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Reduktion auf das Wesentliche: der Gottesdienst „Leise!“

„Leise – Gottesdienst in der Turmkapelle“ lautete das Motto, das auf dem Ablaufplan angekündigt war. Allerdings begann der Gottesdienst alles andere als leise. Die 35 Gottesdienstbesucher und -besucherinnen und Pfarrer Christoph Rollbühler hatten gerade Platz genommen, als mächtige Glockenschläge vom Turm der Christuskirche im Belgischen Viertel durch die Kapelle klangen. Dann war es still. Einige Minuten still.

Es gibt ja verschiedene Formen von Stille. Die beklemmende Stille, wenn gerade etwas passiert ist und allen die Worte fehlen. Und die Stille, die peinlich ist, weil zwei Gesprächspartnern klar ist, dass man die Unterhaltung weiterführen müsste, aber keinem von beiden etwas einfällt. Die Stille in der Christuskirche nach den Glockenschlägen war anders. Nicht beklemmend, nicht unangenehm, nicht peinlich: Eher selbstverständlich. Dem Raum entsprechend und völlig angemessen. Und sogar der event-verdorbene Großstädter erwartete nicht, dass der Pfarrer im Talar irgendeine Art Performance zeigt.

Mittelalterliche Anmutung
In der Christuskirche geschah erstmal nichts. Dann reckte Rollbühler kurz den Daumen, worauf die Pianistin Shoko Shida ein paar Takte auf dem Klavier spielte. Anschließend sprach der Pfarrer zur Eröffnung des Gottesdienstes ein Gebet. Nun wurde es doch mal ein wenig lauter in der Christuskirche. Die Gemeinde sang „Oculi nostrum ad dominum nostrum“ – Die Augen richten wir auf unseren Herrn. In diesen Momenten der ständigen Wiederholung dieser Zeile erfuhr der Gottesdienst eine mittelalterliche Anmutung.

„Worte der Unruhe“ und eine Welturaufführung
Beinahe mönchisch wirkte das Lied derer, die sich in zwei Halbkreisen gegenüber saßen. Erstaunen ließ die Qualität des Gesangs, die durch die erstklassige Akustik der neuen Kapelle noch verstärkt wurde. Und dann? Stille. Einzig das Krächzen der Elstern aus dem nahe gelegenen Stadtgarten störte die Kontemplation. Rollbühler sprach „Worte der Unruhe“. In den Pausen dazwischen „Schweigen & Atmen“, „Schweigen & Hören“, „Schweigen & Öffnen“. Dann war wieder die Gemeinde gefragt. Es kam zu einer Welturaufführung: Shoko Shida hat ein Gebet vertont, das Christoph Rollbühler geschrieben hat:

„Wenn ich traurig bin, dann singst du mir ein Lied,
damit ich wieder schlafen kann, damit ich schlafen kann.
Wenn ich unruhig bin, dann singst du mir ein Lied,
damit ich mich beruhigen kann, beruhigen kann.
Wenn ich kaum mehr atmen kann, dann singst du mir ein Lied,
und ein leiser Wind streift meine Seele.“

Dieses Lied sang die Gemeinde zu einer einfachen, aber eindringlichen Melodie auf eigenen Wunsch mehrmals hintereinander.

Wenige Worte, ausgewählter Gesang
„Der Gottesdienst „Leise!“ will die Reduktion auf das Wesentliche. Viel Schweigen, wenige Worte, ausgewählter Gesang. Im Zentrum steht ein vertontes Gebet, das die Feiernden stärken soll. Ein Stück vertonter Glaube als Angebot für innere Bewegung“, erläutert Pfarrer Rollbühler das Konzept.

Nicht an jenem Abend
Zurück zum Gottesdienst: Nach dem Vaterunser, dem musikalischen und gesprochenen Segen sowie dem Schlussgesang von Fabian Hemmelmann trat man sehr still und nachdenklich auf den Dorothee-Sölle-Platz und ging zum Ring. Der erste Ferrari-Fahrer, der den Motor aufheulen ließ, vermochte die Gedanken nicht zu stören. Nicht an jenem Abend. Nicht nach jenem inspirierenden Gottesdienst.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann