Information und Gedenken, Erinnerung und Blick auf die Gegenwart, szenische Darbietung, Klarinettenmusik und Gebet: Über vier Stunden verwoben sich diese und weitere Elemente auf dem „Weg des Bedenkens zu Adolf Clarenbach und Peter Fliesteden“. Beide wurden am 28. September 1529 wegen ihres reformatorischen Glaubens als Ketzer vor den Toren Kölns hingerichtet. Nun suchten rund 100 Christinnen und Christen in ökumenischer Gemeinschaft Orte auf, die mit deren Lebensende in Verbindung stehen.
Insgesamt fünf Stationen umfasste der vom Evangelischen Kirchenverband Köln und Region und Katholischen Stadtdekanat Köln veranstaltete Gang. Er schloss mit einer Andacht in der evangelischen Clarenbachkirche in Köln-Braunsfeld.
Dank an Professor Hermle
Angeregt hatte den Weg des Bedenkens der Evangelisch-Katholische Arbeitskreis für Ökumene im Stadtbereich Köln, organisiert und durchgeführt der Arbeitskreis „Clarenbach“. Dr. Bernhard Seiger, Superintendent des Kirchenkreises Köln-Süd und Beauftragter für das Reformationsjahr 2017 im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, dankte insbesondere dem Theologen Siegfried Hermle. Der Professor für Evangelische Theologie an der Uni Köln verantwortete die historischen Einleitungen und Auswahl der Quellentexte. Mit Henriette Reker konnte Seiger auch die Kölner Oberbürgermeisterin willkommen heißen. Zudem drei Gäste aus der Evangelischen Kirchengemeinde Lüttringhausen beziehungsweise dem Kirchenkreis Lennep, in dem der Buscherhof liegt. Dort wurde Clarenbach um 1495 geboren.
„Heilung der Erinnerung“
„Oh Köln, Köln, wie verfolgst du das Wort Gottes!“ Dieser Ausspruch von Clarenbach auf dem Weg vom Domhof zur Hinrichtung diene als provokanter Titel der Veranstaltung, leitete Seiger seine Begrüßung in der Kirche des Erzbischöflichen Priesterseminars Köln ein. Sie steht auf dem einstigen Universitätsareal. Dort, an der Fakultät der freien Künste, schloss Clarenbach 1517 „das philosophische Grundstudium mit dem Magistergrad ab“. Die Schattenseiten der Kölner Geschichte zu beleuchten gehöre zur aufrechten Vorbereitung auf das Jahr 2017, so Seiger. „Nachdenklich stimmt aus heutiger Sicht der Umgang der städtischen und kirchlichen Autoritäten mit den Zeugen des reformatorischen Glaubens. In der ökumenischen Bewegung steht dieses Bedenken als Schritt vor der Versöhnung unter der Überschrift ´Heilung der Erinnerung´.“
Spannender Teil Kölner Geschichte
Seiger nannte neben der Erinnerung weitere Ziele der Veranstaltung. Einerseits wolle man „diesen spannenden Teil der Kölner Geschichte bekannter machen“. Andererseits „die damaligen Erfahrungen von Intoleranz und fehlender Religionsfreiheit auch auf unsere Zeit beziehen“. Entsprechend wurde im Verlauf mehrmals auf aktuelle Verletzungen der Menschenrechte, auf Unrecht weltweit hingewiesen. Und auf die Pflicht, sich einzumischen.
Um Leib und Leben fürchten
Alle Menschen besäßen Rechte und sie bräuchten Rechte, „um in Sicherheit zu leben, um ihr Leben zu planen, um sich zu entfalten“, betonte Ulrike Graupner später im Café des „Gulliver“. In unzähligen Ländern würden die fundamentalsten Menschenrechte verletzt, beklagte die Pfarrerin an der Clarenbachkirche. „Wer die falsche Religion hat, muss um Leib und Leben fürchten. Wer den Mächtigen gefährlich wird, wird verleumdet und vorgeführt. Ich lebe in einem Rechtsstaat: Aber lasst uns die anderen nicht vergessen und unseren Mund auftun für die zum Schweigen Gebrachten.“
Leiden anderer wahrnehmen
Im weiteren Verlauf erinnerte Elisabeth Grumfeld auf den Stufen zur Domplatte an die „Leidtragenden der vielen und vielfältigen Konflikte“. Grumfeld: „Unschuldige leiden: durch weltweite Kriege, unter Vertreibung und deren Konsequenzen, unter ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts, unter ihrer Religionsausübung in einem Minderheitensystem“, so das Vorstandsmitglied des Katholikenausschusses in der Stadt Köln. „Gott möchte, dass wir gute und verantwortliche Menschen sind und uns gegenüber den Leiden anderer nicht verschließen.“
Fünf Mal wurde er vertrieben
Noch in der Seminarkirche fasste Hermle in einem ersten historischen Beitrag die Biographie Clarenbachs bis zu seiner Verhaftung am 3. April 1528 zusammen. In Münster, wo er seit 1521 ein Schulamt bekleidete, sei er mit „Gedanken und Schriften Luthers in Kontakt“ gekommen. Aufgrund seiner öffentlichen Agitation im Sinne Luthers habe man ihn nicht nur dort der Stadt verwiesen, sondern insgesamt fünf Mal von verschiedenen Aufenthaltsorten vertrieben. Im April 1528 habe er seinen Freund Johann Klopriß, der „wegen seiner reformatorischen Einstellung“ vom Geistlichen Gericht vorgeladen worden sei, nach Köln begleitet. Da Clarenbach „wohl lautstark“ gegen die Verhaftung von Klopriß protestiert habe, sei auch er festgesetzt worden, erläuterte Hermle. Während Klopriß fliehen konnte, blieb Clarenbach in Haft.
Gemeinsamkeiten der Kirchen
Monsignore Rainer Fischer blickte aus heutiger ökumenischer Perspektive auf die Verurteilung des „bergischen Reformators“. Er stellte voran, dass sich für ihn heute eine „ganz wichtige Stunde“ erfülle. „Ich bin in der Nähe von Clarenbachs Geburtshaus aufgewachsen.“ Seit dem letzten Jahrhundert habe sich allmählich ein Wandel in der Bewegung der verschiedenen Kirchen aufeinander zu durchgesetzt, sprach Fischer von einer zunehmenden Dialogbereitschaft. Diese habe auch zur (Wieder-)Entdeckung von Gemeinsamkeiten beigetragen. „Durch die zunehmende Begegnung der Kirche auf verschiedenen Ebenen – bedingt unter anderem durch die gesellschaftspolitische Situation – werden alle Christen immer mehr auf das ihnen Gemeinsame verwiesen, ohne die jeweilige Farbnuance, die jede Konfession prägt, in ein blasses Uni einzufärben“, so der katholische Geistliche.
Einstehen für eine Überzeugung
Auch den heutigen Nachmittag verstehe er als ein Zeichen für wachsende Gemeinsamkeit. Mancher Katholik gehe nun erstmals mit anderen Christinnen und Christen den letzten Weg Clarenbachs „nach“. Mit anderen setze man ein kleines Zeichen der Versöhnung und des Neuanfangs. „Was Clarenbach, Fliesteden und viele andere Christen uns glaubwürdig überliefern, ist das Einstehen für eine Überzeugung, die sich auch verkörpert in der Art und Weise, wie ich lebe und handle“, so Fischer. Kirchengemeinschaft bedeute nicht nur Übereinstimmung in der Lehre, „sondern auch im gemeinsamen Bekunden von Gottes Gegenwart, im Dienst an und in der Welt – auch hier in Köln.“
Stadtturm diente als Gefängnis
„Auch das gemeinsame Gehen ist viel wert“, verdeutlichte Seiger vor dem Aufbruch zur zweiten Station. Bei angenehmer Witterung hatte die Gruppe bald das „Gulliver“ in der Trankgasse erreicht. Die Überlebensstation für Obdachlose ist eingerichtet im ersten Bahnbogen der Hohenzollernbrücke. Damit unweit der Stelle des mittelalterlichen, im 19. Jahrhundert niedergelegten Frankenturms. In diesem als Gefängnis dienenden Stadtturm wurde Clarenbach also am 3. April 1528 inhaftiert. Bevor Hermle von dessen erstem Verhör durch eine Ratskommission und das geistliche Gericht des Kurfürsten sowie von der baldigen Verlegung auf den Kunibertsturm und der Einzelhaft in der Ehrenpforte berichtete, begrüßte Pfarrer Karl-Heinz Iffland die Gäste. Der Obdachlosenseelsorger stellte die Philosophie des „Raumes für Menschen“ vor, „deren Lebensmittelpunkt die Straße ist“. „Gulliver“ sei ein Ort, „den wir niederschwellig nennen“. Der alles biete, was tagsüber notwendig ist, um zu überleben – in Würde.
Verhör durch den Ketzermeister
Clarenbach hatte damals zunächst erfolgreich gegen die Überstellung an die geistlichen Behörden protestiert und verblieb im städtischen Gewahrsam. In der Verhandlung Ende Juli musste er auf 79 Fragen von Arnold Tongern, Richter des Geistlichen Gerichts und päpstlicher Ketzermeister, antworten. Auszüge aus dem Protokoll dieses Verhörs wurden den Teilnehmenden von zwei Schauspielern in szenisch-dramatischer Weise nahegebracht. Friedhelm Weiß schlüpfte in die Rolle des Ketzermeisters, Günther Heitzmann übernahm die des Angeklagten. So betonte Clarenbach durch Heitzmanns Stimme neuerlich, dass er kein Kleriker, sondern ein Laie sei, der den geforderten geistlichen Eid nicht leisten müsse. Martin Luther kenne er nicht von Angesicht, habe aber viel von ihm gehört und etliche seiner Bücher gelesen. Clarenbach wiederholte, „dass die Gemeinde kein anderes Haupt habe im Himmel noch auf Erden denn Christus allein, dies beweist sich mit der Schrift, nämlich mit 1. Ephesus oder 1. Kolosser“. Schließlich bat er den Notar, „demütiglich, sollte ich in einigen Stücken geirrt haben, so möge man mich über einen solchen Irrtum aus der Heiligen Schrift aufklären und aus ihr den rechten Weg lehren.“
Zum Tode verurteilt
Im Schatten der Dombauverwaltung, unweit des ehemaligen erzbischöflichen/kürfürstlichen Gefängnisses „Hacht“ am früheren Domhof, berichtete Hermle über die Verlesung des Urteils. Danach befand der Geistliche Gerichtshof im März 1529 Clarenbach aufgrund von 23 Artikeln, die die Inquisitoren auf der Basis des Verhörs zusammengestellt hatten, für schuldig. Diese Artikel, von denen einige den Weg-Teilnehmenden vorgetragen wurden, sollten „die ketzerische Haltung Clarenbachs belegen“. Hermle: „Das geistliche Gericht 'verdampte´ Clarenbach und erklärte, dass er ´ein reudig schaff und faul stinckend glid´ sei, das von der Kirche abgeschnitten werden müsse.“ Wie Clarenbach habe man Peter Fliesteden, der „im Dom bei der Eucharistie sein Missfallen bekundete“ und daraufhin verhaftet worden sei, der Ketzerei beschuldigt und zum Tode verurteilt. Beide wurden am 28. September 1529 den Henkern übergeben.
Teufel und Hölle überwunden
An ihren letzten Gang zum Richtplatz jenseits der Stadtmauer erinnerte man an der vierten Station, der Kirche Christi Auferstehung. Nicht weit entfernt vom Ort des im 20. Jahrhundert errichteten katholischen Gotteshauses waren Clarenbach und Fliesteden hingerichtet worden. Unweit des heutigen Melaten-Friedhofes erfuhren die Zuhörenden aus Quellentexten, wie die Verurteilten den diversen Bekehrungsversuchen widerstanden, gemeinsam beteten und zur Verwunderung von Umstehenden ihrer Meinung treu blieben. Clarenbach soll Gott gebeten haben, sich der Herren wie des gemeinen Volkes von Köln zu erbarmen. Schließlich erwürgte der Henker Fliesteden, hängte Clarenbach ein Pulversäckchen um und verbrannte beide in einer Strohhütte, so die bildhaften Quellen. Zuletzt soll Clarenbach geäußert haben: „Und wenn ihr mich schon getötet habt, so werdet ihr dennoch euren Willen nicht haben, ich aber werde das ewige Leben haben. So erschreckt mich also auch dieser Tod nicht, denn ich weiß, dass Christus Tod, Teufel und Hölle überwunden hat.“
Foto(s): Engelbert Broich