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Sinnsuche per Mausklick – Gotteserfahrung am Bildschirm

„Wir erleben heute eine vagabundierende Religion“, eröffnet der Theologe und Journalist Michael Birgden den zweiten von drei Gottesdiensten im Rahmen einer Predigtreihe in der Kölner Trinitatiskirche. Vagabundierend deshalb, weil wir in Medien und Kunstformen wie Filmen, Werbung, Literatur, Popsongs usw. immer wieder auf religiöse Fragen stoßen. – Fragen nach Existenz, nach Sinnhaftigkeit, nach der christlichen Religion. „Was macht die Kirche damit?“ fragte Birgden. „Gibt es Kriterien für gute oder richtige Religion in Medien?“ Dies sollte in diesem Gottesdienst ausprobiert werden, indem zum Teil bekannte liturgische Gottesdienstelemente durch andere Elemente aus den Medien ersetzt bzw. ergänzt wurden.

Von der Geburt bis zum Tod
Gestartet wurde mit einem sogenannten „Mash up“ – das ist ein Zusammenschnitt unzähliger Filme zu einem einzigen – mit dem Titel „birth to death“. Er nahm die Gottesdienstbesucher und -besucherinnen in rasant schnell wechselnden Bildern mit auf eine Reise von der Geburt bis hin zum Tod, im Hintergrund war unter anderem die Stimme von Orson Welles zu hören. Bilder aus bekannten Filmen, aber auch unbekannte Bilder ließen die Betrachtenden schmunzeln und nachdenken.

Das Kreuz als Mittelpunkt des Lebens
Und weiter ging es mit Werbung: Man hörte zu einem E-Plus-Werbespot den Beatles-Song „Hello“ und sah Menschen im Kontakt miteinander – streitend, küssend, lachend, redend, begrüßend, verabschiedend – mit Kreuzen im Hintergrund. Kreuze, die sich aus dem Alltag ergeben haben, z. B. ein Krahn, Fensterkreuze, Straßenkreuze, Lichtkreuze, ein Wohnwagen, dessen Bemalung ein Kreuz ergibt usw.. „Die Werbung nutzt das bekannte christliche Symbol und setzt es in Verbindung mit ihrem Markenkern, einem Pluszeichen, das wie ein gleichschenkliges Kreuz wirkt“, erklärte Pfarrerin Petra Schulze den Werbefilm. „Ein Kreuzzeichen alleine bedeutet noch nichts“, so Schulze. „Erst durch die Bedeutung, die wir ihm zuschreiben, wird es zu einem Symbol, das uns Kraft spenden kann und trägt.“ Wer sich also die E-Plus-Werbung anschaut, sieht möglicherweise nur ein Pluszeichen. Andere erkennen das Kreuz, sind möglicherweise beleidigt, dass das Kreuz kommerzialisiert wird. „Aber“, gab Schulze zu bedenken, „ich kann als Christin auch empfinden: Hier wird das Kreuz zum Mittelpunkt der Begegnung. Das Kreuz als Mittelpunkt des Lebens. Über allem Leben.“ Und wenn wir an die Botschaft der Werbung denken, so geht es dort ums Telefonieren, also Kommunikation. „Wir sind heute hier, um mit Gott zu kommunizieren, in einen Dialog mit seinem Wort, seinem Zeichen zu treten!“

Irritation und Faszination durch Bilder
Während Pfarrerin Schulze den 139. Psalm vortrug, wurde ein Video von Anthony Corniello („Danielle“) gespielt, das alle in den Bann zog. Man konnte das fast unbewegte Gesicht eines kleinen Mädchens sehen, das wie mit Zeitraffer beinah unmerklich alterte. Und auch das Musikvideo von Sophie Hunger („Soldier“), in dem eine junge Frau einen bewegungsunfähigen Mann, dessen rechte Hand eine Waffe symbolisiert, durch eine Stadt trägt, irritierte und faszinierte gleichzeitig. Dazu las Schulze einen Text, der nicht besser hätte passen können: „…Trag mich. Halt mich. Verstummt bin ich. Kann nicht mehr schreien: Haltet ein. Legt die Waffen weg. Weiter, immer weiter… Meine Finger erstarrt, als hätte ich die Waffe noch in der Hand…“. Egal, wie das Video gemeint ist – unterlegt mit diesen Worten gingen die Bilder erst recht unter die Haut!

Anlass für gemeinsamen Austausch
„Medien berühren uns auf unterschiedliche Weise“, so began Michael Birgden seine Predigt. „ Sie erschüttern uns, irritieren uns, rühren uns, sie unterhalten, entführen, lenken uns ab, bringen uns näher zum Eigentlichen, entfernen uns vom Wesentlichen.“ Die kurzen Film-, Werbe- und Musikvideoausschnitte, die bereits gezeigt wurden, belegten diese Worte und weitere Filmausschnitte zeigten, dass es , wie Birgden sagte, „auf die Antenne ankommt, inwieweit wir uns auf Sinnfragen und Sinnangebote einlassen.“ Medien bestimmen heute unser Leben. Sie sind, so Birgden, „allgegenwärtig, rhythmisieren unseren Tagesablauf.“ Sind die Massenmedien wirklich so mächtig, dass sie allein heute das Wissen über die Welt, den Glauben, Religion, Kirche vermitteln? „Fehlt da nicht noch etwas Entscheidendes? Meine Erfahrung? Vielleicht sogar Gotteserfahrung?“ Birgden hat vorgeschlagen, Medien gewissermaßen als Stimulanz zu sehen: „Manchmal sind es ja gerade die scheinbar einfachen Einsichten, die mich wachsen lassen, die mir Halt geben, die mich von Irrwegen und Irrgedanken befreien.“ Welches sind aber die Kriterien, um verschiedene Medienformen christlich zu nennen? „Biblisch-fundiert? Reformatorisch?“, fragte Birgden. Er spracht von „Brücken zu unseren Wurzeln und unserer Tradition, die wir in heutigen Liedern, Büchern, Geschichten finden können“. Diese würden aber leicht übersehen und vielleicht sollten wir unser Augenmerk mehr darauf richten, indem wir sie „hineinholen in unsere Gottesdienste und Lebensfeiern, in die Seelsorge und in die eigenen Auseinandersetzungen mit unseren eigenen Sinnfragen – als Lebensbegleiter, als Zurechtrücker, Infragesteller, als treue Begleiter und Hoffnungsträger“ – eben als Anlass für gemeinsamen Austausch.

Weitere Suche am heimischen Fernseher?
Anlass zum Austausch, zu dem im Anschluss an den Gottesdienst alle Besucher und Besucherinnen eingeladen waren, gaben drei Filmausschnitte aus „Chocolat“, „Oben“ und „Bruce allmächtig“. Es geht darin um Sinnlichkeit, die zu Umkehr und Glaube bewegt, um unerfüllte Lebensziele, um die Frage nach göttlicher Allmacht. Das Betrachten der Filmausschnitte machte Lust, zu Hause schnell den heimischen Fernseher anzuschalten und sich auf eine weitere Suche nach Fragen zu Sinn und Existenz zu begeben. Aber da liefen auf allen Kanälen Berichte zur Bundestagswahl. Merkel bleibt Kanzlerin – und vielleicht wird sich ja auch hier der eine oder die andere nach der Sinnhaftigkeit dieses Wahlergebnisses fragen…

Der dritte Teil
An der Orgel begleitete der Kantor des Kirchenkreises Köln-Nord, Thomas Pehlken, den Gottesdienst. Der dritte Gottesdienst im Rahmen der Predigtreihe findet am 29. September 2013 um 18 h statt zum Thema „Gastgeber sein. Vom Alphabet der Spiritualität“.

Text: Susanne Hermanns
Foto(s): Susanne Hermanns