Entgegen des Refrains eines bekannten Karnevalsliedes sei am Aschermittwoch eben nicht „alles vorbei“, stellte Stadtsuperintendent Rolf Domning eingangs des „Schulpolitischen Aschermittwochs“ in der Kartause fest. „Unverändert stehen wir vor gesellschaftlichen Herausforderungen“, begrüßte Domning namens des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region gut 90 Schulleiterinnen und -leiter sowie Vertretende der Bezirksregierung und Schulämter. Wie in den Vorjahren wurde die Veranstaltung mit Gastvortrag, Diskussion und lockerem Austausch organisiert vom Schulreferat des Kirchenverbandes. Mit dem dringenden Sanierungsbedarf von Schulbauten sprach Domning eine der Herausforderungen an, denen die Gäste in ihrem Berufsalltag begegnen. Als ebenso drängend schilderte er die Frage nach der Zukunft der Hauptschule. Eine enorme Bedeutung maß Domning, und damit lenkte er auf den Inhalt des Gastvortrages hin, dem übergreifend alle Schulformen betreffenden Thema bei, „wie Schule Kinder stark macht“. Auch dabei gehe es der Kirche um ein würdiges Menschenbild, so der Stadtsuperintendent. Und das lasse sich eben nicht am Faktor Leistung festmachen.
Domning begrüßte den Paralympic-Medaillengewinner Rainer Schmidt
Als Referent begrüßte Domning Pastor im Sonderdienst Rainer Schmidt. Der mehrfache Teilnehmer und Medaillengewinner bei Paralympics, Welt- und Europameisterschaften im Tischtennis hat sein Vikariat in der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Flittard/Stammheim geleistet. Anschließend war er Pfarrer zur Anstellung in der Evangelischen Kirchengemeinde Altenberg/Schildgen. Seit Ende 2005 ist Schmidt Dozent am Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI) in Bonn im Fachbereich „Integrative Gemeindearbeit“ tätig. Er wolle keine politische Rede halten, sondern über den Menschen erzählen, stellte der evangelische Pfarrer und Buchautor voran. Die eigene Vorgabe hielt er weitgehend ein. Da aber sein sehr persönlich formulierter Beitrag mit dem Titel „Ich kann was – ich bin wer. Wie Schule Menschen stark macht“ nun mal ein politisches Thema behandelte, kam Schmidt nicht ganz ohne offene und verkleidete Kritik an gesellschaftlichen wie pädagogischen Realitäten aus. Das Auditorium dankte es ihm mit anhaltendem Beifall. Der galt in großem Maße sicherlich der anschaulichen Aufbereitung der Frage, wie Schule gelingen könne. Dazu steuerte Schmidt etliche Episoden aus seiner Kindheit und Schulzeit, überhaupt Beispiele aus seinem privaten, beruflichen und sportlichen Erlebnisschatz bei.
Eine der wichtigsten Aufgaben: Vertrauen schenken
„Es gibt bestimmte Dinge, die stärken den Menschen, und solche, die kränken den Menschen“, so Schmidt. Er verstehe Schule als Lebensschule, neben anderen Institutionen und Situationen, in denen man auch und anderes über das Leben lerne. Erfolgserlebnisse und Wertschätzung: Laut Schmidt benötigt der Mensch diese beiden Erfahrungen zur Stärkung seiner Persönlichkeit. Er selbst sei einmal von seiner damalige Freundin überredet worden, am Bonner Rheinufer einen Drachen steigen zu lassen. Schmidt, ohne Unterarme geboren, ließ sich trotz Skepsis erfolgreich darauf ein. „An diesem Tag habe ich erlebt, ich kann etwas. Ein Glücksgefühl durchströmte mich“, beschrieb er die unmittelbare Folge der gemeisterten Herausforderung. „Sie kennen das, wenn Sie etwas Gutes geschafft haben, erleben Sie eine innere Befriedigung. Ich hatte etwas geschafft, zugleich war ich wer“, erzählte Schmidt von den Flaneuren am Fluss, die sein Spiel mit dem Drachen bewundert hätten. „Ich genoss deren Anerkennung und Respekt.“ Als dritten Aspekt dieser Herausforderung brachte er seine „Lehrerin“ ins Spiel, seine Freundin, die ihm erst die Drachenflug-Idee unterbreitet und zugetraut hatte, das Problem zu meistern. Lehrende sollten Lernende in die Geheimnisse der Welt einweihen können, verallgemeinerte Schmidt. Sie sollten, als eine der wichtigsten Aufgaben, Vertrauen schenken. Sie sollten wissen, welche ungeheure Wirkung eine gemeisterte Herausforderung entfalte.
„Wir werden süchtig nach Erfolgserlebnissen“
Über- und Unterforderung seien das genaue Gegenteil von Herausforderung. Überforderung löse Angst aus und lähme. Wer sich anstrenge und ohne Erfolg bleibe, verliere das Vertrauen in seine Fähigkeiten. Es komme daher auf den Anfang an, auf ein rasches und wachsendes Erfolgserlebnis. Dies erkläre auch den Erfolg der Computerspiele bei Kindern und Jugendlichen. „Wir werden sozusagen süchtig nach Erfolgserlebnissen.“ Unterforderung wiederum erzeuge Langeweile und demotiviere. Schmidt kritisierte das verbreitete Unterrichtsprinzip, allen Schülern einer Klasse die gleiche Aufgabe zu stellen und ein einheitliches Lerntempo vorzugeben. Das müsse zwangsläufig zu einer Unter- und Überforderung von Teilen der Klasse führen. Es sei denn, man könne eine homogene Lerngruppe bilden. Das aber, so hat Schmidt von befreundeten Lehrern erfahren, werde angesichts der zunehmenden Unterschiedlichkeit von Schülern immer aussichtsloser. Ihnen, den kleinen, jungen Persönlichkeiten individuell gerecht zu werden, bezeichnete Schmidt daher als große Herausforderung der Schule.
Ein Fluch: Der Vergleich von Leistungen
Den Vergleich von Leistungen bezeichnete Schmidt als Fluch. Er selbst habe seinen früheren Sportlehrer im Tischtennis problemlos besiegt. Beim 400-Meter Lauf erreichte Schmidt, der eine Beinprothese trägt, zwar persönliche Bestzeit. Verglichen mit den Ergebnissen der Mitschüler war sie schwächer. „Die Lehrer befänden sich häufig in der Zwickmühle, was sie eigentlich bewerten sollen.“ Generell kritisierte er die Notengebung. Erst recht das schon früh in der Grundschule einsetzende Bewertungssystem. Dabei würden Vergleiche stets Sieger und Verlierer produzieren. Und wie Misserfolge den Spaß an einer Sache vermiesen können, schilderte er wiederum aus eigenem Erleben. Es sei allgemein problematisch, wenn man nicht am eigenen Level gemessen werde. „Unter diesem Phänomen leiden alle Menschen mit Behinderung.“
Gott sagt: Du bist mehr als die Summe deiner Leistungen
Schmidt betonte die Bedeutung einer funktionierenden Beziehungsebene zwischen Schülern und Lehrern, zwischen Menschen, die stark werden sollen und denjenigen, die stark machen. Das setze auf beiden Seiten Vertrauen voraus. Wenn das Vertrauensverhältnis nicht stimme, wenn etwa Bewertung Angst auslöse, versteckten sich die Schüler. Wenn sie dagegen Vertrauen geschenkt bekämen, wenn sie merkten, dass sie ihren Lehrern wichtig sind und diese es gut mit ihnen meinen, wachse ihr Zutrauen. Er selbst, so Schmidt, habe in seinem Sport grenzenloses Vertrauen zu seiner Heimtrainerin und fühle als Christ und Theologe zudem Gott im Rücken: „Er sagt, du bist mehr als die Summe deiner Leistungen.“
Foto(s): Engelbert Broich