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Preisträger Chu Yiu Ming: „Ich biete Gott mein Leben an, um der Bevölkerung zu dienen“

Als „Glöckner“ bezeichnete sich Reverend Chu Yiu Ming, als jemand, der einen Notruf abgibt, um die Menschen vor der drohenden Katastrophe zu warnen. Als der Menschenrechtsaktivist und baptistische Pfarrer aus Hongkong in der Kartäuserkirche die Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe erhielt, wählte Rolf Domning eine emotionalere Charakterisierung: „Reverend Chu Yiu Ming ist jemand, der immer Tränen in den Augen hat“, zitierte der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte einen Weggefährten des Geehrten, „und jemand, der die Kraft für sein Engagement aus dem Evangelium bezieht.“

Die Verleihung fand im Rahmen eines Festakts statt, bei dem zunächst Bürgermeister Andreas Wolter seinen Respekt vor der Lebensleistung von Reverend Chu Yiu Ming bekundete. Sein Einsatz für das freie Wahlrecht, für politische und soziale Gerechtigkeit, wie etwa während der „Umbrella Revolution“(Regenschirm-Revolution, d. Red.) in Hongkong 2014/2015 sei „ein lebendiges Beispiel für junge Menschen, aber auch für uns alle.“ Er sei ein würdiger Träger der Georg-Fritze-Gedächtnisgabe, sagte Wolter an der früheren Wirkungsstätte des Pfarrers und Pazifisten. Pfarrer Georg Fritze (1874 – 1939) hatte sich gegen das Dritte Reich gestellt und wurde auf Betreiben der „Deutschen Christen“ im Presbyterium der Evangelischen Gemeinde Köln des Amtes enthoben.

Köln und Hongkong
Dr. Kai Horstmann, Pfarrer des Gemeindediensts für Mission und Ökumene (GMÖ) in der Region Köln/Bonn sprach in seiner Laudatio die gemeinsamen Themen der Rheinischen Landeskirche und der Chai Wan Baptist Church in Hongkong an: Armut und Migration beispielsweise, oder die Herausforderung durch eine älter werdende Gesellschaft. Mission sei hier wie dort als Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse zu verstehen. Ohnehin verbinde Köln und Hongkong ein wichtiges Anliegen: „Das Ringen um bürgerliche Freiheiten hat auch hier immer eine große Bedeutung gehabt.“

Einsatz für Aids-Kranke und Obdachlose
Aus eigener Anschauung kennt die zweite Laudatorin, Dr. Claudia Währisch-Oblau von der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal die Verhältnisse in Chu Yiu Mings Wirkungskreis: Sie hatte ab 1988 neun Jahre lang in Hongkong gelebt und gearbeitet. Das Leben dort werde fast ausschließlich von ökonomischen Interessen bestimmt, erzählte die Pfarrerin, gerade hier sei etwa Chu Yiu Mings Einsatz für Aids-Kranke und Obdachlose unersetzlich. Auch dessen Kampf für die Demokratie konnte sie bestens nachvollziehen. Ohne den Reverend zu kennen, so Währisch-Oblau, habe sie nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens eine Zeitlang am selben Ziel gearbeitet, der Unterstützung verfolgter Studenten bei der Flucht nach Hongkong und dann weiter in andere Länder. Nach Deutschland und speziell Nordrhein-Westfalen zum Beispiel.

Zum ersten Mal in Deutschland
In seiner Dankesrede erinnerte sich Reverend Chu Yiu Ming, der mit seiner Frau zum ersten Mal in Deutschland zu Gast war, an diese Zeit, als er zwischen Konsulaten und Botschaften „hin und her gerannt“ war, um Asyl für die Aktivisten zu beantragen. Er nannte den 4. Juni 1989 „das dunkelste Kapitel der chinesischen Geschichte“. Chu Yiu Ming, der 1944 geboren wurde, beschrieb auch die Missernten und Hungerkatastrophen in der Folge von Mao Zedongs menschenverachtender Politik, und den Terror der Kulturrevolution: Missstände, die ihn mit einigen Verwandten Ende der 60er Jahre nach Hongkong brachten, wo er einen Entschluss fasste: „Ich biete Gott mein Leben an, um der Bevölkerung – insbesondere den sozial Benachteiligten – zu dienen.“

Mit Liebe, aber auch mit zivilem Ungehorsam
Als Teil seiner Aufgabe, „das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat zu bezeugen“ sieht Chu sein Engagement als Mitbegründer der Bürgerrechtsbewegung „Occupy Central with Love and Peace“: Mit Frieden und Liebe, aber auch mit zivilem Ungehorsam wollen die Aktivisten für faire und freie Wahlen bei der Bestimmung des nächsten Hongkonger Regierungschefs 2017 kämpfen. Bislang behält sich die KP Chinas eine Auswahl der Kandidaten vor. Ende 2014 hatten junge Leute daher nach einem Plan von Occupy Central die Finanz- und Regierungsbezirke der Stadt besetzt und wurden von der Polizei mit Schlagstöcken und Pfefferspray von der Polizei attackiert. Der Reverend unterbrach seine Rede und zeigte mit den eigens mitgebrachten Schirmen, wie man sich wirkungsvoll gegen Pfefferspray und Tränengas schützten kann – daher der Name „Regenschirm-Revolution.“

Warten auf die Verhandlung
Am 27. Januar 2015 schließlich waren Reverend Chu Yiu Ming und die beiden anderen Gründer von Occupy Central verhaftet worden und warten nun zusammen mit 216 anderen Aktivisten auf ihre Verhandlung. Für ihn ein Rückschlag, keineswegs das Ende: „Solange ich lebe, werde ich weiterhin die Glocken schlagen.“

Gegen Diktatur und Gewalt
Seit 1982 verleiht der Kirchenkreis Köln-Mitte alle zwei Jahre die Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe als Ehrenpreis an Menschen und Organisationen, die sich dem Kampf gegen Diktatur und Gewalt und der Unterstützung der Opfer von Gewalt verschrieben haben. Fritze hatte bereits 1931 zum Thema Kirche und Nationalsozialismus Stellung bezogen: „Die Aufgabe der Kirche ist nicht das Dritte Reich, sondern das letzte Reich, das Reich Gottes!“

Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert.

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans