Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen ist ein schwieriges Unterfangen, das war schon immer so. Vielen jungen Leuten, die bereits in Grund- und weiterführenden Schulen in dem nicht versetzungsrelevanten Fach unterrichtet wurden, erschließt sich der Sinn der Übung nicht ohne weiteres. Sie haben die ersten Schritte ins nicht immer ganz einfache Erwerbsleben gemacht und erwarten – gerade wenn sie technische Berufe erlernen – auf Fragen klare Antworten. Die können im Religionsunterricht ganz schön provozierend sein, wie Pfarrer Dr. Johannes Voigtländer aus eigener Praxis weiß: "Jesus war ganz okay, aber weshalb hat ihn sein allmächtiger Vater dann kreuzigen lassen?" heißt es da etwa, oder: "Weshalb hat er zugelassen, dass mein Freund mit dem Motorrad verunglückt?"
Mit eindeutigen Antworten könne man als Religionslehrer dann nicht dienen: "Das setzt vor allem die staatlichen Lehrer unter Druck", sagt der Bezirksbeauftragte im Pfarramt für Berufskollegs des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. "Bei Pfarrern ist das etwas anders, die finden Schüler irgendwie spannend." Nicht zuletzt wegen der permanenten Stresssituation, so Voigtländer, sei der Religionsunterricht an den Berufskollegs – wo seit Mitte der 90er Jahre die ganz unterschiedlichen Formen berufsbegleitender oder -vorbereitender Bildung unter einem Dach zusammengefasst sind – seit langem in der Dauerkrise.
Denn staatliche Lehrer genießen hinsichtlich des Fachs Religionslehre ebenso wie die Schüler "Gewissensschutz", das heißt, sie dürfen von ihrer Schulleitung, anders als in Fächern wie Englisch oder Mathematik, nicht zum Unterrichten gezwungen werden. "Sie konzentrieren sich dann auf ihre Zweit- oder Drittfächer. Als Religionslehrer macht man ohnehin nicht auf sich aufmerksam, eine 'Karriere' kann man darauf nicht aufbauen“, so Voigtländer. „Und eine ruhige Kugel kann man wegen der anstrengenden Schüler ja auch nicht schieben."
Bereits Ende der 60er Jahre hatte das Land NRW die Kirchen deshalb um Unterstützung gebeten. und die hatten sich nicht verweigert. Mit dem Ergebnis, dass heute 80 Prozent des Religionsunterrichts an den Berufskollegs von Pfarrerinnen und Pfarrern gegeben wird. Im Geltungsbereich des Kirchenverbands seien an diesen Schulen 41 Pfarrer beschäftigt, meist auf Vollzeitstellen. Zum Vergleich: Im Gymnasial- und Gesamtschulbereich seien nur insgesamt acht Pfarrer angestellt, obwohl die Zahl der Schulen und Schüler dort wesentlich größer ist – an genaue Zahlen und Statistiken zu kommen, sei aber schwierig, sagt Voigtländer.
Doch auch die Pfarrerinnen und Pfarrer an den Berufskollegs, die selbstverständlich vom Schulträger, also vom Land NRW bezahlt werden, könnten einem Kernproblem nur zum Teil abhelfen: "20 Prozent der Schüler an Berufskollegs erhalten evangelischen Religionsunterricht, 20 Prozent katholischen Religionsunterricht – der Rest gar keinen", erläutert der Bezirksbeauftragte. Und das, obwohl gesetzlich vorgeschrieben ist, dass Schüler an allgemeinbildenden Schulen – und dazu gehören die Berufskollegs – eine Stunde pro Woche Religionsunterricht erhalten sollen. Dass die Lerngruppen einheitlich nach Konfessionszugehörigkeit besetzt sind, wie es ebenfalls Vorschrift ist, gehöre schon seit Anfang der 90er Jahre in den Bereich des Wunschdenkens, sagt Voigtländer: "Heute werden ganze Klassen unterrichtet. Meine letzte Klasse bestand aus 25 Auszubildenden im Fleischerberuf. Davon waren zwei Protestanten, vier Katholiken und sieben Muslime – der Rest war konfessionslos."
Doch die Situation dürfte sich noch weiter verschlechtern: "Der evangelischen Kirche werden in den kommenden Jahren Finanzen wegbrechen, da darf man sich keine Illusionen machen. Deshalb führt auch kein Weg daran vorbei, die Zahl der Pfarrerstellen der Landeskirche bis 2030 von rund 1900 auf etwa 1000 zu reduzieren. Das bedeutet aber auch, dass die Zahl der evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer an Berufskollegs um 45 Prozent sinken wird – mindestens. Denn die Versorgung der Gemeinden mit Pfarrern geht selbstverständlich vor. Dann wird man Religionsunterricht an Berufskollegs höchstens noch exemplarisch geben können." Dabei sei die Gruppe der jungen Auszubildenden für die Kirchen höchst interessant: "Die erreicht man doch mit der ‘normalen‘ Gemeindearbeit gar nicht mehr", meint Voigtländer.
Und bei allen oberflächlichen Vorbehalten der Schüler dem Religionsunterricht gegenüber sei doch zu spüren, dass sie gerade in diesem Alter nach Orientierung suchen. Wenn es zum Beispiel um das Verhältnis zum Chef, zum Partner oder zu den Eltern gehe, auch zur Gesellschaft insgesamt. Oder um aktuelle Probleme wie die Flüchtlingsdramen: "Solche Themen werden von den Schülern selbst angesprochen. Dann kann ich ihnen mein christliches Weltbild zur Orientierung anbieten, manchmal arbeite ich auch mit Bibeltexten. Natürlich nicht in missionarischer Absicht, sondern als Diskussionsgrundlage.“ Selbstverständlich seien vor allem muslimische Schüler anfangs oft sehr skeptisch. „Aber wenn sie merken, dass sie auch über Koranstellen reden können, legt sich das.“
"Man muss um jeden Schüler, um jede Schülerin kämpfen, aber es lohnt sich", lautet Johannes Voigtländers Fazit. Ermutigend sei, dass nur wenige Schüler von dem Recht Gebrauch machten, sich vom Religionsunterricht abzumelden. Auch seien die Schulleiter im Allgemeinen "keine knallharten Atheisten", sondern durchaus offen für die Anliegen der Religionslehrer, wenn auch bisweilen ein wenig indifferent. Deshalb möchte Voigtländer jetzt mit seinen beiden Kollegen vom Pfarramt für Berufskollegs – die Pfarrer Hans-Martin Brandt-von Bülow und Jost Klausmeier-Sass – auch um jeden Religionslehrer kämpfen, speziell also um die staatlichen Kräfte. Ab dem 25. November sollen im Haus der Evangelischen Kirche Workshops für evangelische Religionslehrer stattfinden, in denen diesen geeignete Strategien zur Durchführung des Unterrichts an Berufskollegs vermittelt werden.
Aber Johannes Voigtländer denkt auch darüber nach, wie man Religionsunterricht an den Berufskollegs langfristig sichern könnte. Denn er sieht sich insofern in einer privilegierten Position, als der Kirchenverband – anders als im Falle seiner beiden Kollegen und der allermeisten anderen Bezirksbeauftragten der Landeskirche – die Hälfte seiner Stelle bezahlt. So hat er Kapazität, im Pfarramt über geeignete Konzepte nachzudenken: „Ich würde mir wünschen, dass die Landeskirche Kompetenzzentren für den Religionsunterricht an Berufskollegs einrichtet", sagt er. "Die sollen sich in ihrem Zuschnitt nicht nach den Grenzen von Kirchenkreisen richten, sondern nach den Bezirksregierungen. Denn die sind die Aufsichtsbehörde." Nur auf der Ebene der Bezirksregierung könne man an dauerhaft tragfähigen Konzepten arbeiten, die einzelnen Beauftragten in den Kirchenkreisen könnten da wenig bewirken.
Über ein anderes Thema redet Voigtländer nur ungern, weil er fürchtet, falsch verstanden zu werden. Viele Protestanten setzten sich dafür ein, dass auch muslimische Lehrer Religionsunterricht geben dürfen, und das sei ja an sich auch richtig. Aber wenn die christlichen Kirchen sich immer mehr aus diesem Aufgabenbereich zurückziehen, dann könnte es eines Tages so aussehen, dass katholische und evangelische Schüler ihren Religionsunterricht von muslimischen Lehrern erhalten. „Dann höre ich schon die Leute in den evangelischen Gemeinden sagen: ‚Das geht doch nicht.‘ Aber dann werde ich echt sauer.“
Foto(s): Hans-Willi Hermans