„Ein fulminanter Auftakt. Dem Anlass angemessen“, lobte Pfarrer Ralph Knapp die Sangeskünste der Gemeinde. Die hatte mit einem kraftvollen „Gloria, Gloria in excelsis deo“ den Gottesdienst zur Amtseinführung von Sebastian Baer-Henney eröffnet. Knapp, Synodalassessor im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch, führte den „Neuen“ in der Friedenskirche in die 1. Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein ein. Baer-Henney ist Nachfolger von Pfarrer Klaus Müller, der in den Ruhestand getreten ist.
Knapp wünschte dem neuen Pfarrstelleninhaber, dass er immer wisse, „wann es Zeit ist zu ruhen und wann es Zeit ist, Gottes Wort mit kräftiger Stimme zu verkünden“. Baer-Henney trete sein Amt an in einer Zeit der Umbrüche, fuhr der Synodalassessor fort. „Wir als Kirche haben es uns ziemlich lange sehr bequem gemacht in der Mitte der Gesellschaft. Ich denke, dass es gut ist, nicht in der Mitte der Gesellschaft zu stehen und kritisch Gottes Wort zu verkünden.“ Vieles habe sich auch in Mülheim verändert. „Vor 28 Jahren habe ich in der Gemeinde gearbeitet. Damals gab es noch fünf Pfarrstellen. Heute sind es drei inklusive der Entlastungspfarrstelle für die Superintendentin.“ Knapp wünscht Baer-Henney, er solle „mutig sein und froh auf der Suche nach der Stadt Bestes“. Und, ganz wichtig: „Ohne Gott geht gar nix.“
Wirklich neu ist der „Neue“ in Mülheim nicht. Seit acht Jahren lebt und arbeitet Sebastian Baer-Henney mit Unterbrechungen in der Gemeinde im Rechtsrheinischen. Er wurde am 3. November 1980 in Gelsenkirchen geboren. Nach Stationen in Essen, Berlin, wo er zehn Jahre gelebt und seinen Zivildienst geleistet hat, London und Montpellier zog er mit seiner Frau nach Mülheim. Sie haben zwei Kinder. Baer-Henney schwärmt von der Vielfalt der Kulturen im Stadtteil. „Privat bedeutet das, dass ich innerhalb eines halben Tages in Italien zu Mittag essen, in der Türkei Tee trinken und dann in Köln auf dem Balkon sitzen kann.“
Der neue Pfarrer empfindet Mülheim als „nicht geleckt und steril, sondern vielfältig und lebendig“. Dass er bereit ist, neue Wege zu gehen, und die Gemeinde bereit ist, diese Wege mitzugehen, zeigt die Arbeit der „beymeister“, die Baer-Henney mit anderen geleistet hat. Sein Bild von einer Gemeinde ist das einer evangelischen Gemeinschaft im Stadtteil. „Ich möchte auch die erreichen, die zwar formal Mitglied der Gemeinde sind, bisher aber von den Angeboten, die wir machen, wenig wahrnehmen. Ich möchte gerne herausfinden, was sie interessieren würde, möchte der Kirche ein offenes und einladendes Gesicht bieten.“ Privat ist der 37-Jährige Musikliebhaber. Er schätzt David Bowie und Joan Baez, aber auch die Krimis von Volker Kutscher um Kommissar Gereon Rath im Berlin der 20er und 30er Jahre. Eine Freude machen kann man ihm auch mit einem guten Braten mit dunkler Sauce und Kartoffelpürre – oder Klößen, Wiener Schnitzeln und Mehlspeisen.
„Eine Kraft Gottes, die dem Leben die Härte, die Kälte, die Unberechenbarkeit nimmt. Das ist das Evangelium. Eine Kraft Gottes, die das Leben reicher macht, ein Schatz, den wir haben, der uns geschenkt ist. Und es ist unsere Aufgabe, diesen Schatz zu teilen“, sagte Baer-Henney zu Beginn seiner Predigt während des Gottesdienstes zur Amtseinführung. Und weiter: „Der Herr ist meine Kraft. Die Kraft, die es mir möglich macht, mich diesem Job zu stellen in einer Kirche, in der Veränderung so schwer möglich scheint. In einer Kirche, die mir an vielen Stellen immer noch viel zu weit weg ist vom Leben der Menschen, zumindest vieler Menschen, die so sind wie ich.“ Gemeinden müssten sich intensiver ihrem Kerngeschäft widmen, führte der neue Pfarrer aus. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Kirche an einigen Stellen verlernt hat, offen und unfundamentalistisch über Gott zu sprechen. Dass es da so eine verschämte Leerstelle gibt, wenn es darum geht, in Glaubensfragen nicht nur eine Meinung zu haben, sondern diese auch offen zu äußern, eine Scheu, Gott als Argument, als Mitstreiter ins Gespräch zu bringen. Es scheint eine diffuse Angst zu geben, dass man Menschen verschreckt, wenn man offen über den Glauben redet, wenn man Gott beim Namen nennt, ihn ins Zentrum stellt. Dass Gott, dass diese Kraft, dass dieser Schatz, den wir doch haben, wohlbehütet versteckt gehalten wird.“
Und konkret für Mülheim? „Im Bewerbungsgespräch wurde ich gefragt, wo ich die Gemeinde in zehn Jahren sehen würde. Ich habe gesagt, dass ich eine evangelische Gemeinschaft im Stadtteil sehe. Ich sehe eine Gemeinschaft, die für die Menschen als auskunftsfähig in Glaubensfragen angesehen wird. Als authentisch. Eine Gemeinschaft, die dem protestantischen Urprinzip folgt, das Evangelium zu verkündigen. Und das meine ich nicht nur aus Prinzip, weil es unser Auftrag ist, sondern auch weil es die Funktion ist, die die Menschen in der Kirche suchen. Die Menschen, die mir hier im Stadtteil begegnen, suchen in der Kirche ein Gegenüber, das in Glaubensfragen kompetent ist. Sie suchen jemanden, der qualifiziert und nicht einengend von Gott spricht. Denn wer, wenn nicht die Kirche, könnte das sein?“
Foto(s): Stefan Rahmann