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Schweigegang zum Gedenken an den 9. November 1938 in Köln

Rund 350 Menschen haben am Donnerstagabend an dem Schweigegang zum Gedenken an die Pogromnacht vor 86 Jahren am 9. November 1938 in der Kölner Innenstadt teilgenommen. Stadtsuperintendent Bernhard Seiger lenkte zu Beginn den Blick auf die politische Weltlage, nicht nur mit dem Krieg und den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch mit Blick auf den Ausgang der US-Wahlen und das Aus der Ampel-Regierung in Deutschland: „Wir sind hier an bewegten und aufregenden politischen Tagen, international und in unserem Land. Umso wichtiger ist es, mit klarem Verstand und mit wachem Herzen einen guten Kompass für das Leben zu haben – gerade in dieser Woche, in der wir des 9. Novembers gedenken“, so Bernhard Seiger. „Vor 86 Jahren haben hier in Köln die Synagogen gebrannt. Jüdisches Leben wurde beschämt und verächtlich gemacht. Und das war erst der Anfang größtmöglicher Menschenverachtung und Vernichtung.“

An der Baustelle des Jüdischen Museums, das im früheren jüdischen Viertel liegt, „können wir gut spüren, dass wir in unserer Stadt den Schatz und den Reichtum jüdischen Lebens achten und bewahren und schützen wollen“, so der Stadtsuperintendent weiter. „Wir stellen uns vor, wie es unseren jüdischen Nachbarn zurzeit in Deutschland und in Köln geht – und wir wissen es ja aus vielen Gesprächen: Sie nehmen die unsichere gesellschaftliche Entwicklung aufmerksam wahr und beobachten und spüren, was weltweit mit falschen Narrativen über das Judentum gedacht und gesprochen wird.“

„Können wir noch hierbleiben? Wie sieht das aus mit den Kindern in der nächsten Generation?“ – Jüdische Menschen in Deutschland stellen sich wieder diese Fragen, nicht ganz acht Jahrzehnte nach dem Holocaust. Das berichtete Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine aus seinen Begegnungen und Gesprächen mit jüdischen Kölnerinnen und Kölnern. Gemeinsam mit Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger und Gregor Stiels, dem Vorsitzenden des Katholikenausschusses in der Stadt Köln, hat Kleine kurz vor dem 9. November, dem Gedenken an die Novemberpogrome 1938, zum Schweigegang durch die abendlichen Straßen der Stadt eingeladen.

Zum zweiten Mal nach 2023 fand der Ökumenische Schweigegang statt, der ein Zeichen der Solidarität mit den jüdischen Mitbürger*innen und gegen Antisemitismus setzen will. Zahlreiche Verbände und Organisationen aus beiden Kirchen sowie das Bündnis „Köln stellt sich quer“ , die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Köln, die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und darüber hinaus Vertreter aus Politik und Stadtgesellschaft unterstützten die Initiative. Auch der Islamverband Ditib und die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde schlossen sich dem Aufruf an und nahmen mit mehreren Vertretern am Schweigegang teil. Zu den Teilnehmern gehörten auch Weihbischof Rolf Steinhäuser für das Erzbistum Köln, Kirchenrat Dr. Volker Haarmann, Leiter des Dezernats „Theologie und Gemeinde“ der Evangelischen Kirche im Rheinland, und der Künstler Ilja Richter, der selbst Jude ist und sich nach einer Lesung in der Melanchthon-Akademie Köln ganz entschieden und bewusst in die Reihen der rund 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einreihte.

In diesem Jahr führte der Schweigegang von der Baustelle des Jüdischen Museums Köln, MiQua, zur Synagoge in der Roonstraße. Wie schon zuvor Stadtsuperintendent Seiger dankte auch Stadtdechant Kleine den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die mit ihrer Präsenz zeigten, „dass Sie die Zeichen der Zeit erkennen und zusammen Stellung beziehen gegen Antisemitismus“. Im Hinblick auf die Terroranschläge der Hamas im vergangenen Jahr und den seitdem andauernden Krieg zwischen Israel und Palästina sagte Kleine: „Es bedrückt mich immer wieder, wenn ich sehe, dass es gerade nach dem Massaker am 7. Oktober 2023 neben Solidarität auch viel an Hass, an Hetze, an Antisemitismus gibt in unserem Land und auch in unserer Domstadt.“ Für jüdische Männer, die eine Kippa tragen – das traditionelle Scheitelkäppchen –, oder Menschen, die durch ein Schmuckstück als Jude oder Jüdin erkennbar seien, sei es auch schon vor dem Hamas-Terror „nicht immer leicht“ gewesen. Nun aber haben viele jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht nur Sorgen um die Zukunft, sondern auch konkret Angst um Leib und Leben.

Es sei „gut und richtig, dass wir aufstehen – als Kirchen, als Religionsgemeinschaften, als Parteien, als Organisationen, als Zivilgesellschaft in unserer Stadt – und sagen: Nie wieder ist jetzt!“, betonte der Stadtdechant in seiner kurzen Ansprache. Das Signal, das man setzen wollte, ist eindeutig und klar: „Wir möchten, dass ihr hierbleibt! Ihr gehört zu uns! Ihr seid Kölnerinnen und Kölner, ihr seid unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Und wir stellen uns vor euch und hinter euch, stärken euch den Rücken. Wir wollen, dass ihr euren Glauben in unserer Stadt frei und ohne jede Angst leben könnt“, sagte Kleine unter dem Applaus der Zuhörerinnen und Zuhörer.

Nicht nur der Start am künftigen Jüdischen Museum sei ein Zeichen, so der Stadtdechant, sondern auch, dass der Ökumenische Schweigegang als Erstes an der Ruine von Alt-St. Alban vorbeiziehe. Dort befindet sich als Mahnmal gegen Krieg und Gewalt die Skulpturengruppe „Trauernde Eltern“ von Käthe Kollwitz. „Das ist seit dem Zweiten Weltkrieg der Ort, an dem wir in Köln der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedenken“, erinnerte Kleine. „Wir denken heute an die Opfer von Judenhass, an die Opfer von Gewalt und Terror, aber auch an die Opfer der Kriege, in der Ukraine und im Nahen Osten, die Opfer auf allen Seiten. Aber wir denken vor allem an das, was damals geschah, hier, auch in Köln. Und die Kerzen, die wir gleich anzünden, stehen dafür, dass wir die Opfer von vor 86 Jahren und die von heute nicht vergessen.“

Ganz bewusst in Stille wolle man durch die Straßen der Stadt ziehen, sagte Stadtdechant Msgr. Robert Kleine: „Ein stilles Zeichen der Solidarität an diesem Abend. Es macht Mut, dass wir gemeinsam hier sind, gemeinsam gedenken. Still zu sein und zu spüren, was ist, und die Stille und auch den Schmerz und die Trauer und das Mitgefühl aushalten. Das ist mehr als laute Worte und selbstsichere Reden.“

24 Prozent, fast ein Viertel der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, haben laut der jüngsten Antisemitismusstudie des Landes vom September „in unterschiedlicher Weise antisemitische Einstellungen“, betonte Seiger. Diese Zahl, die beunruhige und müsse beunruhigen. „Und deswegen sind wir hier. Es ist wichtig, dass wir das Unsere dafür tun, dass jüdische Menschen in unserem Land und in unserer Stadt Sicherheit erleben.“

Sicherheit brauchten jüdische Menschen in Deutschland, aber auch in Israel, so Seiger. „Wir können dazu beitragen, dass wir uns mit unserer Zivilcourage an dieser Stelle sichtbar und erkennbar machen. Deshalb ist es heute wichtig, hier zu sein und deutlich und ökumenisch und mit breiter Unterstützung anderer Gruppen zu sagen: Unsere Kirchen stehen fest an der Seite unserer jüdischen Geschwister und Nachbarn. Wir teilen ihre Sorge und zeigen unsere Verbundenheit mit ihnen.“

Seit 1700 Jahren sei jüdisches Leben in Köln zu Hause, erinnerte Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger. „Und mit dem Museum zeigen wir, dass wir das jüdische Leben in unserer Stadt beschützen und stärken und sichtbar machen wollen“. Dies galt natürlich für den Schweigegang insgesamt.

Nach diesem Auftakt zogen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die abendlichen Straßen der Stadt bis zur Synagoge in der Roonstraße. Dort stellten sie ihre Kerzen zu den vielen anderen Kerzen auf der Mauer der Synagoge. Auch einige Blumen wurden niedergelegt. An der Fassade erinnerte ein großes schwarzes, englischsprachig bedrucktes Transparent daran, dass noch immer Männer, Frauen, Babys und alte Menschen von der Hamas als Geiseln gehalten werden. Die Botschaft darunter ist weiterhin unmissverständlich: „Bring them home. Now – Bringt sie nach Hause. Jetzt“.

Auch in diesem Jahr endete der Ökumenische Schweigegang mit einer berührenden und bewegenden Gebetsrezitation von Kantor Mordechai Tauber, bevor Stadtsuperintendent Seiger auf Taubers Bitte hin den Abend mit einer Segensbitte beschloss.

Text: Hildegard Mathies
Foto(s): APK