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v.l. Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger, Birgit Heide und Tobias Fischer

„Unser Haus ist ein bisschen anders“ – Zu Besuch im Thomas-Müntzer-Haus

Man kann den Geruch von reifen Weizen fast schon schmecken, als sich die Aufzugtür öffnet und der Blick auf das anderthalb Meter große Bild eines Kornfeldes fällt. Im zweiten Obergeschoss des Thomas-Müntzer-Hauses erstrecken sich Flure, die auf den ersten Blick an ein Krankenhaus erinnern könnten. Doch etwas ist hier ganz anders. Es ist das Konzept, das sich auf alle Bereiche des Hauses auswirkt. In diesem Haus sind Bilder von reifen Weizenfeldern nicht nur Dekoration, sondern leisten wertvolle Orientierungshilfen – eine Orientierung, die demenzkranke Menschen in einem Seniorenheim dringend benötigen und dankbar annehmen.

Das Thomas-Müntzer-Haus

Das Thomas-Müntzer-Haus ist eine Einrichtung der Diakonie Michaelshoven in Köln-Rodenkirchen. Mit seinem psychiatrischen Schwerpunkt ist das Haus auf Seniorinnen und Senioren mit Beeinträchtigungen und Demenzerkrankung spezialisiert. Stadtsuperintendent Bernhard Seiger besuchte vergangene Woche das Haus im Kölner Süden. „Die Demenz ist eine Krankheit, die Menschen sehr verändert“, sagte Seiger beim Rundgang durch die Station. „Sie erleben, dass sie vieles nicht mehr können, was sie im Laufe ihres übrigen Lebens konnten. Man muss diese Krankheit annehmen und damit umgehen lernen.“

Das Konzept der Einrichtung unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von Angeboten herkömmlicherer Seniorenheime. Frau Birgit Heide, Theologischer Vorstand der Diakonie Michaelshoven, ist stolz auf dieses Konzept: „Wir wussten anfangs nicht, ob unsere Idee überhaupt funktionieren würde. Unser Angebot wird aber so angenommen, dass wir wahrscheinlich noch eine weitere Wohngruppe aufmachen werden.“

Bewegungsfreiheit

Als eines von zwei Häusern in Köln mit sogenanntem „Unterbringungsbeschluss“ leben hier Menschen, die Hin- und Weglauftendenzen besitzen und eigen- oder fremdgefährdend sind. Die Außentüre der Einrichtung sind für die Bewohnerinnen und Bewohner verschlossen. Hier wohnen Menschen, deren Demenz derartig weit fortgeschritten ist, dass sie vor sich selbst bewahrt werden müssen.

„Deshalb ist unser Haus ein bisschen anders gestaltet“, erklärt Tobias Fischer, Leiter des Thomas-Müntzer-Hauses und ausgebildete Gesundheitsökonom „wir haben zwei große Wohngemeinschaften je Etage und damit sechs im gesamten Haus. Man kann drum herum und immer wieder im Kreis gehen. Gleichzeitig können sich alle Bewohner im Haus immer komplett frei bewegen.“

Die Wohngruppen

Insgesamt 80 Bewohnerinnen und Bewohner leben im Thomas-Müntzer-Haus. Während im Erdgeschoss vorwiegend Menschen mit Behinderung und Demenz wohnen, befinden sich in den ersten beiden Obergeschossen Menschen mit psychiatrischem Schwerpunkt. Eine Besonderheit ist, dass sie dabei in Wohngruppen leben.

Beide Wohngruppen verfügen über Gemeinschaftsräume, wie einen Speiseraum mit Klavier oder ein gemeinsames Wohnzimmer, das zum Verweilen einlädt. Die Gemeinschaftsangebote werden gerne wahrgenommen. Während zwei ältere Damen neugierig das Geschehen beobachten, ist ein Herr noch dabei, sein Frühstück zu sich zu nehmen. „Es ist jederzeit möglich, hier zu essen“, erklärt Fischer mit einem Blick in die offene Küche.

Küche

In vielen Seniorenheimen wird das Essen zentral zubereitet, stammt aus einer Großküche oder wird angeliefert. „Das haben wir hier nicht. In jeder Wohngruppe wird jeden Tag frisch gekocht. Das heißt ein Kollege stellt sich mit den Bewohnern zusammen an den Herd, schaut: wer hat Lust? Wer kann helfen? Wer macht mit?“, erläutert Fischer das Konzept. Auf diese Weise werden Kartoffeln geschält, Zwiebeln gehackt, Schnitzel gebraten oder auch zusammen Kuchen gebacken. „Wir haben sechs Küchen. Es wird also sechsmal Frühstück, Mittagessen, Kaffee und Kuchen sowie Abendessen zubereitet“, ergänzt Fischer. Das sei zwar ein höherer personeller Aufwand, aber Fischer weiß, dass es ihm die Bewohnerinnen und Bewohner danken.

Im Thomas-Müntzer-Haus ist „das Essen nicht auf einmal da und die Menschen darauf angewiesen, pünktlich um 12 Uhr Hunger zu haben.“ Es ist der Geruch von – im großen eigenen Garten – herangezüchteter Petersilie oder einer kochenden Tomatensuppe zu verdanken, dass die Bewohnerinnen und Bewohner in diesem Seniorenheim nicht damit zu kämpfen haben, stetig abzunehmen. „Bei uns ist es eher andersherum. Wir müssen darauf achten, dass die Bewohner nicht alle zu viel zunehmen“, sagte der Leiter schmunzelnd.

Auch Seiger gefiel das Konzept der Demenzwohnung der Diakonie Michaelshoven sehr gut. „Wie gut, dass die Diakonie Michaelshoven sich in dieser fachlich hochkompetenten Weise um Menschen mit Behinderung und mit Demenz im Seniorenalter kümmert“, zog er sein persönliches Fazit. Noch ist nicht klar, ob die Diakonie Michaelshoven eine zweite Wohngruppe einrichten kann. Auch für weitere Menschen mit fortgeschrittener Demenz würde so ein zweiter Lebensraum jedoch eine würdige Perspektive für ihren Lebensabend bieten.


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Der gesamte Text des Videos hier zum Nachlesen:

Ich stehe hier vor dem Thomas-Müntzer-Haus. Das ist ein Haus im Süden von Köln in Rodenkirchen, ein Haus der Diakonie Michaelshoven. Das Haus ist wenige Jahre alt, es ist spezialisiert auf die Arbeit mit Senioren mit einer Behinderung oder auf Senioren mit einer Demenz Erkrankung oder auf Senioren, die mit beiden Themen zu tun haben. Wir möchten gerne dieses Haus, mit dem die Diakonie Michaelshoven eine Vorreiterrolle auf diesem Fachgebiet übernommen hat, vorstellen.

Im Thomas Müntzer Haus leben Seniorinnen und Senioren mit Demenz Erkrankungen und mit Behinderungen. Die Demenz ist ja eine Krankheit, die Menschen sehr verändert. Sie erleben, dass sie vieles nicht mehr können, was sie im Laufe ihres übrigen Lebens konnten, und das hat eine Wirkung auf Angehörige. Man muss diese Krankheit annehmen und damit umgehen lernen. Ein Angehöriger hat mir vor einer Weile einen Satz gesagt, den ich nicht vergessen habe: „Da kann man nichts mehr machen, man kann sich nur verhalten.“

Verhalten heißt, damit leben lernen, dass ein Angehöriger eben diese Krankheit hat und dass man sein eigenes Leben, seine Beziehung auf diese Krankheit einstellen muss. Aber was ich hier im Haus gelernt habe ist, dass man sehr wohl etwas machen kann. „Machen“ im Sinne von: das Lebensumfeld eines an Demenz erkrankten Menschen so gestalten, dass es würdig ist und viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Dies ist denkbar: So leben die Menschen in Wohngruppen, in ihren eigenen Zimmern, aber eben auch in einem großen Gemeinschaftsbereich. Man kann an einem Tisch zusammensitzen, kann zusammen essen, kann auch gemeinsam Spiele machen oder musizieren. Hier kann man aber auch gemeinsam Essen zubereiten. Es gibt eine große Küche mit Zubereitungsmöglichkeiten. Das tut Menschen gut, wenn sie auch diese vertrauten Tätigkeiten aus früheren Phasen ihres Lebens hier fortsetzen können.

Die Diakonie Michaelshoven bietet auch die Möglichkeit, durch die Besuche bei den Tieren der Einrichtung, zum Beispiel bei den Ponys oder bei den Lamas, wieder Beziehungen aufzubauen. Mit Tieren geht das manchmal leichter in einer solchen Lebensphase als mit Menschen. Zum Haus gehört auch ein großer Garten, der mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zusammen bewirtschaftet wird, so dass man Anteil nimmt am Jahresverlauf, an dem Wachsen von Pflanzen, am Ernten von Gemüse. Ich bin beeindruckt von dem, was hier in diesem Haus an Betreuung geschieht. Das würdevolle Umgehen miteinander, so dass Menschen die Erfahrung machen: Ich bin hier wertgeschätzt und ich werde unterstützt und ich kann hier Dinge machen, die mir guttun.

Wie gut, dass die Diakonie Michaelshoven sich in dieser fachlich hochkompetenten Weise um Menschen mit Behinderung und mit Demenz im Seniorenalter kümmert.

Text: Andy Ebels
Foto(s): APK/Thorsten Levin