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Preisverleihung mit aktuellem Hintergrund: Ausgezeichnet wurde die „Aktion Zivilcourage“ aus Pirna mit der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe

Seit 1981 verleiht der evangelische Kirchenkreis Köln-Mitte die Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe, aber selten hatte die Preisverleihung eine solche Aktualität wie in diesem Jahr. Ausgezeichnet wurde die „Aktion Zivilcourage“ aus Pirna in der Sächsischen Schweiz. Die engagiert sich seit 1998 gegen Rassismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, die angesichts des bevorstehenden sogenannten „Anti-Islamisierungskongresses“ der rechtspopulistischen Bewegung Pro Köln eine ganz neue Bedeutung in der Domstadt bekommen.


„Quer stellen gegen braune Soße“
Auf ihrer Herbstsynode 2007 entschieden sich die Synodalen für die „Aktion Zivilcourage“ als Preisträger der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe. Damals war von dem Kongress noch keine Rede. Jetzt aber wurde die Preisverleihung in der Kulturkirche Köln an der Siebachstraße zu einer willkommenen Gelegenheit, Position gegen rechtes Gedankengut zu beziehen. „So etwas wünschen wir uns für unsere Stadt“, betonte der Stellvertretende Stadtsuperintendent Rolf Domning unter dem Beifall des Publikums. „Die Rechtspopulisten versuchen, aus den Ängsten der Bevölkerung Kapital zu schlagen“, sagte Domning und erklärte, dass gerade die „Ausgrenzung von Andersdenkenden, Andersgläubigen und anders Aussehenden ein Wahn ist, gegen den sich Georg Fritze immer wieder entschieden gewehrt hat“. Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes forderte die Anwesenden auf, „sich quer zu stellen gegen die braune Soße“. Und auch die übrigen Künstler in der Kulturkirche Köln, Klaus der Geiger, Nick Nikitatis, der erste schwule Männerchor „Triviatas“, die Gruppe „Brings“ und Wolfgang Niedecken, zunächst als Laudator, dann als Musiker, machten keinen Hehl aus ihrer Ablehnung des „Kongresses“ und des damit verbundenen Gedankengutes. Sie postulierten eine Renaissance der „Arsch huh“-Kampagne und appellierten an einen breiten Protest aus der Bevölkerung. „Glücklicherweise gibt es solche Initiativen, die sich gegen Rassismus engagieren“, lobte der BAP-Frontmann die Haltung der jungen Menschen aus Pirna.

Netzwerke und Kultur gegen Rechts
Rund 60 Menschen sind es derzeit, die sich auf vielfältige Weise in dem 40 000 Einwohner zählenden Städtchen Pirna für Toleranz und ein friedliches Miteinander einsetzen. Gegründet wurde die „Aktion Zivilcourage“ 1998 von jungen Menschen, die sich mit zunehmenden Wahlerfolgen der NPD in Sachsen und einer wachsenden Gewaltbereitschaft von Skinheads nicht länger abfinden wollten. „Die Skins haben die Gegend regelrecht terrorisiert“, erzählte Agnes Muche (20), Vorsitzende der Aktion, die gemeinsam mit Daniela Dimova (15) den Preis entgegen nahm. Das „Gegenmittel“: intensive Netzwerkarbeit, Aufklärung, Beratung, internationale Jugendbegegnungen und vor allem kulturelle Angebote. „Mit Lesungen und Theateraufführungen erreichen wir viele Menschen, vor allem aber mit Musikveranstaltungen“, so Muche. „Das ist ein Feld, das stark von den Neonazis beansprucht wird und wo wir Gegenpositionen besetzen wollen“, ergänzte Geschäftsführer und Mitinitiator Sebastian Reißig (30). Beim „Markt der Kulturen“, einem Straßenfest, bringt die „Aktion Zivilcourage“ rund 10 000 Menschen auf die Beine. Finanziert wird die Aktion zur Hälfte durch Fördermittel des Freistaates Sachsen, der Rest wird hauptsächlich durch Spenden abgedeckt.

Gedächtnisgabe ist mit 10.000 Euro dotiert
Über die Auszeichnung aus Köln freuten sich die Gäste aus Sachsen ungemein. „Es ist etwas Besonderes für uns, dass diese Auszeichnung von so weit weg kommt. Es zeigt, dass wir eine hohe Ausstrahlung haben, wenn Menschen in Köln unsere Arbeit wahrnehmen und so hoch einschätzen“, erklärte Muche. „Für uns ist es natürlich eine große Motivation, weiter zu machen“, sagte Reißig. Die Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe ist in diesem Jahr erstmals mit 10.000 Euro dotiert, doppelt so viel wie in den vergangenen Jahren. Ein Betrag, der für die Aktion „nicht alltäglich ist“, so der Geschäftsführer. Über die Verwendung sei noch nicht entschieden, „aber wir haben noch viel vor in diesem Jahr“, kündigte Reißig an. So werde am 9. November eine multimediale Ausstellung zum Thema Anne Frank eröffnet.

„Viele sind aufgewacht“
Mit der „Aktion Zivilcourage“ hat der evangelische Kirchenkreis Köln-Mitte nicht nur eine mutige, sondern auch eine erfolgreiche Initiative ausgezeichnet. „Es hat sich viel gebessert“, stellte Sebastian Reißig fest. Ein breites Netzwerk aus Politik, Verwaltung, Schulen und privaten Initiativen sei entstanden, das sich wirkungsvoll für Toleranz einsetze. „Viele sind aufgewacht und schauen jetzt hin, wenn Ausländer beleidigt oder angepöbelt werden. Die Zahlen der Gewalttaten sind deutlich zurückgegangen“, sagte er. „Es hat eine Klimaveränderung stattgefunden“, pflichtete ihm Agnes Muche bei. Ein Erfolg, den sich auch viele Kölner und Kölnerinnen von den geplanten Gegenaktionen am Wochenende erhoffen.

Erinnerung an den „roten Pfarrer“
Mit der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe erinnert der evangelische Kirchenkreis Köln-Mitte an den als „roter Pfarrer“ bekannten Geistlichen. Fritze wurde 1874 in Magdeburg geboren und kam 1916 als Pfarrer in die Evangelische Gemeinde Köln. Die letzten Jahre arbeitete er in der Kartäuserkirche in der Südstadt. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts setzte er sich für die Arbeiterbewegung ein, später unterstützte er Verfolgte des Nazi-Regimes. Seine unbeugsame Haltung war vielen in der Gemeinde ein Dorn im Auge: 1938 sprach sie ihm ein Berufsverbot aus, Anfang 1939 starb Georg Fritze an den Folgen eines Herzschlags.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Jörg Fleischer