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„Ich bin jedes Mal wieder erstaunt, wie gut Spotify meinen Musikgeschmack kennt“, erzählte Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, halb ironisch im Rahmen seines Vortrags „Gotteswort, Menschenwort und Alexa“ auf der Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland. Ihr Thema: „Sind Bots die besseren Zuhörer?“

„Sind Bots die besseren Zuhörer?“ – Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland, der Melanchthon-Akademie und des Dezernates für Politik und Kommunikation

„Kirche hat sich schon immer der Worte bedient – wieso nicht auch denen von Alexa und Co?“, kam Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, mit seinem Start in die Tagung „Sind Bots die besseren Zuhörer?“ direkt auf eine der Kernfragen. Ob als Assistenzsysteme für Patientinnen und Patienten sowie ältere Menschen oder Segensroboter im Retro-Design: Wie weit Künstliche Intelligenz (KI) in die Zukunft von Kirche und Diakonie integriert werden sollte, wird diskutiert. „Die Kirche sieht in diesem Bereich großen Diskussionsbedarf“, sagte Hella Blum, Studienleiterin der Evangelischen Akademie im Rheinland.

„Möchten Sie den Segen ausdrucken?“

 Mit <<BlessU-2>>, dem Segensroboter im Stil der Achtziger war Hella Blum auf dem diesjährigen Dortmunder Kirchentag. Man drückt einen Knopf, wählt eine Sprache sowie das gewünschte Segensthema aus, wird von leuchtend-erhobenen Roboterhänden mit einem Bibelvers bedacht und höflich gefragt, ob man den Segen ausgedruckt mitnehmen möchte? (Sehr gerne, danke!) „BlessU-2“ soll zum Nachdenken anregen und Diskussionen anfeuern, Interesse wecken und Gesprächsaufhänger sein. Hella Blum war erstaunt, wie ernst er aber auch genommen wird „und wie viele Menschen seinen Segen tatsächlich mit gesenktem Kopf empfangen“. Das Thema KI brennt und gerade darum braucht es Tagungen wie diese, meint Lilie, denn „hinter den einfachen Antworten steckt eine Sehnsucht nach neuen Fragen!“

Verweigerung ist keine Lösung

Die derzeit wahren „Segensroboter“ sind angesichts des Fachkräftemangels die Assistenzsysteme. Was ihre Entwicklung betrifft, führen die Bodelschwinghschen Anstalten Bielefeld im bundesweiten Vergleich – ob in Form einer intelligenten AR-Eyetracking-Brille oder digital unterstützter Wohnumgebung. Die Nachmittags-Workshops der Tagung spiegelten die Möglichkeiten der KI in Pflege und Kommunikation wider. In den Arbeitsgruppen „Alexa, übernehmen Sie!“ und „Billie, mach das Licht an!“ wurde informiert und „gebrainstormt“, die beiden Workshops „Wo geht die Reise hin?“ und „Alexa, Google, Siri & Co – wie intelligente Systeme das Suchen und Finden der Menschen nachhaltig verändern und wie Organisationen darauf reagieren können“ deckten informationspolitische und entwicklungstechnische Fragestellungen ab.

„Sprechen wird das neue Schreiben, darauf müssen wir uns einstellen“, betonte Ulrich Lilie. Bereits 30 % aller Nutzerinnen und Nutzer, die die technischen Möglichkeiten dazu haben, nutzen Sprachassistenzsysteme wie Siri und Alexa. „Die Digitalisierung zu dämonisieren und zu verweigern ist da einfach keine Lösung!“ Sinnvoll ist in seinen Augen, ihre Chancen zu nutzen und dabei die Trennschärfe zwischen Mensch und Maschine beizubehalten. „Digitale Systeme analysieren und verarbeiten, aber sie lernen nicht“, argumentierte Lilie. Lernen beinhaltet personale Entscheidungen. Smartspeaker beispielsweise genießen dennoch das Vertrauen ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Und die entsprechenden Programme begeistern auch Lilie mit ihrer vermeintlichen Menschenkenntnis. „Ich bin jedes Mal wieder überrascht, wie gut Spotify meinen Musikgeschmack kennt.“

Was für eine KI wollen wir?

Julia Krüger von netzpolitik.org und Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundestags, arbeitet unabhängig als Politik-Entwicklerin, Journalistin und Wissenschaftlerin zu Fragen der Netzpolitik. KI, deren Schwachstellen und Perspektiven, sind ihre Lieblingsthemen. „Algorithmen können Ihr Verhalten steuern, ohne Ihnen zu sagen, was Sie zu tun haben“, erklärte Krüger. „Das ist faszinierend, allerdings gerät die schöne heile, digitale Welt gleichzeitig schon ins Wanken, wenn man bei der Sparkasse online ein neues Lesegerät bestellen will.“ Die zentrale Frage hinter allem ist für sie deshalb: „Wie müsste die Digitalisierung gestaltet sein, damit sie nützlich ist?“ Wie kann sie den Menschen unterstützen, ihn dabei aber nicht ersetzen?

DIE Krankheit in der Welt der Singularitäten: Einsamkeit

Dass viele Lebenssituationen grundlegende Unterstützung erforderlich machen, steht außer Frage. „Und braucht man Ethik, wenn Menschen doch nur Hilfe wollen?“, fasste Lilie die sich daraus ergebenden Fragestellungen dahinter provokant zusammen. „Braucht man”, waren sich alle Vortragenden und Diskutierenden einig. Vor allem eine demokratische Steuerung von Macht und Wissen, um angesichts starker KI-Systeme einem Missbrauch vorzubeugen. Geschehen ist das schnell, insbesondere weil Smartspeaker zu wichtigen Dialogpartnerinnen und -partnern bzw. zu „Freundinnen und Freunden“ werden. „Einsamkeit ist einfach DIE Krankheit in der Welt der Singularitäten.“

Alten und kranken Menschen Selbständigkeit zu erhalten oder erst zu geben, ist in jedem Fall ein segensreicher Aspekt künstlicher Intelligenz. Und auch wenn hier die Gefahr besteht, in eine Zwei-Klassen-Pflege bzw. -Medizin abzugleiten, ist für Hilfsbedürftige letztlich auch nicht jeder echte menschliche Kontakt ein Gewinn. Nicht jeder fühlt sich mit wechselndem oder eiligem Personal besser aufgehoben als mit einem Pflegeroboter. Gleichzeitig sind es auch oft „übersichtlich“ kleine Bereiche wie regelmäßiges Erinnern an Medikamenteneinnahme, in denen Unterstützung erforderlich ist. Die Anzahl der Singlehaushalte wächst und alltägliche Routinen, wie diese sind besonders für alleinlebende Menschen nicht immer zu bewältigen. „Genau hingucken, wie es sich entwickelt“, forderte Diakonieleiter Lilie. „Aber offen für Fortschritt bleiben. Am Ende müssen wir uns fragen: Wollen wir das Aquarium bewachen oder Menschen fischen?“


Veranstalter der Tagungsreihe:

Weiter diskutiert wird auf der Folgetagung: „Mehr digitale Souveränität gewinnen VIII“
31. März 2020; „Suchet des Web Bestes…“
Über Spaltung und Gemeinsamkeit im Netz und kirchliches Engagement für eine bessere Netzkultur

Die Tagung im März ist zugleich Auftaktveranstaltung des interdisziplinären Projektes „Christliche Identität im digitalen Wandel“, zu dem die Evangelische Akademie im Rheinland vom März bis Oktober 2020 Veranstaltungen anbietet.
www.ev-akademie-rheinland.de

Der Livestream zur Tagung ist via twitter zu finden:
#digitalesouveränität @hellablum – @ekir _de- @diakonie – @phaenom


Weitere Veranstaltungen der Melanchthon-Akademie finden Sie unter: www.melanchthon-akademie.de/

Text: Claudia Keller
Foto(s): Claudia Keller