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Professor Hartmut Kreß zur „Freiheit und Selbstbestimmung am Ende des Lebens“

Das viel diskutierte Zeitungs-Interview des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, aktuelle Gesetzesänderungen in Belgien, die Sterbehilfe erleichtern, deutsche Politiker, die Sterbehilfe-Organisationen generell verbieten möchten: Die Debatte ist voll entbrannt, deshalb hatte die Melanchthon-Akademie Hartmut Kreß, Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, Abteilung Sozialethik, zu einem Abend im Rahmen der Reihe „RheinReden live“ eingeladen. Er stand unter der Überschrift „Sterbehilfe – Freiheit und Selbstbestimmung am Ende des Lebens?“

Selbstbestimmung des Menschen
In seinem Vortrag machte Professor Kreß deutlich, dass er die Haltung der christlichen Kirchen, wonach Selbsttötung eine Sünde ist, weil das Leben des Menschen Eigentum Gottes sei, nicht teile. „Der Stellenwert der Selbstbestimmung des Menschen ist zu betonen“, forderte Kreß in Berufung auf Kant, für den der freie Gebrauch der Vernunft und damit das Recht der freien Entscheidung die Menschenwürde ausmacht. Und dazu gehöre auch die freie Entscheidung über das eigene Sterben und den eigenen Tod. Schließlich werde auch schon lange nicht mehr behauptet, das grundgesetzlich verbürgte Recht auf Leben bedeute auch die Pflicht zu leben. Da habe sich sogar im Umgang der Kirchen mit der Bestattung von Selbstmördern einiges geändert.

Sterbehilfe für Demenzerkrankte
Der Sozialethiker akzeptiert auch nicht die Einwände von Politikern und Vertretern der Bundesärztekammer, wonach die Möglichkeiten der schmerzlindernden Sterbebegleitung inzwischen so weit fortgeschritten seien, dass ein Tod in Würde garantiert werden könne. Zunächst bestehe hierzulande noch keine annähernd flächendeckende Versorgung mit palliativmedizinischen Einrichtungen, außerdem gebe es immer noch genug Fälle, in denen die schmerzlindernde Behandlung aus medizinischen Gründen nicht wirke. Aber auch Patienten, die von Demenz bedroht sind, soll nach Meinung des Bonner Professors Sterbehilfe zugestanden werden, wenn sie die letzten Phasen der Krankheit und die vollständige Abhängigkeit von Pflegekräften nicht erdulden möchten.

Unterscheidung zwischen „aktiv“ und „begleitet“
Wichtig ist für Hartmut Kreß die Unterscheidung zwischen aktiver Sterbehilfe durch einen Arzt, der dem Patienten tödliche Medikamente verabreicht, und dem „begleitenden Suizid“. Während der Arzt im ersten Fall das Subjekt der Tötungshandlung ist, soll sich im zweiten Fall der Patient das vom Arzt bereitgestellte Medikament selbst verabreichen (ein schwieriger Grenzfall seien schwerstkranke Patienten, die dazu körperlich nicht in der Lage sind). Diese von Kreß befürwortete Form des „begleiteten Suizids“ ist in Deutschland – anders als die aktive Sterbehilfe – heute nur noch in Ausnahmefällen strafbar, während ihn die Bundesärztekammer immer noch strikt ablehnt.

Kein Druck auf Schwerkranke
Kreß plädierte dafür, dass der Staat konkrete rechtliche Rahmenbedingungen für diese Art der Sterbehilfe schafft – wie es etwa um US-Bundesstaat Oregon bereits geschehen sei. Danach muss der Patient unheilbar krank sein und seine Entscheidung freiwillig treffen, er muss über alle möglichen Alternativen – etwa die Palliativbehandlung – aufgeklärt werden, und es soll eine ausreichende Bedenkzeit zwischen Beratung und Selbsttötung bleiben. Auszuschließen sei in jedem Fall, dass Dritte – Angehörige oder Ärzte – Druck auf den Schwerkranken ausüben sowie die Beauftragung kommerziell arbeitender Sterbehilfe-Organisationen.

Medikament nur „zur Beruhigung“?
Den kritischen Fragen aus den Reihen der rund 20 Besucher stellte sich der Professor. Eine Explosion der Suizidfälle würde solch eine begleitete Selbsttötung wohl nicht mit sich bringen: Zahlen aus Oregon belegten, dass ohnehin nur in der Hälfte der Fälle von dem verabreichten Medikament Gebrach gemacht werde – alle übrigen Patienten hielten es nur „zur Beruhigung“ bis zum Ende bereit. Auf jeden Fall aber könne man so den „grausamen Selbstmorden“, etwa durch den Sprung von einem Gebäude, vorbeugen, auch dem nicht akzeptablen Suizid: Tourismus zu Sterbehilfen-Organisationen in der Schweiz. Kreß glaubt auch nicht, dass eine transparente Regelung des „begleiteten Suizids“ zu einem leichtfertigeren Umgang mit dem menschlichen Leben – und speziell dem Leben von behinderten Menschen – führen würde. Auch in den Niederlanden und in Belgien, wo diese Form der Sterbehilfe bereits eingeführt ist, werde die Grenze von der Tötung auf Verlangen zur Tötung ohne Verlangen strikt eingehalten.

Man müsse wachsam bleiben
In den Zusammenhang eines allgemeinen Werteverfalls will Hartmut Kreß die Diskussion um die Sterbehilfe ohnehin nicht gerückt sehn. „Gerade im Umgang mit behinderten Menschen hat sich viel getan, da ist man allgemein wesentlich sensibler geworden, wie die UN-Behindertenkonvention zeigt. Obwohl die natürlich längst noch nicht überall in ausreichendem Maße umgesetzt wird. Was den Umgang mit Werten angeht, bin ich keineswegs pessimistisch.“ Wohl aber werde man auch nach einer eventuellen Reglementierung des „begleiteten Suizids“ wachsam bleiben und möglicherweise juristisch nachjustieren müssen: Nicht nur, wenn es um drängende Angehörige oder kommerzielle Sterbehilfeorganisationen gehe. Auch bei an sich altruistisch eingestellten Ärzten bestehe die Gefahr, dass sich irgendwann eine „Routine“ im Umgang mit der Selbsttötung einstellt: „In den Niederlanden hat es Fälle gegeben, bei denen zwischen der Beratung und der Selbsttötung gerade zwei Tage lagen, das ist zu wenig.“

Verdrängung sei nicht hilfreich
Professor Kreß forderte aber angesichts der rasanten medizinischen Entwicklung, die jetzt schon durch Apparate die Aufrechterhaltung der vegetativen körperlichen Funktionen erlaubt, wenn der Patient längst keine Chance mehr hat, das Bewusstsein wiederzuerlangen, zu einer Beschäftigung mit dem Thema auf. Verdrängung sei nicht hilfreich und Patientenverfügungen seinen jetzt schon legal, in den der Abbruch einer Behandlung in aussichtlosen Fällen verlangt wird. „Und sie erleichtern den Angehörigen oder dem Arzt die Entscheidung.“ Den Arzt würde auch die Frage nach dem tödlichen Medikament nicht in eine moralische Bredouille bringen, wie beim Schwangerschaftsabbruch sei ihm freigestellt, ob er das moralisch verantworten wolle.

„Kirchen sollten Haltung ändern“
Wenig optimistisch zeigte sich Hartmut Kreß aber, als er von Dr. Martin Horstmann, Studienleiter der Melanchthon-Akademie, gefragt wurde, welchen Beitrag zur aktuellen Diskussion er sich von den Kirchen wünsche. „Bei allen problematischen sozialethischen Fragen antwortet die katholische Kirche reflexhaft mit einem deutlichen ’Nein’, die evangelische Kirche mit einem etwas weniger deutlichen ’Nein’“, so Kreß. Erst wenn es sich zeige, dass die Gesellschaft auch ohne Einwilligung der Kirchen ihre Normen ändere – etwa im Fall der gleichgeschlechtlichen Beziehungen – ändere sich irgendwann auch die Haltung der Kirchen.

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans