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„Räume der Freiheit“ in der AntoniterCityKirche geöffnet

Der erste Aufschlag ist absolviert, die achtteilige Seminar-Reihe „Räume der Freiheit – evangelisch im 21. Jahrhundert" ist gestartet. Angeboten wird sie in einer Kooperation von Melanchthon-Akademie (MAK) und AntoniterCityKirche. Jeweils montags laden nach der 10-Minuten-Andacht (18 Uhr) beide Einrichtungen in den großen Gemeindesaal der Citykirche an der Schildergasse ein, „miteinander zu sprechen“. Als Referent konnte Altpräses Manfred Kock gewonnen werden, er steuert zu jedem Seminar das Impulsreferat bei.

Fragen nach Licht und Schatten
Zum Auftakt erklärte MAK-Leiter Martin Bock, der mit CityKirchenPfarrer Markus Herzberg die Abende moderiert, weshalb es zu diesem Thema eine Veranstaltungsreihe brauche: Was Evangelisch sein heute und in naher Zukunft bedeute, sei nicht in zwei Minuten zu sagen. „Im 21. Jahrhundert kann man nicht mehr so vollmundig von Kirche sprechen, aber auch nicht weniger ausführlich.“ Beispielsweise müsse man auch Vorbehalten begegnen. Es gelte auf Fragen nach Licht und Schatten, nach evangelischem und ökumenischem Profil in Ruhe zu reagieren und nachdenklich zu antworten.

Nicht die Spaltung feiern
Überschrieben war der Premiere-Abend mit „Evangelisches Profil in ökumenischer Verantwortung“. Vor gut 60 Gästen sprach Kock über innere und äußere Räume der protestantischen Freiheit, über ideelle, bauliche und andere Schätze. Darüber, was die reformatorischen Kirchen in der heutigen Zeit auszurichten hätten. Welchen Beitrag sie leisten müssten auch in der Gesellschaft, in der sie lebten. „Wir verdanken uns – wie alle Kirchen Jesu Christi – dem ersten Pfingstfest“, sagte Kock. Und betonte, dass man zum 500. Reformations-Jubiläum nicht antrete, um das Besondere an der Spaltung zu feiern.

Tebartz-van Eltz Symptom katholischer Krankheit?
„Die evangelische Kirche stellt einen Schatz dar für diese Zeit und unsere Welt“, konstatierte der frühere Kölner Stadtsuperintendent. Er wolle die Probleme nicht verdrängen, sprach Kock unter anderem eine sich verbreitende Skepsis gegenüber Institutionen, gegenüber Parteien und auch Kirchen an. Zweifelnde brächten „den lebendigen Geist nicht zusammen mit der Institution Kirche“. Diese werde als lau und behäbig eingeschätzt, als erstarrt und verknöchert, wobei das erste Urteil eher auf die evangelische Kirche ziele, das zweite auf die katholische. Kock fragte, ob die Geschehnisse um Tebartz-van Eltz in Limburg Symptome einer katholischen Krankheit seien. Weshalb aber seien die Austrittszahlen auch in "unserer Kirche" angestiegen? „Die Kassen sind transparent, trotzdem sitzen wir mit der katholischen Kirche in einem Boot. Auch bei uns gibt es kleinere Finanzskandale.“ Auch unsere Kirche werde für zu reich gehalten und mit zu vielen Privilegien ausgestattet.

"Kirche gehört nicht ins Kämmerlein"
Dabei, analysierte der 77-Jährige, würden Gegensätze konstruiert: beispielsweise Apparat gegen spontane Gemeinschaft, starre Kultfrage gegen Gefühl, Institution gegen Geist. Der Vorwurf laute: Den meisten in unserer Kirche fehle es an Begeisterung. „Das ist nicht von der Hand zu weisen“, meinte Kock, und sprach von Glaubensverlust. Manche sehnten sich daher zurück nach alten Zeiten. Aber wer wolle tatsächlich „mittelalterliche“ Zustände, fragte er. Säkularisierung bedeute nicht das Verschwinden von Religion. Es gebe eben verschiedene Spielarten. Falsch hält der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Annahme, die Welt würde friedlicher werden, wenn es gelänge den Faktor Religion auszuschalten. Im Gegenteil gebe es nicht viele Institutionen, die Menschenfreundlichkeit hervorbringen gegen die Quellen von Gewalt. Kirche müsse weiter teilnehmen am Geschick des Gemeinwesens, forderte Kock, sich gegen Fundamentalismus und esoterische Privatheit zu wenden. „Sie muss auf dem Markt sein, wo man öffentlich ist, sie gehört nicht ins Kämmerlein.“

Das Besondere an evangelischer Kirche
Sodann nannte Kock die wichtigsten Beiträge der evangelischen Kirchen für die Welt und Ökumene. Zunächst: Die Frage nach Gott stellen und aushalten. Die Kernkompetenz liege in der Frage nach Gott. Die evangelische Kirche habe nur das Wort. Ihr Auftrag laute, Kirche sein für diese Welt. Und sie habe nichts als die Botschaft Jesu. „Kirche hat keine Armeen. Jesu Botschaft war kein politisches Programm.“ Er sei kein Politiker gewesen, kein Aufständischer. „Jesu Besonderheit war seine Bereitschaft hinzuhören, zu dulden, Leiden zu ertragen für die Menschen.“ Seine Botschaft laute: „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Gottesdienst ist eine "Tankstelle"
„Wir müssen weg von einer Pastorenkirche, hin zu einer Teilhabe“, so Kock. „Der Alltag ist der Ort, wo die Christen leben.“ Sie gingen zum Gottesdienst in die Welt. Den sonntäglichen Gottesdienst sieht er als Tankstelle, um sich aufzufrischen für den Dienst in der Welt. Zu weiteren Schätzen zählte Kock das Vermächtnis der kirchlichen Gebäude. Ja, deren Erhaltung stelle eine finanzielle Belastung dar. Aber Kirchen seien ebenso Lebensorte. Nicht allein von Gemeinden und Kirchgängern, sondern für das ganze Gemeinwesen. „Es sind Orte, die so etwas wie Seele für die Stadt repräsentieren.“ Sie seien zugleich Asyl-Orte, Animationsorte, Räume zur Einkehr. Gleiches finde sich auch in öffentlichen Gebäuden, auf Plätzen, Friedhöfen. Allesamt seien das Orte, „die der Stadt zum Besten dienen“. Darum müsse man alles daransetzen, solche Orte zu pflegen, die dem Evangelium dienstbar seien: „Wir benötigten buchstäblich offene Kirchen.“

Das Leid öffnet den Blick
Kirche habe äußerlich ihre stärksten Impulse erhalten in den größten Krisen, so Kock. „Unter dem Druck sahen die Christen den Himmel offen. Es ist gerade das Leid, das den Blick öffnet für die Herrlichkeit Gottes. Wenn wir wahrnehmen, was in dieser Welt an Leiden geschieht, werden wir offen für die Werkschau Gottes. Er wird als Anwalt des Friedens unserem Leben neue Perspektiven geben“, schloss Kock. Anschließend würdigte Moderator Bock: „Das war viel mehr als eine Lagebeschreibung.“ Kocks Referat handle davon, was Gott mit uns vor habe, was uns antreibe, dass wir ohne Abgrenzung und Angst handeln sollten

"Was hätte Jesus Dir damit sagen wollen?"
Eine Besucherin vermisst klare Standpunkte in veröffentlichten Papieren der Kirche zu Fragen etwa nach dem globalen Wachstum, wirtschaftlichen Erfolg, der Zerstörung der Welt. Sie könne nicht verhehlen, dass sie an dieser evangelischen Kirche leide. „Mich ärgert auch das ´Wischiwaschi´“, erwiderte der angesprochene Kock. Aber man müsse sich klar machen, dass in solchen Veröffentlichungen zusammengetragene (verschiedene) Auffassungen nichts Dogmatisches hätten, sondern Denkanstöße für bestimmte Anliegen seien. Wer etwa mit kirchlichen Veröffentlichungen nicht einverstanden sei, solle hinschauen, ob nicht doch Nachdenkenswertes drinstehe, gab er einen Tipp. „Ich kann Texte ablehnen, aber trotzdem fragen: Was hätte Jesus Dir damit sagen wollen?“

Die Kritik von anderen
Eine Andere wollte von Kock wissen, wie er zu dem Vorwurf stehe, Kirche habe sich von ihren Kernkompetenzen ab- und der Politik zugewandt. „Aber was immer von der Kanzel gesagt wird, ist politisch, führt stets auch eine politische Dimension mit sich“, stellte Kock fest. Ein großer Teil der Leiden werde von Menschen verursacht. „Auch da haben wir als Kirche unsere Stimme zu erheben.“ Er sei kein Parteipolitiker, trotzdem treffe er in Predigten politische Aussagen. Diese Kernkompetenz veranlasse uns, über den Horizont hinauszublicken. „Es geht schon um Austausch, nicht nur um ein Zusammenwirken von Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Talenten, sondern auch zwischen den Kirchen“, konkretisierte Kock auf Nachfrage, was es bedeute, Gemeinde in der Welt zu sein. Wir benötigten das Korrektiv, die Kritik der anderen. „Wir leben in einer Gemeinschaft, wo man das Wort hört, gemeinsam zu sprechen und zu handeln versucht.“

Frühzeitig den Diskurs führen
„Warum ist es so schwer, eine Gemeindekirche zu sein?“ fragte ein pensionierter Gemeindepfarrer in die Runde. Es sei auch dem Gestaltungsproblem geschuldet, dass Pastoren zuweilen als Hohepriester auftreten respektive empfunden würden. „Geben wir mit unserer Gestaltung ein gutes Zeichen an die katholische Kirche?“ fragte er provokant. Kock zeigte sich „froh, dass sich unsere Kirche von der Taufe ableitet, nicht von der Weihe des Bischofs“. Das führe dazu, dass der Pfarrerin, dem Pfarrer widersprochen werden könne. „Und das ist positiv.“ Andererseits steige bei Amtsinhabern das Machtbewusstsein. „Als Pfarrer muss ich Verantwortung abgeben“, forderte er. Und es stelle sich grundsätzlich die Frage, wie Menschen noch mehr einbezogen werden könnten. „Wir brauchen eine partizipatorische Kirche, in der auch über komplizierte Fragen frühzeitig ein Diskurs geführt werden kann und alle mitsprechen können.“

Noch bis zum 30. Juni ist Altpräses Manfred Kock zum Thema "Räume der Freiheit – Christsein im 21. Jahrhundert" jeweils montags nach der 10-Minuten-Andacht im Gemeindesaal der AntoniterCityKirche zu hören.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich