Vor 40 Jahren, am 20. April 1980, wurde die Klais-Orgel im Altenberger Dom eingeweiht. Dieses bemerkenswerte Datum hätte man in Altenberg gerne mit einer großen Musiknacht begangen und musikalisch vom 19. in den 20. April hineingefeiert. Internationale Gäste waren dazu eingeladen und hätten ein spannendes Programm mit Orgelmusik, Vokalimprovisationen und Instrumentalwerken präsentiert. Nun aber kann die „Königin der Instrumente“ aufgrund der aktuellen Veranstaltungsverbote ihren Geburtstag nur in aller Stille und mit ihren engsten Weggefährten feiern.
Einer dieser Weggefährten ist der Altenberger Domorganist und Kirchenmusikdirektor Andreas Meisner, der bereits seit 1980 regelmäßig in die Tasten greift. Niemand kennt die Orgel so wie er und hat länger die Orgelgeschichte Altenbergs mitgestaltet. Meisner erinnert sich: „Als Studienanfänger an der Musikhochschule wurde ich von meinem damaligen Orgelprofessor Ludger Lohmann auf die Assistentenstelle im Altenberger Dom hingewiesen. Ich stellte mich meinem Vorgänger Volker Hempfling vor. Der fuhr mit mir im Februar an die Orgelbaustelle im Altenberger Dom. 85 Prozent der Orgel waren bereits fertig. Ich spielte eine virtuose Toccata von Flor Peeters. Die Orgelbauer klatschten, ich war schockverliebt in diese wunderbare Orgel und hatte die Assistentenstelle.“
Altenberg ist in vieler Hinsicht ein einmaliger Ort. Der riesige Dom – immerhin der zweitgrößte gotische Kirchenbau in NRW – steht nicht wie üblich in einem Stadtzentrum und prägt eine Skyline, sondern versteckt sich mitten im Wald. Er gehört keiner Kirche, sondern dem Land NRW und wird seit langem ökumenisch genutzt. Und es gibt in NRW sicher auch keine Domkirche mit so vielen Konzerten.
Schon wenn man den Altenberger Dom durch das kleine Portal betritt sucht man zunächst vergeblich nach der Orgel. Im Westwerk der Kathedrale, wo dem Altar gegenüber in der Regel die Orgeln stehen, dominiert das prächtige Westfenster mit der Darstellung des himmlischen Jerusalem. Die Domorgel entdeckt der Besucher erst, wenn er schon fast vor dem Altarraum steht. Dort, im südlichen Querhaus entfaltet das Instrument dann seine riesigen Dimensionen: Mit 17 Metern Höhe, rund 30 Tonnen Gewicht, zwei Spieltischen und gut 6.500 Pfeifen füllt sie das gesamte Querhaus bis in die Gewölbe aus. Und von dort aus füllt sie mit ihren zunächst 82 Registern, die bis 2007 auf 89 Register erweitert wurden, den Dom mit prächtigem Orgelklang.
Die Erbauer der Orgel – die beiden Kirchengemeinden und die Stiftung Altenberg – haben vor mehr als 40 Jahren sehr großzügig geplant. Mit Weitsicht haben sie damals für eine Million DM eine große Orgel mit seltenen spanischen Trompeten bei Orgelbau Klais, einer der weltweit renommiertesten Orgelbauwerkstätten bestellt. Eine Investition, die sich bis heute täglich rentiert und zweifelsohne der Hauptgrund für das reichhaltige Kulturleben im Bergischen Dom ist. Egal ob in Gottesdiensten, Musikalischen Vespern, Festival-Konzerten, der Internationalen Orgelakademie oder großen oratorischen Konzerten, überall dominiert die Klais-Orgel das liturgische und konzertante Geschehen. Andreas Meisner erinnert sich: „Ich müsste ca. 500 Konzerte in Altenberg gespielt haben.“; mehr als 1.000 Gäste hat er in den letzten vier Jahrzehnten in seine Konzertreihen eingeladen. Auf besondere Ereignisse angesprochen, berichtet Meisner: „Der bestbesuchteste Gottesdienst aller Zeiten war der ökumenische Abschlussgottesdienst am Reformationstag im Reformationsjubiläumsjahr 2017. Es gab keine freie Fläche mehr im Dom, ob es 2.000 oder noch mehr Besucher waren, kann man nicht mehr feststellen. Auch unter diesen extremen Bedingungen war die Domorgel die „Königin“.
Die Altenberger Dom kann aber nicht nur „laut“. Ihre großen Qualitäten liegen für Andreas Meisner auch in den vielen bezaubernden Einzelregistern, die er beim Spiel täglich neu entdeckt. Sei es der vollendet schöne Holzprinzipal, der von Gastorganisten gerne „übersehen“ wird, weil er sich „ganz oben“ auf dem vierten Manual versteckt, die Jubalflöte im Pedal, die den ganzen Dom mit weichem Gesang erfüllt, die majestätische Tuba oder die bodenlos tiefe Contrabombarde 32 Fuß, die beide für Kraft und Gravität sorgen – all diese Klangfarben sind zu seinen Lieblingsregistern geworden.
Und natürlich erinnert sich Domorganist Meisner auch an so manche heitere Begebenheit in vier Jahrzehnten. So zum Beispiel an den italienischen Organisten, der erst sehr knapp zu seinem Konzert anreiste, weil er versehentlich zunächst den Ort Altenberg im Erzgebirge angesteuert hatte um dann erst zu merken, dass dort gar kein Dom steht. Oder an die Hochzeit, die ohne Musik zum Einzug stattfand, da der Organist die hereinkommende Braut im toten Winkel nicht hatte sehen können. Gerne schildert Andreas Meisner auch diese Begebenheit: „Ein – wie sich später herausstellte – schwerhöriger Organist aus Schweden freute sich sehr, dass er die Orgel so gut hören konnte in seinem Konzert. Was er nicht mitbekam: Die enormen Lautstärken, die die Altenberger Domorgel erzielen kann, muss man sehr dosiert einsetzen. Über einen längeren Zeitraum ist es unerträglich, ist ja auch so nicht gedacht. Am Schluss hatten die meisten Zuhörer die Kirche verlassen. Er war trotzdem glücklich.“
Foto(s): Wolf-Rüdiger Spieler