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„Religionsunterricht ist mehr als die Vermittlung von Werten“: Auch beim 12. Altenberger Forum wurde wieder über „Kirche und Politik“ diskutiert

Das Dutzend ist voll. Zum zwölften Mal fand das Altenberger Forum „Kirche und Politik“ statt, traditionell am Abend vor dem Buß- und Bettag, wie immer mitveranstaltet vom Ökumeneausschuss im Rheinisch-Bergischen Kreis. Neben Mandatsträgern aus Kirche und Politik hatten sich auch jede Menge interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer im Martin-Luther-Haus eingefunden, denn das Thema des Abends versprach eine anregende Diskussion: „Ganzheitliche Erziehung ohne Religion? – Kirche und Politik in der Verantwortung“.



„Kinder brauchen Religion“
Auf dem breit besetzten Podium wollte niemand die Frage ernstlich verneinen. „Kinder brauchen Religion. Und bei ihnen spürt man noch, wie nah sie dran sind“, sagte Maria Kley-Auerswald, Leiterin des Montessori-Kinderhauses in Kürten-Dürscheid. Astrid Gilles-Bacciu Diplom-Pädagogin bei der Erwachsenenbildung des Erzbistums Köln, betonte, dass „Religion nicht erst im Kindergarten“ anfange. „Kinder sehen Religion: Kirchen, Kreuze, in der Kunst. Religion gehört einfach dazu. Es gibt aber eine große Gruppe von Eltern, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.“ Beim Umgang mit der Religion diagnostizierte die Pädagogin eine gewisse Sprachlosigkeit. Aufgabe der Kirchen sei es, Räume zu schaffen zum Nachdenken, Impulse zu vermitteln.

Hoher Unterrichtsausfall
Bis hierhin herrschte ja noch Einigkeit auf dem Podium und bei den rund 70 Besucherinnen und Besuchern im Saal. Doch nach dem natürlichen Staunen, in das Religion die Kinder versetzt, kommt irgendwann der Religionsunterricht. In der Schule. Und da fangen die Probleme dann an. „Religionsunterricht fällt an Schulen überdurchschnittlich oft aus“, stellte Pfarrer Dr. Rainer Stuhlmann, Referent für Gymnasien und Gesamtschulen im Schulreferat des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Umgebung, fest. Das führte er zum einen auf einen Mangel an entsprechenden Fachlehrern zurück, zum anderen aber auch auf eine gewisse „Unlust“ an vielen Schulen, denn es ei nicht immer einfach, den Religionsunterricht in die Stundentafel einzubauen. „Die Unterrichtsstunden müssen sie für alle blocken und die Gruppen entsprechend einteilen.“ An vielen Schulen sei daher der gemischt-konfessionelle Unterricht an der Tagesordnung. „Die Alternative wäre, ihn ausfallen zu lassen“, so Stuhlmann. Bis zu einer gewissen Grenze wollte der Referent beim gemischt-konfessionellen Unterricht durchaus gehen: „Wenn es um gleiche Inhalte der Konfessionen geht, ist das völlig in Ordnung. Aus Bequemlichkeit oder aus Mangel an Lehrern aber ist das nicht akzeptabel.“

Eine Lanze für den „konfessionellen Unterricht“
Ganz so entspannt sah das Barbara Engels allerdings nicht. Die Schulreferentin für katholischen Religionsunterricht im Rheinisch-Bergischen Kreis vertrat die Auffassung des Erzbistums, dass der gemischt-konfessionelle Unterricht nur ein Hilfskonstrukt sei. „Im Religionsunterricht geht es nicht nur um das Vermitteln von Religionskunde. Die Kinder sollen ihren Glauben auch erfahren und erleben. Und das geht nur im konfessionellen Unterricht.“ Diese rigide Haltung der Kirchenspitze sah Stuhlmann an der Basis längst nicht. Daher empfinden nach seiner Auffassung viele katholische Religionslehrer, die in der Praxis die Kooperation verfolgen, ihre Kirche „als eine Art Polizeibehörde“. Er plädierte für eine praxisorientierte Auslegung und Anwendung des Religionsunterrichts an den Schulen, während Engels in den „Hilfskonstrukten“ die Gefahr einer Aufweichung der christlichen Wurzeln sah.

Gemischt-konfessioneller Unterricht nur mit Zustimmung der Eltern
Uta Faßbender, Schulrätin für Grundschulen im Rheinisch-Bergischen Kreis, bestätigte das Problem, genügend Lehrer für den Religionsunterricht zu finden. „An Grundschulen gibt es so gut wie keine Fachlehrer. Die Lehrerinnen und Lehrer sind alle Klassenlehrer, die die Kinder in fast allen Fächern unterrichten. Da ist es fast unmöglich, die ausgebildeten Religionslehrer in allen Klasen einzusetzen.“ Ob man die Lehrer nicht besser verteilen können? Dass sei nach Fassbenders Erfahrungen schwierig, denn wenn Lehrern aufgrund ihrer Lehrerlaubnis für Religion eine Zwangsversetzung angedroht werde, kontern die mit der Drohung, diese Lehrerlaubnis sofort aufzugeben. „Im Übrigen sind die Eltern sehr an Religionsunterricht interessiert, legen im ersten und zweiten Schuljahr aber noch nicht so viel Wert auf konfessionellen Unterricht. Gemischt-konfessioneller Unterricht wird aber nur erteilt, wenn die Eltern einstimmig dafür sind.“

Persönlicher Blickwinkel oder gesellschaftliche Perspektive?
In der Praxis ergeben sich aber oft noch ganz andere Probleme. „In einer Gruppe von 30 Schülerinnen und Schüler habe ich 15 bis 20, die zwar sehr interessiert, aber völlig ahnungslos sind, was Religion, auch ihre eigene Religion, überhaupt ausmacht. Da kann ich nur einen ,einladenden Religionsunterricht‘ anbieten: Schaut her, wie wir das machen“, erzählte Paul Blazek. Er ist Religionslehrer und seit zehn Jahren Direktor des Gymnasiums Herkenrath.
Und dann gibt es noch die Jugendlichen, die gar nicht zum Religionsunterricht gehen wollen. Als Alternative für sie gibt es das Fach Praktische Philosophie, das auch Cornelia vom Stein an der Hauptschule Wermelskirchen unterrichtet. „Natürlich gibt es da viele Überschneidungen mit dem Religionsunterricht, etwa bei der Frage nach dem Ursprung oder dem Sinn des Lebens.“ Neben dem persönlichen Blickwinkel werde aber auch die gesellschaftliche Perspektive thematisiert. Und: Genau wie beim Religionsunterricht gehe es primär darum, die Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung eines gefestigten Charakters zu unterstützen.

„Werteerziehung muss von der ganzen Schule getragen werden“
Religionsunterricht kann aber nur einen Teil zu einer humanen Erziehung beitragen, er ist nicht primär dafür zuständig und verantwortlich. „Religionsunterricht ist mehr als Werte, Bildung oder Erziehung. Eine vernünftige Erziehung der Kinder muss von allen erarbeitet werden. Die Werteerziehung muss von der ganzen Schule getragen werden“, erklärte Dr. Rainer Stuhlmann zum Schluss der Diskussion. Und damit fand er wieder die Zustimmung auf dem Podium und im Publikum.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Fleischer