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Presbytertag in Hilden

„Systemisches Konsensieren“ – um Himmels willen, was ist das denn? Wer sich nicht gleich von dem Begriffsungetüm abschrecken lässt, erfährt, dass sich dahinter eine Form der Entscheidungsfindung verbirgt, eine bedenkenswerte Alternative zu unserer klassischen Abstimmungsmethode, der Mehrheitsentscheidung. Bei Fragestellungen, für die es unterschiedliche Lösungsvorschläge gibt, macht demnach nicht der mit den meisten Pro-Stimmen das Rennen, sondern derjenige, der den geringsten Widerstand erzeugt. Damit das messbar wird, müssen alle, die an der Entscheidungsfindung beteiligt sind, jeden einzelnen Vorschlag differenziert bewerten: von 0 (kein Widerstand) bis 10 (maximaler Widerstand).

Ziel der Prozedur ist es, am Schluss eine Entscheidung zu finden, mit der alle Beteiligten einigermaßen gut leben können. Soll bei Verhandlungen zwischen Eltern und Kindern recht erfolgreich sein, aber auch hervorragend funktionieren, wenn die Großen unter sich sind – auf Presbyteriumssitzungen zum Beispiel. Deshalb stellte Dr. Martin Horstmann, Studienleiter an der Melanchthon-Akademie des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region, das „systemische Konsensieren“ im Rahmen eines Workshops auf dem vierten Tag der Rheinischen Presbyterinnen und Presbyter in Hilden vor.

Unter dem Motto „Ihr seid der Hoffnung Gesicht“ hatte die Evangelische Kirche im Rheinland die ehrenamtlichen Mitglieder der Leitungsgremien ihrer 704 Kirchengemeinden zwischen Niederrhein und Saarland eingeladen. Dieser Tag findet traditionell alle vier Jahre statt, und zwar jeweils ein Jahr nach der Presbyteriumswahl. Von den rund 8000 Presbyterinnen und Presbytern in der rheinischen Kirche waren etwa 500 der Einladung ins Evangelische Schulzentrum Hilden gefolgt. Um Information, Austausch und Krafttanken sollte es in mehr als 40 Workshops gehen, die zu sieben übergeordneten Themenkomplexen wie „Glauben mit allen Sinnen“, „Gemeinde von morgen“ oder „Finanzen und Co“ angeboten wurden. Um „Personalauswahlverfahren“ ging es in einem Workshop, in anderen konnten die Teilnehmer lernen, wie man mit Fundraising die Gemeinde stärkt oder mit Social Media junge Leute anspricht. Und Pfarrer Wolfram Behmenburg bot die kabarettistische Lesung „Djihad in Wittenberg“ an.

Dr. Martin Horstmann war von der Atmosphäre in seinem Workshop „Entscheidungen, mit denen alle zufrieden sind“ sehr angetan. In Rollenspielen wurden schwierige Situationen durchgespielt, etwa wenn ein oder zwei Presbyter ganz besonders unglücklich mit einem Lösungsvorschlag sind, der ansonsten auf wenig Widerstand stößt – da hat auch das „systemische Konsensieren“ seine Grenzen.

„Oft hört man ja, dass die Stimmung in den Gemeinden nicht so gut sei, dass viel gejammert werde – aber das konnte ich nicht feststellen. Die Teilnehmer waren sehr an Neuem interessiert, es ging ihnen darum, wie man ganz konkret bestehende Strukturen verbessern kann – was aber nicht heißt, dass man mit dem jetzigen Stand völlig unzufrieden wäre.“ Eigens nachgefragt hat er zwar nicht, aber sein „Bauchgefühl“ sagt Martin Horstmann, dass etwa ein Drittel der 25 Workshop-Teilnehmer vor einem Jahr neu gewählt wurden, bei den übrigen Presbyterinnen und Presbytern handelte es sich demnach um erfahrene Kräfte.

Selbstverständlich war unter den Teilnehmern in Hilden, wie derzeit überall, eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der unruhigen Weltlage zu spüren. Und auch die finanzielle Situation der evangelischen Kirche, die sich in den kommenden Jahren gewiss nicht verbessern wird, drückte die Stimmung ein wenig. Man war sich einig, dass dies häufig von den eigentlich wichtigen Themen ablenke. Manfred Rekowski sprach diese Stimmungslage im Abschlussgottesdienst an und machte den versammelten Presbyterinnen und Presbytern Mut: „Wir lassen uns nicht von der Angst lähmen oder von Angst unser Handeln bestimmen“, sagte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Was auch bedeute, dass sich die Gemeinden nicht auf ihre eigenen Probleme konzentrieren dürften. In seiner Predigt bezog sich Manfred Rekowski auf Matthäus 5,13-16: „Salz ist nicht Salz für sich, sondern Würze für die Speise. Licht ist nicht Licht für sich, sondern Orientierungslicht für andere. So sind die Jünger nicht für sich, sondern für die Erde da. So ist die Gemeinde nicht für sich, sondern für die Welt da.“ Für die Kinder also, für Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, für Fremde und Flüchtlinge, für die Alten. „Wir lassen uns nicht davon abbringen, eine Kultur der Barmherzigkeit zu fordern und sie in unseren Gemeinden zu leben“, so der Präses.

Text: Hans-Willi Herrmans
Foto(s): Sabine Eisenhauer