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Stadtsuperintendent Rolf Domning zur neuen EKD-Studie über die Kirchenmitgliedschaft

Wer fragt, der bekommt auch eine Antwort. Und zur ehrlichen Frage gehört der Mut, sich einer ehrlichen Antwort zu stellen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat diesen Mut nun bereits zum fünften Mal unter Beweis gestellt.

Schonungsloses Stimmungsbild
In ihrer Erhebung zur Kirchenmitgliedschaft „Engagement und Indifferenz – Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis“ zeichnet sie ein genaues, und man kann durchaus sagen schonungsloses, Stimmungsbild ihrer Mitglieder. Wie nehmen Protestanten in Deutschland ihre Kirche wahr? Wie stark fühlen sie sich ihr verbunden und in welchen Fragen vertrauen sie ihr? Für uns, die wir unsere Kirche aktiv mitgestalten, ist diese Studie ein wertvolles Sensorium. Denn auch da, wo sie Probleme und Desiderate aufzeigt, gibt sie doch Auskunft über eine mögliche Zukunft unserer Kirche. Ich möchte im Folgenden einige Aspekte herausgreifen, die mir besonders am Herzen liegen.

Es herrscht eine Beziehungslosigkeit
Es gab eine Zeit, da konnte man sich mit der Kirche so richtig streiten. Da regten sich auch die kirchenfernen Gemüter und diskutierten heftig kirchliche Positionen und Inhalte. Die Meinung der Kirche – denken Sie etwa an die Evangelischen Kirchen der DDR – war unbequem und reichte in gesellschaftliche Felder wie den Umweltschutz oder in soziale und politische Fragen hinein. Wenn man der Mitgliederbefragung von 2014 Glauben schenken darf, dann ist diese Zeit vorbei. Ihre Kernbotschaft lautet: Seitens der Kirchenfernen wachse die Indifferenz, es herrsche eine „Beziehungslosigkeit“, die sich durch fast alle erfragten Bereiche zieht. In den 50 Jahren, die alle fünf Studien der EKD bisher abdecken, ist diese Aussage ein Novum. Die Kirche und ihre Mitglieder, sie erinnern mich ein wenig an ein altes Ehepaar: Früher stritt man sich vielleicht häufiger, aber man war sich nicht egal.

Aufschlussreiche Antworten von „Ausgetretenen“
Es wäre leicht, hier gesamtgesellschaftliche Gründe heranzuziehen: Indifferenz, Konturlosigkeit, fehlende Leidenschaft, dafür aber Pragmatismus und Effizienz wo man nur hinschaut – diese Charakteristika gelten sicherlich für viele Bereiche unserer Gesellschaft, sie mögen in der Politik ebenso zu finden sein wie im Schulalltag oder im Berufsleben. Aus der Mitgliederstudie lassen sich allerdings auch Gründe herauslesen, die die Kirche persönlich nehmen kann. Sie sollte sie sogar persönlich nehmen, denn hier liegt ein großes Lernpotenzial. Sehr aufschlussreich sind zum Beispiel die Antworten derjenigen Befragten, die aus der Kirche ausgetreten sind. Neben Gründen wie der „Kirchensteuer“ oder dem „Ärger über öffentliche Stellungnahmen“ werden in West und Ost drei Aspekte besonders häufig genannt: „Die Kirche ist unglaubwürdig“, die „Kirche ist mir gleichgültig“ und „Ich brauche keine Religion fürs Leben“. Man kann das auch so übersetzen: Die Evangelische Kirche hat ihre Relevanz für das alltägliche Leben verloren. Während sie in existenziellen Fragen wie Tod, Geburt und Taufe nach wie vor eine hohe Glaubwürdigkeit besitzt, hat sie offenbar keinen Kontakt zum Alltag ihrer Mitglieder mehr.

Die eigene Komfortzone verlassen
Das ist eine ehrliche Antwort und eine schmerzhafte obendrein. Aber ich denke, dieser Schmerz kann helfen, die richtige Therapie zu finden. Die Studie der EKD zeigt, wie wichtig es ist, eine neue Diskussion über die Zukunft unserer Kirche zu führen. Wir müssen uns fragen, wie wir den Kern unserer Werte wieder neu aktivieren und lesbar machen können. Wie sehen etwa zeitgemäße Kasualien aus? Wie können wir zu einer Sprache finden, die authentisch ist, aber gleichzeitig niemanden außen vor lässt? Wie können wir in gesellschaftlichen Fragen Haltung zeigen – oder gerne auch: eine Reibungsfläche? Und wo müssen wir aus uns herausgehen, um noch glaubhaft in die Lebenswelt unserer Mitmenschen sprechen zu können? Solche Debatten mögen unbequem sein, aber sie sind unumgänglich. Denn wer den anderen erreichen möchte, muss die eigene Komfortzone verlassen.

Wer jetzt mehr lesen möchte, findet hier den Link zur Studie.

Text: Rolf Domning
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