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Stadtsuperintendent Fey: Predigt im evangelischen Gottesdienst zur Trauerfeier für Alfred Freiherr von Oppenheim im Kölner Dom

Liebe Baronin Oppenheim, liebe Familie, Freunde – sehr geehrte Trauergemeinde des Verstorbenen, Baron Alfred Paul Ernst von Oppenheim!

Die Bilder der letzten Tage werden bleiben. Es war alles ganz anders gedacht und geplant vor Weihnachten… Sie und Ihr Gatte, Ihre Kinder und Schwiegerkinder, die ganze Familie – keiner hat damit gerechnet, was so plötzlich bittere Realität wurde. Der Tod hat Ihnen Ihren Ehemann, Vater, Schwiegervater, Großvater und Bruder genommen.

Letzte Worte sind gesprochen, letzte Berührungen liebevoll geschehen, Tränen heimlich und offen geweint, Abschied gemeinsam getragen.

Anrufe, Briefe, Gespräche füllen in diesen Tagen Ihren Lebensraum. Fragen, Nicht-Fassen-Können, tiefes Mitgefühl spüren Sie als Familie von vielen Menschen in großartiger Weise. Doch Ihr Lebensraum ist ein anderer geworden: Da fehlt jemand, von dem kein Wort mehr zu uns dringt und keines von uns mehr zu ihm.

In dieser Stunde sind wir hier versammelt im Hohen Dom zu Köln, mit all den Gedanken und den Erinnerungen, mit Begegnungen, in Herzen bewahrt, und mit Erfahrungen – eben mit all dem, was Sie gemeinsam erlebt haben, und wir schauen zurück auf das Leben des Alfred von Oppenheim und stellen es unter ein Wort, dass Sie sich, liebe Familie von Oppenheim, gewünscht haben:

Text: Timotheus 4, 7+8
Ich habe den guten Kampf gekämpft,
ich habe den Lauf vollendet,
ich habe Glauben gehalten;
hinfort ist mir bereitet die Krone der Gerechtigkeit,
welche mir der Herr, der gerechte Richter,
an jenem Tage geben wird, nicht mir allein,
sondern auch allen, die seine Erscheinung lieb haben.


In diesen Versen blickt der Apostel Paulus auf sein Leben zurück und zieht Bilanz.
Es sind trostreiche Worte, die Ruhe, Frieden und Zuversicht in sich bergen. Dabei befindet sich der Apostel Paulus überhaupt nicht in einer positiven Situation, im Gegenteil! Er liegt im Gefängnis, dem drohenden Tode nahe und nimmt mit diesen Worten bereits Abschied. In der Schrift heißt es: „Die Zeit meines Scheidens ist nahe“.

Und Paulus vergleicht sein Leben rückschauend mit Bildern des sportlichen Wettkampfes, weckt Assoziationen von Siegerehrung und Lorbeerkranz, von Ehrungen und Erfolgen, ja auch von Niederlagen.

Sie lassen uns an große Anstrengungen, konzentrierte Beharrlichkeit, eigene Leistungsbereitschaft und Selbstüberzeugung denken. Der Apostel blickt auf sein Leben zurück und sagt wie selbstverständlich: „Ich habe den guten Kampf gekämpft.“In der Tat: Paulus hat sein Leben lang darum gekämpft, dass die Botschaft Jesu von der grenzenlosen Liebe Gottes zu den Menschen nicht nur eine lokal-provinziale Bedeutung gewinnt – und nicht allein der kleinen Schar von Anhängern in Jerusalem zukommt. Die frohe Botschaft sollte Rom und die ganze damalige Welt erreichen! Das gelang ihm. Darum kann er zurückblickend sagen: „Ich habe meinen Lauf vollendet“ – das heißt: sein Lebenswerk. Und allen seinen Kritikern, und deren hatte Paulus genug, hält er entgegen: „Ich habe Glauben gehalten.“ Und er meint damit seine Treue zum Evangelium Jesu Christi, wie er es empfangen und den Menschen weitergegeben hat.

Der Vergleich eines geglückten Lebens mit einem sportlichen Wettkampf ist von Paulus nicht erfunden worden. In der Literatur gibt es ihn schon von jeher. Und auch der Verstorbene, Baron Oppenheim, hat anlässlich seines 70. Geburtstages eine Metapher aus dem Sport verwendet, um den neuen Lebensabschnitt – mit dem ihm eigenen Humor – zu beschreiben: „Man weiß, dass man langsam in die Schlusskurve einfährt.“

Für dieses Leben, das am 5. Mai 1934 hier in Köln begann und das am 5. Januar 2005 in Köln sein Ende fand, trifft dieses Pauluswort in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt zu.

Der Ehegatte, der Vater, der Bruder, der Freund – er könnte es ja genau so gesagt haben: „Ich habe den guten Kampf gekämpft.“ Und gleich einer Überschrift über sein Leben will ich hin-zufügen: „Den guten Kampf um den Zusammenhalt in der großen Familie.“ Familie im stets doppelten Sinn: als Ort der Begegnung von Kindern und Schwiegerkindern, von Bruder und Enkelkindern, von Heirat und Liebe, Gefühlen und Lebensfreude – und auch: die Familie in der Bank, mit all den geschäftlichen Herausforderungen, den wichtigen Entscheidungen für die Zukunft des Hauses, die Führung aller Mitarbeitenden und, ja und die ungebremste Freude an der Arbeit, die Ihr Mann, liebe Frau Baronin, wie er selbst sagte, nicht als belastend empfand; sie war für ihn selbstverständlich.

Seinen Kampf hat Alfred Freiherr von Oppenheim aufgenommen 1934, und als Kind durchlebte er zusammen mit seinen Eltern die menschenverachtende Gewaltherrschaft des Nationalsozialisten. Welche Bilder sind da geblieben, welche Ereignisse waren prägend für die Zeit des Neuanfangs nach dem Wahnsinn des Krieges? Sicher auch die Erfahrung einer tiefen, vertrauensvollen Absprache gegen das verbrecherische Regime zweier Familien in Köln.
Nach Schule und Ausbildung hat Baron Oppenheim dann den Kampf im Geschäftsleben aufgenommen und das Bankhaus in dieser weltweiten ökonomischen Umbruchssituation in der 6. Generation im Familienbesitz gehalten und europaweit vergrößert. Voraussetzung dafür waren sein Pflichtbewusstsein, sein Verantwortungsbewusstsein und seine unbedingte Zielstrebigkeit; gewiss auch, an der ein oder anderen Stelle, die Ungeduld. Das wollte er sein – berechenbar, vertrauensvoll oder wie er selbst formulierte, ein verlässlicher Freund.
Da sind die zahlreichen Tätigkeiten, Ämter und Ehrenämter in Wirtschaft und Gesellschaft, das großzügige Mäzenatentum in Kultur, Kunst und Wissenschaft, seine Liebe für seine Heimatstadt Köln.
Da sind 42 Jahre einer Ehe zu nennen, Baronin: Ihr gemeinsamer Lauf, auch Ihre Kinder, Enkelkinder. Von Ihnen, als Sohn, Freiherr von Oppenheim, hören wir, dass Ihr Vater immer für Sie und Ihre Schwestern ansprechbar war; aber er hat auch etwas gefordert von Ihnen. Er war Ihnen ein guter Vater.

Ein solches Leben lässt sich so beschreiben, wie Paulus es für das seine tat. Ja, auch in der Weite, die Paulus anstrebt, liegt eine Nähe zu dem Verstorbenen: die Weite des Meeres – ein Bild -, die Freude an der Internationalität, die er liebte, seine unbedingte Ausrichtung auf ein Ziel hin.

Baron Alfred Paul Ernst von Oppenheim war mit seiner wertkonservativen Lebenseinstellung für seine Familie, aber auch für Freunde und Geschäftspartner, immer verlässlich, und er strebte, in vielen Facetten seines Denkens, immer nach Klarheit; die Menschen um ihn nannten es „Ja oder Nein“. Es gab keine Grauzone. So hat er nicht mit dem modernen Lebensge-fühl kokettiert, das sich wohl ausdrückt in dem – so häufig nur dahingesagten „Der Weg ist das Ziel“ – jener alten Weisheit des Ostens, die im Zeitgeist des Westens zur Phrase verkommen ist, die nichts anderes mehr bedeutet, als dies: Das Leben ist sich schon selbst genug. Mit diesem way of life, den der Verstorbenen nicht teilte, geht alles Jenseitige und aller Bezug des Lebens verloren.

Wie hat Paulus gesagt: „Ich habe den Lauf vollendet“ – in aller Trauer ist dies die Stunde und der Ort des Dankes:
Dank an Gott, der dieses Leben schenkte.
Dank, dass es ein volles und erfülltes, ein so kraftvolles Leben war in der Bereitschaft, mit Rat und Tat, anderen Menschen auf ganz unterschiedlichen Ebenen zur Seite zu stehen.
All das ist jetzt nicht mehr möglich, und der Lauf des Lebens ist, nach der „letzten Kurve“, nun über die „Zielgerade“ gegangen. Und es ist gut, wenn man sagen kann: „Ich habe den Glauben gehalten“, ich habe Gerechtigkeit versucht zu leben, und im Ziel bin auch ich – in der Gnade Jesu Christi – gerecht vor Gott, widerfährt mir Gerechtigkeit, die ich nicht selbst machen kann. Nun aber werde ich, Mensch, der so vieles bewegt hat, von Gott bewegt.

Diese Gerechtigkeit bei Gott ist eine ganz und gar unverdiente Gabe. Der Kranz der Gerechtigkeit lässt sich nicht einfordern. Dieser zentrale Gedanke unseres Glaubens spendet Trost im Angesicht des Todes. Und er vermag auch zu trösten – weit über unser persönliches Schicksal hinaus – in unserer wortlosen Verzweiflung und Trauer der letzten Wochen über den Tod von Hundertausenden von Menschen in der schrecklichen Flut – Menschen, Kinder zumal, denen jede Chance genommen wurde, „den guten Kampf“ zu kämpfen, und deren Lauf noch lange nicht vollendet war…

Und dennoch sagt uns der Apostel Paulus zu: Jedem wird Gerechtigkeit widerfahren, weil Gott ein gerechter Gott ist. Wie das sein wird, wissen wir nicht. Denn Endliches kann nicht Unendliches denken. Eins aber wissen wir genau: Menschliches Leben ist immer „Vorlaufen in den Tod“, so hat es Heidegger gesagt, einer der tiefsten Denker des Todes in neuerer Zeit. Er kommt mit dieser Vorstellung dem Bild des vollendeten Laufs sehr nahe. Das Sein im Tod dagegen bleibt dem Glaubenden und dem Philosophen geheimnisvoll umhüllt. Dennoch hören und verstehen wir die tröstende Botschaft des Paulus in seiner Übertragung in das Bild der „Krone der Gerechtigkeit“ als Sein im ewigen Frieden in Gott.

Ihr Ehegatte, Vater, Großvater, Bruder und Freund ist nicht in eine unbewegte, schattenlose, stumme Dunkelheit entwichen! In seinem Spätwerk hat Heidegger das Vernehmen aus der Todes-Ferne in ein romantisches Bild gefasst: „Das Geläut im Gebirg.“ Paulus versteht darunter: „Sein in Gott.“

So legen wir das erfüllte Leben von Alfred Paul Ernst von Oppenheim mit all seinen schönen und schweren Seiten voll Demut und Dankbarkeit zurück in Gottes Hand und hoffen auf seine Gerechtigkeit und die Auferstehung in Jesus Christus.

Amen.

Text: Ernst Fey
Foto(s): Sal. Oppenheim jr. & Cie., Köln