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Journalist und Autor Arnd Henze.

Seid sehr wachsam – Liane Bednarz und Arnd Henze über rechtes Gedankengut in der Kirche

Die Publizistin und Juristin Liane Bednarz warnt in ihrem Buch „Die Angstprediger“ davor, dass rechte Bewegungen sich als „konservativ“ darstellen, aber unter diesem Deckmantel rechte, rechtsextreme bis hin zu rechtsradikale Positionen verbreiten und damit auch bei Christen ankommen. Sie wirbt daher für eine klare Unterscheidung zwischen Christen, die konservativ orientiert sind und „Christen mit Rechtsdrall“. Arnd Henze, Journalist und Autor des Buches „Kann Kirche Demokratie?“, hat sich ebenfalls intensiv mit dem Thema beschäftigt. Die beiden Referenten waren auf Einladung der Melanchthon-Akademie in diese gekommen, um über das Thema zu sprechen, zu diskutieren und auch zu debattieren.

Der Begriff Konservativ

Wer sich mit den „Angstpredigern“ auseinandersetzt, wird mit Dingen konfrontiert, die fast täglich geschehen und die doch oft als weit entfernt wahrgenommen werden. Die Regierungskrise in Thüringen, die Amtsniederlegung von Landesbischof Carsten Rentzig, die Ideen von Götz Kubitschek – welche Zusammenhänge stecken hinter diesen Geschehnissen? Um sich dieser Frage zu nähern, erläuterte Bednarz den Begriff „Konservativ“ und auch, warum rechtes Denken keinesfalls mit konservativem Denken gleichzusetzen ist. So versteht man als konservativ zwar einen Habitus, der das Neue mit Skepsis betrachtet. Aber wer konservativ eingestellt ist, pflegt die Erinnerungskultur und blendet beispielsweise den Krieg nicht aus.

Anfällig für rechtes Denken

Das rechte Denken, so erläuterte die Referentin, basiert auf Antipluralismus, Antiliberalismus und Ethnopluralismus. „Dabei verstehen sich ein Großteil der neuen Rechten als Christen“, betonte sie. Die Verächtlichmachung des politischen Gegners, eine Diktatursprache, abwertende Begriffe etablierter Medien, all dies gehört zu einer beängstigenden Entwicklung. Da ist die Rede von der Merkeldiktatur, von der Lügenpresse, von Volksverrätern. Bednarz zeigte viele Einblicke in ihre Rechercheergebnisse und berichtete auch von ganz persönlichen Momenten. Sie zitierte mit Blick auf die AfD aus einem Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz und zeigte Filmausschnitte, sie erläuterte dabei auch sehr detailliert, warum konservative Christen anfällig sind für rechtes Denken. Denn rechte Christen sind seit Jahren auf dem Vormarsch, das zeigen zahlreiche Studien und zahlreiche tagesaktuelle Geschehnissen. Sie haben ein klares Feindbild, sie wollen das christliche Abendland schützen. Sie kämpfen gegen die angebliche Islamisierung, gegen Zuwanderung und Migration. Ihre Themen richten sich gegen die „Ehe für alle“, Homosexualität, Gender Mainstreaming, Gleichberechtigung und Abtreibung.

Liane Bednarz schilderte eindringlich die Seite der „Anbieter“ dieser Theorien, Arnd Henze hatte sich ausführlich vor allem auch mit der Seite, die dafür anfällig ist, beschäftigt. „Ich appelliere an uns, dass wir die blinden Flecken in uns herausholen, damit wir Antworten finden. Denn wir haben ganz große Erinnerungslücken“, so Henze. Er warnte nach dem Vortrag von Bednarz sehr eindringlich davor, dass soeben gesehene und gehörte als „Freakshow“ abzutun und wegzuschieben als „das sind ja die anderen“. Auch er hatte für sein Buch viele Studien angepackt und viele Erfahrungen gesammelt: „Mehr als 70 Prozent der regelmäßigen Gottesdienstbesucher sind der Meinung, man könne nur „richtiger“ Deutscher sein, wenn man deutsche Vorfahren hat und hier geboren ist“, betonte er. Tief im Unterbewußtsein sei eine Denkweise verwurzelt, die das deutsche Volk für überlegen erachte, führte er aus. Entweder werde Kirche ein Lernort für den Wandel oder „sie bleibt ein Rückzugsort für die, die mal endlich einfach deutsch sein wollen“, spitzte er eine Forderung zu. Es reiche nicht, die Realität zu schildern, man müsse sich der Herausforderung stellen. Mit dem Buch von Thilo Sarrazin, welches in 2010 bis 2012 über 1,5 Millionen mal verkauft worden ist, habe sich die Grenze des „Sagbaren“ verschoben. Die Zielgruppe des Bildungsbürgertums wurde erreicht und das Thema sei mitten in der Gesellschaft angekommen.

Auch Bednarz ergänzte: „Empörung bringt nichts, wir müssen Verantwortung in mühevoller Kleinarbeit übernehmen“. Viele Mechanismen ähnelten Sekten, führte sie weiter aus. Draußen die Welt sei böse, im eigenen Kreis sei alles in Ordnung. Die Betroffenen bewegten sich nur noch in eigenen Umfeldern, „und man bekommt diese Menschen nur aus dem herausgelöst, wenn man ganz viel mit ihnen spricht“, so die Autorin. Es sei eine Aufgabe, die auch auf pastoraler Ebene anstehe – auch wenn dies anstrengend und schwierig sei.

Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, hatte zu Beginn des Abends die Frage aufgeworfen, warum es so wenig schwer geworden sei, rechtes Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Dieser Abend gab viele konkrete Antworten auf diese Frage, ganz ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Bock hatte auch gesagt, dass „wir es unseren Mitbürgern, auch den jüdischen und muslimischen, schuldig sind, laut zu werden“ und auch dies zeigte der bewegende Diskussionsabend deutlich. Deutlich wurde dabei auch, wie wichtig es ist, „als Kirche sprechfähig zu werden“ (Henze). Inhaltlich und rhetorisch gekonnte Antworten sind gefragter denn je.

www.melanchthon-akademie.de

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Text: Judith Tausendfreund
Foto(s): Judith Tausendfreund