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Mahnwache auf der Domplatte mit Superintendentin Susanne Beuth 2.v.r. und Dorothee Schaper 6.v.r.

„Stoppt den antisemitischen Terror!“: Kundgebung auf der Domplatte nach dem rechtsextremistischen, antisemitischen Anschlag in Halle

Gut 1000 Teilnehmende zählte die Kundgebung „Stoppt den antisemitischen Terror!“ am Donnerstagabend auf der Domplatte. Anlass war der Anschlag eines 27-Jährigen auf die Synagoge in Halle an der Saale tags zuvor, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Zwar konnte der stark bewaffnete Täter nicht in das Gebäude eindringen. Jedoch erschoss er auf dem Weg dorthin zwei Menschen und verletzte weitere. Am Donnerstagabend bestätigte der Täter gegenüber dem Ermittlungsrichter ein rechtsextremistisches, antisemitisches Motiv.

Die Organisatoren

Organisiert hatte die Kundgebung die Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V. AG Köln, das Bündnis gegen Antisemitismus – BgA Köln, das Rheinische Antifaschistisches Bündnis gegen Antisemitismus (RABA) und die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Zahlreiche Kölner Einrichtungen, Organisationen und Gruppen der Zivilgesellschaft unterstützen den Aufruf, bekundeten vor Ort ihre Trauer um die Opfer und deren Angehörigen sowie ihrte „Solidarität mit den Jüdinnen und Juden in Halle und überall“.

Selbstverständlich zeigten auch Vertretende des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region Flagge. Unter ihnen Pfarrerin Susanne Beuth, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln sowie Pfarrerin Dorothee Schaper. Sie ist in der Melanchthon-Akademie Köln (MAK) für die Fachbereiche „christlich-muslimische Begegnung“ sowie „interreligiöse Begegnung“ zuständig. Schaper vertritt zudem die MAK im Kölner Rat der Religionen, der mit vielen seiner Mitglieder und einem großen Banner auftrat.

„DNA evangelischer Bildungsarbeit“

Zu den Teilnehmenden gehörte ebenso Pfarrer Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie: „Ein Anschlag auf jüdische Menschen in einer Synagoge geht an die Substanz unseres Rechtsstaates. Das ´Nie wieder!´ angesichts der Shoa bildet den roten Faden des deutschen Grundgesetzes“, sagte er im Gespräch. Menschen gegen das Gift des Antisemitismus zu bilden und aufzuklären, gehöre deshalb zur DNA unserer evangelischen und demokratischen Bildungsarbeit. „Wir pflegen freundschaftliche und respektvolle Beziehungen zu beiden jüdischen Gemeinden in Köln, engagieren uns im Rat der Religionen, beteiligen uns an dem Projekt ´Weißt du, wer ich bin?´ von Juden, Christen und Muslimen – aus allem entstehen immer wieder wunderbare Dialogprojekte. Daher war es völlig klar, dass wir heute Abend dabei sein müssen!“, begründete Bock.

Und doch ist Bock klar, „dass wir dabei nicht stehen bleiben können. Wenn die Situation in unserem Land so ist, wie sie in Anschlägen, Beschimpfungen von jüdischen Menschen auf offener Straße, in Wahlplakaten mit antisemitischen Inhalten auf unseren Straßen und Plätzen bei der Europawahl deutlich wird, dann können wir mit nichts Erreichtem zufrieden sein.“ Der „Aufstand der Anständigen“, von dem Abraham Lehrer als Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln gesprochen habe, müsse uns als Christen und als Staatsbürger herausfordern. „Als Christen haben wir unsere Hausaufgaben im Blick auf die eigene religiöse Tradition zu machen, aber auch als Demokraten dürfen wir die strittigen und auch die mit Angst besetzten Fragen nicht den populistischen Parteien überlassen, sondern müssen für das Vertrauen in genau diesen Rechtsstaat mit seinen Mitteln kämpfen und streiten“, betonte der Akademie-Leiter.

Deutliches Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus

Veranstaltende und Unterstützende wollten mit der Kundgebung ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus weit über Köln hinaus senden. Das unterstrich auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker in ihrer Rede: „Dieser Anschlag ist ein Anschlag gegen uns alle.“ Allein in Köln lebten Menschen aus gut 190 Nationen. Sie forderte auf, bereits rechtsextremes, antisemitisches Gedankengut zu bekämpfen. Es sei Zivilcourage gefragt, wenn auch nur der Eindruck bestehe, dass jemand rassistische, antisemitische Gedanken äußere. Um für die Demokratie einzustehen, müssten Mut und Haltung bewiesen werden. „Ich schäme mich dafür, dass so etwas in meinem Land passieren kann“, schloss sie.

Emotionale Ansprache der Synagogen-Gemeinde Köln

„Sie an unserer Seite zu wissen tut gut“, dankte zu Beginn David Klapheck, Geschäftsführer der Synagogen-Gemeinde Köln, den vielen Menschen auf der Domplatte. „Wir schaffen das nur gemeinsam“, stellte er in einer emotionalen Ansprache fest. Viele von uns hätten es sich nicht vorstellen können, dass ein Holocaustleugner schwer bewaffnet auf eine Synagoge zulaufe. „Es ist Gewissheit geworden“, sprach er von dem großen Glück, dass die Synagogentüre in Halle gehalten habe, sonst hätte ein großes Blutbad stattgefunden.

Am Anfang stünden Gedanken, auf diese folgten Worte, aus Worten würden Taten, wies er hin auf die rechtsextremistische Rhetorik beispielsweise des Afd-Politikers Björn Höcke. Klapheck sagte, er könne die obligatorischen Lippenbekenntnisse seitens der Politik nach solchen Anschlägen nicht mehr hören. Es müsse ein Ruck durch die Gesellschaft gehen, fragte Klapheck, wo denn die konstruktiven Vorschläge dafür seien. Er erwarte nicht nur von der Politik ein Umdenken in der Bewertung von rechtsextremistischen, antisemitischen Äußerungen und Handlungen, sondern auch von Staatsanwälten, Polizei und Richtern. „Wenn auf einem Plakat steht: Israel ist unser Unglück, kommt es noch nicht einmal zu einem Strafverfahren.“ Und handele es sich nicht um Antisemitismus, wenn Synagogen angezündet würden. Die Tat in Halle betreffe nicht allein Juden, sondern unsere Demokratie. „Helfen Sie uns, dass Deutschland für Juden wieder sicherer wird“, appellierte er.

Ein „Anschlag auf die Seelen aller Juden in Deutschland”

„Es zerreißt mir das Herz, dass Juden in diesem Land nicht mehr sicher sind. Es ist eine nationale Schande, dass jüdische Mitbürger berechtigte Angst um Leib und Leben haben müssen“, klagte nicht weniger emotional Helge David Gilberg. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V. Arbeitsgemeinschaft Köln. Dabei, formulierte Gilberg, verharmlose der Begriff Einzeltäter die Tat in Halle. Es sei im Sinne dessen, was der Rechtsextremist und Antisemit getan habe, keine Einzeltat. Gilberg sprach von einem „Anschlag auf die Seelen aller Juden in Deutschland“. „Wie konnte das wieder in Deutschland passieren. Haben wir nichts aus unserer Geschichte gelernt“, fragte er.

Wir sollten nicht glauben, dass Kölle eine Insel der Seligen sei. Faschisten wie Björn Höcke bereiteten den Weg. Er und andere in der Afd seien geistige Brandstifter. „Aber“, so Gilberg entschlossen, „wir zeigen den Rechtsradikalen, ihr seid nicht im Recht, ihr seid keine Mehrheit. Rechtsradikalismus und Rassenwahn haben in diesem Land keinen Platz. Wir Juden sind ein Teil dieser Gesellschaft. Wir lassen uns von Euch nicht vertreiben. Ich werde mich niemals dem braunen Mob beugen. Shalom – Frieden sei mit Euch.“

Rabbiner Yechiel Brukner von der Synagogen-Gemeinde Köln betonte, dass man sich nicht habe vorstellen können, dass in der Stunde des Erinnerns an die Opfer der Shoa eine Synagoge angegriffen werde. Zugleich bezeichnete er es als ein Wunder, dass die Schüsse des Täters das Schloss der Holztür der Synagoge zwar durchschlagen hätten, aber der Schütze nicht habe eindringen können.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich