscherer darum, „dass das, was im Wahlkampf versprochen wurde, umgesetzt wird“. Die bestehenden Formulierungen in der Novelle gingen nicht weit genug. Sie seien nicht eindeutig genug. Bartscherer und Nottebaum nannten etwa die ‚Vier-Sonntage-Regelung‘. Diese sei noch auslegungsfähig, könnte beispielsweise in Köln nicht auf die Kommune insgesamt, sondern seine einzelnen Bezirke bezogen werden. „Das könnte im Sinne des Sonntagsschutzes nach hinten losgehen“, befürchtet Markus Zimmermann. Gleichwohl ist er überzeugt, dass auch die Landesregierung bestrebt ist, das Gesetz „wasserdicht“ zu machen.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich