You are currently viewing Schulpolitischer Aschermittwoch mit prominentem Redner: Professor Christian Pfeiffer sprach über den Kampf gegen die „Medienverwahrlosung“

Schulpolitischer Aschermittwoch mit prominentem Redner: Professor Christian Pfeiffer sprach über den Kampf gegen die „Medienverwahrlosung“

Zum Thema Jugendgewalt gab es in den vergangenen Wochen unzählige Aussagen von echten und selbst ernannten Experten. Einer, der aufgrund seiner sachlichen Art und seiner überzeugenden Vortragsweise zu den anerkanntesten des Landes zählt, ist Professor Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Pfeiffer war zu Gast beim „Schulpolitischen Aschermittwoch“ des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, veranstaltet vom Schulreferat. Im Haus der Evangelischen Kirche sprach er vor rund 120 Zuhörerinnen und Zuhörern, allesamt Schulleiter von Schulen im Gebiet des Kirchenverbandes.

„Populismus hat im Wahlkampf nicht gezogen“
Auch Stadtsuperintendent Ernst Fey lobte in seiner Begrüßung die zurückhaltende, sachliche Position, die Christian Pfeiffer in den vergangenen Wochen vertreten habe. Der so Gelobte selbst freute sich über die „stabile politische Kultur“, die sich darin geäußert habe, dass „der Populismus im Wahlkampf nicht gezogen habe“. Große Worte scheute aber auch der frühere niedersächsische Justizminister nicht: „Medienverwahrlosung als Ursache von Schulversagen und Jugendkriminalität“ betitelte er seinen Vortrag, den er ebenso launig wie faktenreich vortrug.

Schultyp prägt die kriminelle Karriere
„Jeder bekommt die Jugendkriminalität, die er verdient“, fasste er sehr anschaulich die Rolle zusammen, die Politik und Gesellschaft bei dem Thema spielen. Untermauert hat er die und alle weiteren Thesen mit Zahlen aus Untersuchungen, die sein Institut durchgeführt hat und noch durchführt. So sei beispielsweise die Durchlässigkeit der Schulsysteme entscheidend für die spätere Entwicklung. In Hannover etwa, wo der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an Realschulen und Gymnasien gestiegen sei, sei der Anteil der kriminellen Jugendlichen zurückgegangen. Im Gegensatz zu München, wo junge Türken oder Russen immer noch zum Großteil auf der Hauptschule landen. Hier, so Pfeiffer, sei die Zahl der jugendlichen Kriminellen mit Migrationshintergrund gestiegen. „Die Platzierung von jungen Türken im Schultyp ist entscheidend für die kriminelle Karriere.“

Macho-Gehabe als kulturelle Erfahrung
Pfeiffer stellte aber ausdrücklich klar, dass die Herkunft nicht entscheidend sei für die kriminelle Neigung. „Es ist nicht der Pass, der Jugendliche kriminell werden lässt, sondern die soziale Herkunft!“ Und da seien die Voraussetzungen für deutsche und nicht-deutsche Kinder erstmal gleich. Allerdings, so räumte der Kriminologe ein, käme bei vielen Kindern mit Migrationshintergrund eine kulturelle Erfahrung hinzu. „Sie stammen meist aus Ländern, in denen der Rechtsstaat nicht so ausgeprägt ist wie bei uns. Das Zusammenhalten und sich selbst Verteidigen spielt dort eine viel größere Rolle und wird entsprechend positiv und vorbildhaft vermittelt“, erläuterte Pfeiffer das, was er zusammenfassend als „Macho-Gehabe“ bezeichnete.

Mädchen hängen die Jungs in der Schule stärker ab
Dafür seien Jungen viel eher empfänglich als Mädchen, und das sei ein Mosaikstein in der Erkenntnis, dass die Mädchen die Jungen in den vergangenen Jahren im Bereich der schulischen Leistungen immer stärker abgehängt haben. Dieses Leistungsgefälle bestehe aber auch zwischen Süd- und Norddeutschland und zwischen Kindern aus gebildeten Familien und Kindern aus Elternhäusern, in denen Väter und Mütter nur Hauptschulabschluss besitzen. Und dieses Gefälle, betonte Pfeiffer, korrespondiert mit der unterschiedlich stark ausgeprägten Mediennutzung. Die sei nämlich bei Jungs viel ausgeprägter als bei Mädchen und in weniger gebildeten Familien viel häufiger anzutreffen als in Familien mit guter Bildung. „Die Extrempunkte täglichen Medienkonsums in unseren Untersuchungen lagen bei viereinhalb Stunden eines türkischen Viertklässlers in Dortmund und bei 45 Minuten einer deutschen Viertklässlerin in München.“ Das führte Pfeiffer zu der ernüchternden Erkenntnis: „In keinem anderen Land ist der Leistungsabstand zwischen Migrantenkindern und einheimischen Kindern so groß wie in Deutschland.“

Computerspiele bringen schnelle Erfolgserlebnisse
Die „Medienverwahrlosung“ machte Pfeiffer als Hauptursache für diesen Leistungsabstand und Schulversagen aus. Bei der technischen Ausstattung der Kinderzimmer von Viertklässlern liegen nämlich Jungen mit Migrationshintergrund aus ungebildeten Familien weit vorne. Und die Zeit, die sie vor dem Computer verbringen, fehlt ihnen beim Lernen. Ein Effekt, der sich auf den weiterführenden Schulen fortsetzt. „Ein Computerspiel wie ,World of Warcraft‘, der größte Suchtmacher der Weltgeschichte in nicht-stofflicher Form, vermittelt sehr schnell Erfolgserlebnisse. Erfolgserlebnisse, die die Kinder und Jugendlichen in der Schule nicht haben.“ Und diese Spiele werden eben in großem Maße von Jungs gespielt. Andere, ebenfalls beliebte Spiele seien so genannte Killerspiele, die vor allem einen Effekt haben: Abstumpfung. „Die Schwelle zur Gewaltanwendung ist bei Jugendlichen, die diese Spiele regelmäßig spielen, wesentlich niedriger.“

Ganztagsschule, die Lust auf Leben weckt
„Was ist zu tun?“ Diese Frage im Titel des Vortrags beantwortete Pfeiffer ausführlich in der anschließenden Diskussion. Die erste Gegenmaßnahme seien vernünftige Ganztagsschulen, „aber keine reinen Verwahranstalten mit Suppenküchen“. Dort solle vormittags der Unterrichtsstoff, nachmittags aber die „Lust auf Leben“ vermittelt werden. „Sport, Bewegung, Kreativität, Musik – das alles sind positive Einflüsse, die dem sinnlosen Abstumpfen vor dem Computer entgegen wirken. Das haben unsere Untersuchungen immer wieder gezeigt“, appellierte er an die anwesenden Lehrer. Seine Idealvorstellung, die sich vor allem aus Erfahrungen in Neuseeland speist, ist aber noch weit von der deutschen Schulwirklichkeit entfernt. „Das braucht viel Geld und vor allem gute, motivierte Lehrer“, wusste auch Christian Pfeiffer.

Indizierung von PC-Spielen gefordert
Aber auch der Ruf nach dem Gesetzgeber wurde laut. „Viele Computerspiele sind destruktiv und unmoralisch. Sie gehören indiziert“, forderte der 64-jährige Kriminologe. Mit der Indizierung gebe es sehr gute Erfahrungen, allerdings sei das in Deutschland schwierig umzusetzen. „Was mit der Altersfreigabe ab 18 Jahren versehen ist, kann nicht mehr indiziert werden“, schilderte Pfeiffer das Dilemma. Denn auch die Spiele ab 18 dürfen öffentlich verkauft werden und sorgen erst recht für Interesse bei den Kids. „Das ist so etwas wie ein Adelstitel für die Programme.“ In diesem Bereich sei es ein sehr „mühseliger, zäher Kampf“ gegen die Interessen der Industrie.

Aufklärung ist wichtig
Der letzte Punkt ist die Aufklärung. „Je mehr Eltern über diese Zusammenhänge informiert sind, desto besser.“ Auch an den Schulen forderte Pfeiffer Aufklärung auf breiter Front. Aber nicht nur mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern auch mit Motivation und, wenn möglich, alternativen Angeboten, die die Lust auf Lernen und das Leben wecken. Eine Forderung, die er mit einer persönlichen Geschichte vom „pädagogischen Eros“ seiner Englischlehrerin charmant transportierte.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Jörg Fleischer