You are currently viewing Schwebende Klangträume für Chor und 33 Gläser

Schwebende Klangträume für Chor und 33 Gläser

„Ich hätte auch Kernseife dabei, wenn's nicht klappt.“ Juni 2015: Musiksaal der Universität zu Köln, Kammerchorprobe unter Anwesenheit des Komponisten Friedrich Jaecker. Was soll denn ein Chor mit Kernseife?

Nun, bei einem Stück für 33 Gläser-spielende Sänger ist das gar nicht so unpraktisch, denn nur mit fettfreien Fingern lassen sich den zu Musikinstrumenten umfunktionierten Trinkgefäßen die sphärisch-reinen Klänge entlocken, die den Kirchenraum zum Klingen brachten.

Kernseife und Handcreme-Verbot
Also galt die Auflage: Vor dem Auftritt ist Handcreme tabu! Doch auch dann stellte sich das Spielen auf den Gläsern aller Formen und Größen manchmal als außerordentlich vertrackt heraus. Ein gleichmäßiger, sofort anspringender Ton erforderte gerade bei den filigraneren Gläsern für die hohen Lagen einiges an Übung. Das Ergebnis im Konzert am 17. Juni konnte sich jedoch hören lassen: Die Konzertbesucherinnen und -besucher in der gut gefüllten evangelischen Trinitatiskirche saßen wie mitten in einer großen Glasharfe, als die 33 Choristinnen und Choristen um sie herum auf Emporen und zwischen den Säulen stehend „Harry's Dream“ aufführten.

Die Töne fließen durch den Raum
Das 2012 entstandene Werk baut auf einem mikrotonalen Stimmungssystem des amerikanischen Komponisten, Instrumentenbauers und Lebenskünstlers Harry Partch (1901-1974) auf und führt so zu gespielten und gesungenen reinen Dreiklängen. Die Töne fließen durch den Raum, bauen sich um die Zuhörerschaft herum auf und ebben ab, mal kaum merklich, dann wieder ganz plötzlich als imposante Klangsäulen, und erzeugen eine meditative Atmosphäre. Im Mittelteil lässt Jaecker seine Akteure den „Somnium Scipionis“ (Scipios Traum) des römischen Philosophen Cicero zitieren, der die antike Idee der Sphärenharmonie reflektiert: „Was ist dies? Was ist das für ein gewaltiger und süßer Klang, der meine Ohren erfüllt?“ Der Klang der kreisenden Planeten war damit gemeint ̶ ein Klang, dem Jaeckers Komposition auf eindringliche Weise nachspürt.

Klangbrücke über 450 Jahre
Dieses transzendent-schwebende Klangideal hat sich nicht nur aus der antiken Vorstellung bis ins 21. Jahrhundert übertragen, sondern fand seinen Niederschlag auch im zweiten Werk des Konzertabends, der „Missa Papae Marcelli“ von Giovanni Pierluigi da Palestrina (1514–1594). Mit einem Entstehungszeitraum in den Jahren 1562/63 ist es genau 450 Jahre älter als „Harry's Dream“ und zielt dennoch auf ein gar nicht so verschiedenes Hörerlebnis ab. Freilich hatte Palestrina mit seiner Komposition ein anderes Ziel vor Augen: Eine Vertonung des Messordinariums sollte den Kirchgängern in erster Linie den Text zugänglich machen, so die Auflage des Trienter Konzils von 1545 bis 1563. Dass Palestrinas vier- bis siebenstimmiges Werk stilprägend für eine ganze Epoche wurde und bis heute zu den beliebtesten Messkompositionen zählt, zeigt jedoch, dass die Voranstellung des Textes keineswegs die kompositorische Qualität schmälern muss. Die filigrane Mehrstimmigkeit des Kyrie, die stille Eindringlichkeit des Benedictus oder das berauschende Hosanna sprechen auch rein musikalisch betrachtet für sich.

Ein vielseitiger Kammerchor
Dieses Spektrum musikalischer Farben breitete der Kammerchor des Collegium Musicum der Universität zu Köln unter dem Dirigat seines Leiters Michael Ostrzyga gekonnt aus. Mit einfühlsamer Musikalität füllte er vom Altarraum aus die Kirche mit seinem ausgewogenen Chorklang, bevor sich die Akteure für „Harry's Dream“ im ganzen Raum verteilten. Das Balancieren der Gläser, die der Komponist vor jeder Probe und Aufführung eigenhändig genauestens gestimmt hatte, zum eigenen Standort war dabei schon Teil der Performance, das Stück selbst eine Erweiterung auch des technischen Repertoires des Chores, der regelmäßig in der Trinitatiskirche auftritt und dabei Werke von der alten Musik bis zu Uraufführungen (das nächste Mal am 13. Oktober mit dem Konzert „GegenSätze VI“) präsentiert.

Friedrich Jaeckers Komposition durfte der Kammerchor im Anschluss an die gelungene Aufführungen für eine CD des US-amerikanischen Labels mode records aufnehmen.

Text: Kristina Pott
Foto(s): Felix Eichert