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„Sollst Dir ein Bild machen“ – Ausstellung auf fünf Ebenen im Turm der Lutherkirche in der Kölner Südstadt

„Sollst Dir ein Bild machen“ – diese Aufforderung sei jeder Kunstbetrachtung empfohlen: Gemälden und Plastiken, Installationen und andere Werke nicht urteilsfrei konsumieren, sondern sich anstoßen lassen und eigene Ansichten zulassen. Herbert Linden und Hermann Peterssen, die aktuell den Turm der Lutherkirche bespielen, erheben also eine Selbstverständlichkeit zum Titel ihrer Ausstellung. Damit unterstreichen sie ihr Anliegen: Es sei nicht zwingend, ihre Werke zu dechiffrieren, „vielmehr zählt die Stimulation und Wahrnehmung des Betrachters“. Die beiden Wahlkölner haben einfach das „Du sollst Dir kein Bildnis machen“-Gebot umformuliert, kommt einem in den Sinn. Und natürlich die Redewendung „da muss ich mir ein Bild von machen“, darüber will ich mich informieren.


Keine Gemeinschaftsarbeit im eigentlichen Sinne
Hermann Vogel, der seit vielen Jahren als Kunstbeauftragter der Lutherkirche die dortigen Präsentationen organisiert, hatte zunächst Hermann Peterssen angefragt. Gerade ob der besonderen Örtlichkeit, des kirchlichen Zusammenhangs und der „faszinierenden vertikalen Ausrichtung“ der Räume sagte der Maler zu. Auf Vogels Wunsch wählte er einen Mitakteur. Es ist Herbert Linden, einer seiner Ateliernachbarn im Clouth-Atelier-Projekt (CAP) in Köln-Nippes. Obwohl beide auf allen fünf Ebenen des Turms und zudem in der Kirche vertreten sind, handelt es nicht um eine Gemeinschaftsarbeit im eigentlichen Sinne. Verbindungen lassen sich dennoch ziehen. Etwa wenn es darum geht, bei dem einen Bild- und Zeichensegmente zusammensetzen, bei dem anderen einzelne Objekte zu einem Thema zu fügen.

Motiv erschließt sich erst aus der Entfernung
Der 51-jährige Peterssen wartet mit Acrylarbeiten auf. Ihnen liegen am Computer bearbeitete, verfremdete Fotografien zugrunde, die der gebürtige Badenser zuvor auf Reisen oder in seiner nahen Umgebung geschossen, respektive im Internet gefunden hat. Seine Motive stellen Personen, Ereignisse, alltägliche Situationen in Innen- wie Außenräumen dar. „Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht der Mensch“, sieht Peterssen Parallelen zur Institution Kirche. Neben zwei Selbstportraits in verschiedenen Stimmungen finden sich etwa einfarbige Einzel- und Gruppen-Darstellungen von Dritten. Hinzu kommen die mehrfarbigen Dreier-Serien „Tsunami“ und „Westwall“. In letzterer treten deutlich die Graffiti auf den Bunkerwänden am französischen Atlantik hervor. Peterssen sieht in diesen bunten, einfallsreichen Untergrund-Äußerungen einen spannenden Gegensatz zu den von den Nazis verantworteten militärischen Anlagen. So konkret und realistisch seine Zeichnungen ausfallen – sie müssen von den Betrachtenden erarbeitet werden. Der Absolvent der Kunsthochschule in Bremen operiert mit unbemalten Stellen; mit freien, offenen Passagen zwischen gesetzten Linien und Flächen. Dies führt dazu, dass sich das Motiv erst in einer bestimmten Entfernung erschließt.

Der Papst zu Gast bei Luther
Von der Malerei kommend, fertigt Linden seit dem Jahr 2000 Objekte aus Lattenholz. Die Verwendung des einfachen, roh belassenen oder bemalten Materials vergleicht er mit Legostein-Bauen. „Mit dem Unterschied, dass ich meine Hölzer je nachdem zurecht schneiden kann.“ Bislang interessierte den gebürtigen Neusser vor allem die dreidimensionale Übertragung von geometrischen Figuren. Vom Ausstellungsort inspiriert, hat er sich nun erstmals einem bestimmten Thema gewidmet. Entstanden ist eine erzählerische Objekt-Reihe, die „inhaltlich auf den Ort bezogen ist“. Deren Bestandteile ergänzen sich, bauen bis in den höchsten Raum aufeinander auf. Dort hat der 52-Jährige mittels Latten ein Kopfmodell mit groben Gesichtsmerkmalen konstruiert. Auf dieses plastische Gefüge projiziert er ein Portraitfoto des lächelnden Papstes Benedikt XVI. Flankiert wird das Objekt von zwei Bildern Peterssens, die den rechten und linken Arm des katholischen Oberhauptes zeigen. Der Papst zu Gast bei Luther, an einem Ort, an dem er „eigentlich nicht hingehört“:

Beim Aufstieg gibt es ein riesiges Kuckucksei
An diese Überraschung ist im Eingangsbereich, in dem Linden ein überdimensioniertes „Mikado“-Spiel (bei dem bekanntermaßen kein Fehler erlaubt ist) platziert, noch nicht zu denken. Doch beim Aufstieg verstärkt sich eine Ahnung. Da gibt es ein riesiges „Kuckucksei“, ein Schuhpaar in Übergröße, der rechte rot, der linke weiß. Und man begegnet, ebenfalls aus Lattenholz gearbeitet, ausladenden bischöflichen Kopfbedeckungen. Auch wenn es Linden um Verfremdung geht, um eine Veränderung von Realitäten und grundsätzlich um geeignete formale Lösungen und künstlerische Übertragungen – ihm ist natürlich bewusst, dass er mit Hinweisen auf den Papst und dessen Portrait in einem evangelischen Gebäude Empfindlichkeiten auf beiden Seiten berührt. „Die Arbeit ist kein Versuch, den Papst zu diffamieren“, stellt er ausdrücklich fest. „Sie ist keine Karikatur.“ Vielmehr habe er schon in seiner Malerei mit Gegensätzen operiert und Substanzen vermischt, die sich (offenbar) nicht vertragen. So versteht Linden seine Objekt-Reihe als Denkanstoß, auch und gerade über verschiedene Positionen.

Zwei Tusche-Portraits „Vater“ und „Tochter“
In der Lutherkirche selbst sind ebenfalls Exponate zu sehen: Auf dem Altartisch befindet sich ein in sich verdrehtes, Spindel ähnliches Objekt von Linden. An der Nordwand hängen die zwei Tusche-Portraits „Vater“ und „Tochter“ (2003), mit denen Peterssen trotz oder aufgrund weitgehender Reduzierung besondere Charakterstudien gelungen sind.

Geöffnet ist die Ausstellung in der Lutherkirche und im Turm, Martin-Luther-Platz, bis einschließlich 2. November, donnerstags bis samstags von 16 bis 19 und sonntags von 11 bis 14 Uhr.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich