Unbewusst, aber wirksam

Menschen neigen dazu, sich selbst und andere in „Schubladen“ zu stecken: „Menschen mit Ehrgeiz“, „ältere Mitarbeiterin“, „Frauen in Führung“, „Männer in Teilzeit“, „Mitarbeiter in Krankheit“, „Vater in Homeoffice“ und viele mehr. Dahinter verbergen sich Annahmen: Zum Beispiel, dass jeder Mensch zu einer Personengruppe gehört und man daraus ableiten kann, wie er oder sie „tickt“.

So hilfreich Deutungen zur Bewältigung der Lebens- und Arbeitswelt sind, so gefährlich sind sie auch. Wer in der „falschen Schublade“ steckt (oder glaubt, darin zu stecken), kommt vielleicht nie mehr heraus. Das hat auch Auswirkungen auf das Arbeitsleben und den Umgang miteinander. Dort, wo das Schubladendenken reflektiert wird, besteht die Möglichkeit, voneinander zu lernen, miteinander Neues zu entdecken und sich in diesem Prozess gegenseitig anzuregen.

Dabei ist es Hilfreich, sich zu fragen: Was ist der oder die Andere vielleicht noch? Außer dem Bild, das ich von ihr oder ihm habe? Worin liegen ihre Fähigkeiten oder seine Interessen? In dieser Weise auf „Forschungsreise“ unter den Kolleginnen und Kollegen zu gehen, ist ein spannendes Unternehmen. Beim aufmerksamen Hinschauen wird schnell klar: Die Wirklichkeit ist viel bunter und vielfältiger als angenommen.

Dass darin erhebliches Potenzial steckt, haben Arbeitgeber und Organisationen der Wirtschaft längst erkannt. In der „Charta der Vielfalt – Für Diversity in der Arbeitswelt“ (charta-der-vielfalt.de) haben sie ihre Erkenntnisse zusammengefasst und sich selbst zu „diversity management“, zum Organisieren und Nutzen der Vielfalt verpflichtet. Zu den Unterzeichnerinnen der „Charta der Vielfalt“ gehören auch evangelische Organisationen: eine Landeskirche, ein Regionalverband, ein Kirchenkreis, zwei Hochschulen, eine Jugendhilfeeinrichtung und eine Familienbildungsstätte.

„Eigene Denkschubladen aufmachen, ansehen und aufräumen – das fördert die Chancengleichheit, für alle“, meint etwa die Agentur für Arbeit, die sich mit unbewussten Denkschubladen auseinandergesetzt hat und damit zu einer der „Erfolgsgeschichten des Monats“ auf der Homepage der Charta wurde.

Probieren Sie es aus und erleben ihre eigene kleine Erfolgsgeschichte. Oft halten Vorurteile, wenn sie überdacht werden, der Überprüfung nicht stand. Die Kollegin ist vielleicht gar nicht so neugierig, denn sie gehört zu den Menschen, die sich viele Sorgen um andere macht. Der Kollege ist vielleicht gar nicht so arrogant, denn er gehört zu denjenigen, die gelernt haben, sich immer und überall zu schützen. Die Chefin ist vielleicht gar nicht so cool, denn sie hat als Kind gelernt, cool zu sein, bedeutet: Ruhe zu vermitteln. Prüfen Sie, fragen Sie nach – ein Vorurteil weniger macht das Leben leichter und lebenswerter.

Angelika Clüver
Gleichstellungsbeauftragte des Ev. Kirchenverbandes Köln und Region