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Protestanten – damals und heute

Die Namen „Lutherkirche“ oder „Melanchthonkirche“ für evangelische Gotteshäuser sind bundesweit recht häufig anzutreffen. Doch „Reformationskirchen“ sind eine Rarität. Dr. Bernhard Seiger, Superintendent des Kirchenkreises Köln-Süd, hat in Deutschland gerade einmal zehn gezählt. In Köln steht immerhin eine von ihnen, und zwar in Marienburg.

Ein passender Ort also für die erste größere Veranstaltung anlässlich des Reformationsjahres, meinte Dr. Seiger, als er dortselbst kürzlich rund 50 Gäste zur Eröffnung der Wanderausstellung „500 Jahre Reformation in Köln und Region“ begrüßen konnte, zu denen auch Altpräses Manfred Kock und seine Ehefrau gehörten.

14 mannshohe Tafeln
Der Ort war auch deshalb gut gewählt, weil Bayenthal die Gemeinde des Superintendenten ist, der als Beauftragter des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region für das Reformationsjubiläum maßgeblich am Inhalt und am Konzept der Wanderausstellung mitgewirkt hat. In Zusammenarbeit mit Professor Otto Oberegge, Presbyter in Junkersdorf, mit dem er sich „einige Sparringskämpfe über Linien und Details geliefert“ hat, mit dem Grafiker Martin Bierbass, dem Archivar Christian Parow-Souchon und der Germanistin Angelika Knapic vom Amt für Presse und Kommunikation sind 14 mannshohe Tafeln entstanden, auf denen die Geschichte der Protestanten in Köln, dem Rheinisch-Bergischen Kreis und dem Erftkreis in chronologischer Folge dokumentiert sind. Im Reformationsjahr können sie kostenlos für je eine Woche von Gemeinden, Schulen, Institutionen oder Einrichtungen ausgeliehen werden.

Locker im Kirchraum verteilt
In der Reformationskirche als ersten Ausstellungsort konnten die Besucherinnen und Besucher schon einmal miterleben, wie so etwas aussehen kann. Die Tafeln waren locker im Kirchenraum verteilt, nach einer Einführung durch Superintendent Seiger und feierlichen Klängen von Kantor Samuel Dobernecker auf der komplett neu restaurierten Orgel zogen die Gäste von Tafel zu Tafel, blieben mal länger, mal nur für kurze Zeit stehen – je nachdem, wie sehr die jeweiligen Bilder und die erklärenden Texte das Interesse geweckt hatten.

Ausgestattet mit einem Glas Sekt oder Wasser begaben sich die Besucher von einer Geschichte zur nächsten.

„Heimliche Gemeinden“ in Köln
Da geht es um die frühen Reformationsversuche des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied im erzkatholischen Köln, das, so Bernhard Seiger, „ja nicht unbedingt ein Zentrum der Bewegung war.“ Das zeigt die Leidensgeschichte von Adolf Clarenbach und Peter Fliesteden, die in Köln als Ketzer auf dem Scheiterhaufen landeten, ebenso wie die „heimlichen Gemeinden“, die in Kölner Wohnzimmern zusammenkommen mussten: Weil den Protestanten die freie Religionsausübung in der Domstadt lange verboten war. Für öffentliche evangelische Gottesdienste musste man sich schon nach Bachem, Frechen, Bedburg oder ins rechtsrheinische Mülheim begeben, das damals noch nicht zu Köln gehörte.

Evangelische als beachtliche Größe
Die Lage änderte sich erst, als Napoleons Truppen 1794 einmarschierten und vollends, als die protestantisch geprägten Preußen die Herrschaft am Rhein übernahmen. Religiöse Minderheiten wie die Protestanten aber auch die Juden konnten sich entfalten, dem Aufstieg der Evangelischen als beachtliche Größe im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben der Stadt stand nun nichts mehr im Wege. Ablesbar ist das an den zahlreichen Gemeindegründungen im 19. Jahrhundert, aber auch viele Vereine und Stiftungen etwa zur Hilfe für Waisen, Wöchnerinnen oder alte Gemeindeglieder wurden ins Leben gerufen.

Irrlehren des Nationalsozialismus
Die Tafeln verschweigen nicht, wie anfällig die Kölner Protestanten für die Irrlehren des Nationalsozialismus waren – optisch auch erkennbar an einem Farbwechsel der Tafeln, die dazu im Hintergrund von Rot ins Schwarze übergehen. Aber auch die Einmischung in die Diskussionen nach 1968 wird über die Kölner Kirchentage, die Person Dorothee Sölles und das „Politische Nachtgebet“ dargestellt. Die Erfolge in der Ökumene werden gewürdigt. Doch ebenso wenig sind die aktuellen Schrumpfungsprozesse der Kirchengemeinden ausgespart.

Ideal für Jugendgruppen und Konfirmanden
„Es fehlt natürlich Vieles: Wir konnten nicht die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den fünf Jahrhunderten behandeln, das wäre zu umfangreich geworden“, sagte Superintendent Seiger. Auch hätten nicht alle 58 derzeit zum Kirchenverband gehörenden Gemeinden berücksichtigt werden können, schon gar nicht deren vielfältiges Engagement in der Kinder- und Jugendarbeit, für bedürftige Menschen, für Senioren oder Flüchtlinge.
In diesen „Lücken“ sieht der Superintendent aber auch das Potenzial der Ausstellung, die zahlreiche Anregungen gebe und Themen anschneide. „Sie ist ideal für Jugendgruppen, für Schulklassen oder Konfirmanden zum Beispiel. Man kann Themen wie der Rolle von Frauen in der Kirche aufgreifen oder sich eingehender mit einer Figur wie Dietrich Bonhoeffer beschäftigen. Oder man geht der Frage nach, wie sich die eigene Gemeinde im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte verändert hat.“ Wer entsprechende Veranstaltungen in einem Rahmenprogramm zur Ausstellung anbieten möchte, finde auf der Homepage des Kirchenverbandes die Namen kompetenter Referenten zu einer Vielzahl möglicher Themen.

Beständige Reformation der Kirchen
Bislang, berichtete Dr. Bernhard Seiger, seien schon mehr als ein Dutzend Anfragen für die Wanderausstellung eingegangen, unter anderem wird sie im Kölner Rathaus zu sehen sein. Und allen, die sie besuchen, werde durch die Betrachtung der wechselvollen Geschichte der Protestanten in Köln und Umgebung eines sicher nicht entgehen: „Die große Bedeutung der Reformation – und wie wichtig es ist, dass sich die Kirchen beständig weiter reformieren.“

Ausstellung kann ausgeliehen werden
Wer ebenfalls daran interessiert ist, die Austellung in die eigene Kirche, ins Gemeindehaus, in die Schule oder an einen anderen Ort zu holen, findet alle Informationen dazu auf der Internetseite zum Reformationsjubiläum.

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans