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Raus aus der Kirche, hinein ins Zentrum: Open-Air-Gottesdienst auf dem Wiener Platz zum 400-jährigen Bestehen der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein

Es war der gelungene Abschluss einer gelungenen Festwoche: Auf dem Wiener Platz feierte die Evangelische Kirchengemeinde Mülheim am Rhein einen Open-Air-Gottesdienst. Zur Feier ihres 400-jährigen Bestehens ging die Gemeinde raus aus der Kirche und mitten hinein in das lebhafte Mülheimer Zentrum. Ein kraftvolles Bekenntnis, um zu zeigen: Wir sind hier, da, wo die Menschen sind.


Auf dem Wiener Platz versammelten sich mehr als 500 Menschen zum Open-Air-Gottesdienst der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein

Sechs Töchtergemeinden feierten mit
Zu Fuß, mit der Bahn oder mit dem Auto strömten sie zum Wiener Platz – evangelische Christinnen und Christen aus dem rechtsrheinischen Köln und aus Bergisch Gladbach, um gemeinsam mit den Mülheimer Gastgebern zu feiern. Zum Höhepunkt der Festwoche trafen sich die Mülheimer Protestantinnen und Protestanten mit den im Laufe der Jahrhunderte aus Mülheim hervorgegangenen Töchtergemeinden zum Open-Air-Gottesdienst. „Es ist wunderbar, dass wir uns hier und heute alle treffen“, freute sich die Mülheimer Pfarrerin Wilma Falk-van Rees. Sie begrüßte Mitglieder der Gemeinden aus Bergisch Gladbach, seit 1775 die „älteste Tochter“, aus Dellbrück und Holweide, aus Dünnwald, aus Flittard und Stammheim, aus Brück und Merheim sowie aus Buchforst und Buchheim. Und der Ansturm übertraf sogar die Erwartungen der Gastgeber: „Es sind nicht genügend Liedtexte da? Das ist ja klasse“, jubelte Falk-van Rees, „wir haben nämlich 500 Stück drucken lassen.“


Pfarrerin Wilma Falk-van Rees begrüßte auch viele Gemeindeglieder aus den Töchtergemeinden, die aus der Mülheimer Kirchegemeinde hervorgegangen sind.

Andächtige Stille auf dem lebhaften Platz
Vor dem Bezirksrathaus stand der Altar, die Gläubigen versammelten sich auf Bänken, die halbkreisförmig auf dem Platz aufgestellt waren. Große Plakate zeigten, wo die einzelnen Gruppen der Töchtergemeinden saßen. Verkehrslärm, Handyklingeln und das Geplauder der Passanten traten in den Hintergrund, und während des Gebetes legte sich für einen Moment sogar eine andächtige Stille über den lebhaften Platz im Mülheimer Zentrum. Zufällig vorbeikommenede Spaziergänger und Radfahrer hielten immer wieder kurz oder länger inne, um dem Open-Air-Gottesdienst zu lauschen.

„Lasst uns festhalten am Bekenntnis der Hoffung“
Hoffnung war das zentrale Thema in der Predigt von Alt-Präses Manfred Kock. „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung“, diesen Satz aus dem Hebräer-Brief stellte er in den Mittelpunkt seiner Predigt. Kock erinnerte daran, dass die Mülheimer Gemeinde bei ihrer Gründung für viele Protestanten ein Zeichen der Hoffnung war in Zeiten, in denen evangelische Menschen wegen ihres Glaubens bedroht, verfolgt und manchmal sogar getötet worden sind. „Der kölsche Hoffnungssatz lautet: Et kütt wie et kütt, ävver et hät noch immer jot jejange.“ Doch ganz so einfach sei es eben nicht immer, denn „um diesen Wiener Platz herum ist viel Hoffnungslosigkeit. Fast alle menschlichen Probleme versammeln sich hier, Arbeitslosigkeit und Kinderarmut sind weiter verbreitet als in vielen anderen Stadtteilen.“ Gerade in solchen Zeiten aber sei es aber auch die Kirche, die Hoffnung vermittle. „Auch wenn viele die Kirchen nur selten aufsuchen, sie sind doch Orte starker Bindung und verlässlicher Orientierung und Kraft.“ Denn: „Ihren tiefsten Grund hat die Hoffnung in der Christenbotschaft. Ohne sie wäre sie brüchig und käme leicht unter die Räder.“ Eine Besonderheit beim Open-Air-Gottesdienst: Die Predigt wurde mit lang anhaltendem Applaus bedacht.


Hoffnung war das zentrale Thema in der Predigt von Alt-Präses Manfred Kock

Verwurzelung in der Gemeinschaft
Rückblicke auf bedeutende Ereignisse in der 400-jährigen Gemeindegeschichte, verknüpft mit Bezügen zu aktuellen Problemen wie Krieg, Finanzkrise oder Arbeitslosigkeit: In den Ansprachen und Fürbitten stand das Jubiläum nie für sich, die evangelischen Christen in Mülheim betonten immer wieder ihre Verwurzelung in der Gemeinschaft – vor allem der Kölner Gemeinschaft. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass sich neben den evangelischen Gläubigen auch eine Reihe von Katholiken auf dem Wiener Platz eingefunden hatten, die gemeinsam mit den evangelischen Christinnen und Christen den Gottesdienst verfolgten.

Die Predigt zum Nachlesen: hier.

„Abendglühen“ als musikalischer Höhepunkt
Nach dem Gottesdienst war aber noch lange nicht Schluss. Als musikalischen Höhepunkt präsentierte die Evangelische Kirchengemeinde Mülheim am Rhein das „Abendglühen“ von Markus Stockhausen. Der Solotrompeter spielte, begleitet von 70 Blechbläsern aus evangelischen Kirchengemeinden, das Stück, das er bereits beim Deutschen Evangelischen Kirchentag 2007 in Köln mit überaus großem Erfolg aufgeführt hatte. Und nach der Musik wurde auf dem Wiener Platz bei Kölsch, Wasser, Bratwurst und Gesprächen der reale Sonnenuntergang genossen.


Rund 70 Blechbläser sorgten für die musikalische Begleitung

Jede Menge Programm bis zum Ende des Kirchenjahres
Vieles über die 400-jährige Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein vermittelte auch eine Ausstellung in der Friedenskirche, die mit der Festwoche endete. Weitere Facetten standen auf dem Programm, das mit einem Gesprächskonzert am Vorabend des Himmelfahrtstages und dem Festgottesdienst am Himmelfahrtstag selbst begann. Der Jubiläumsgottesdienst in der Friedenskirche mit Vize-Präses Petra Bosse-Huber war sehr gut besucht, eine Stadtführung und das Kindertheaterstück „Der Stier Ferdinand“ fanden ebenso ihr begeistertes Publikum. Ein Barock-Konzert im Andreae-Haus und eine Krimilesung mit Brigitte Glaser lockten evangelische und katholische Kunstliebhaberinnen und -liebhaber gleichermaßen an, und beim Auftritt des Kirchenkabaretts „Klüngelbeutel“ wurde herzhaft gelacht – auch über die Schwächen der evangelischen Kirche.

Bis zum Ende des Kirchenjahres warten noch eine Reihe weiterer interessanter Veranstaltungen. Die nächste ist ein Konzert aus der Reihe „Musik aus vier Jahrhunderten“ am Freitag, 28. Mai, ab 20 Uhr in der katholischen Herz-Jesu-Kirche, Danzierstraße 53. Das „Neue Orchester“ unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Christoph Spering spielt die „Eroica“ von Ludwig van Beethoven.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Fleischer