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Predigt über Freiheit und Verantwortung in Köln-Mülheim

Die Ausstellung „Freiheit – na klar – Ordnung – wozu?“ in der Friedenskirche erinnert an die erste „Provincialsynode“ am 24. Juli 1612 in Mülheim. „Freiheit“ war auch das Thema der Predigt, die Kirchenrat Dr. Volker A. Lehnert in einem Gottesdienst des Rahmenprogramms hielt.

Vergleich mit der Straßenverkehrsordnung
„Die Evangelische Kirche erhielt 1612 die Freiheit, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln“ betonte Lehnert zum Auftakt seiner Predigt über 2. Korinther 3, 17: „Der Herr ist der Geist, wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ . Er erinnerte an die Grundlagen des Christentums und des Judentums, den „Urknall für den Monotheismus“ nämlich den Exodus, die Befreiung Israels aus der ägyptischen Sklaverei. „Menschen, die versklavt waren von einem Menschen, der sich selbst für Gott hielt“. Nach der Knechtschaft war das Volk Israel alleine sich und Gott gegenüber verantwortlich, aber dieser Zustand hielt nicht lange an: „Kaum kamen die Israeliten frei, bekamen sie auch schon eine Ordnung“ in Gestalt der Thora, des jüdischen Gesetzbuches. Hier scheute Lehnert den Vergleich mit der Straßenverkehrsordnung nicht: „Das ist das autoritärste Gesetzesprodukt, das die Bundesrepublik hervorgebracht hat“.

Eine einfache Maxime gibt es nicht
Wie in der Straßenverkehrsordnung findet in der Thora ein Fehler erst einmal keine Gnade, aber garantiert, dass alle heil nach Hause kommen. Ob in der Thora oder in der Straßenverkehrsordnung – die rigorose Ordnung schützt die Freiheit aller, zumindest zu Zeiten des Alten Testaments. Zur Zeit des Neuen Testaments war die Gewichtung da schon verschoben, denn den Pharisäern ging die Ordnung so sehr über alles, dass sie das Wohl des Menschen nicht mehr im Blick hatte. Die Heilung Kranker am Sabbat, die die Pharisäer empörte, diente da als plastisches Beispiel. Für heutige Zeiten zog Lehnert das Feuerwehrauto, das eine rote Ampel überfährt, als Vergleich heran. „Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig“ (2. Korinther 3, 6) – auch Dietrich Bonhoeffer, der Gebote brach, um den Widerstand gegen das Naziregime zu unterstützen, handelte, so Lehnert, danach. „Eine einfache Maxime gibt es da nicht“, räumte er ein.

Freiheit als Fluch und Segen
Unfreiheit, so Lehnert, bedeute heutzutage im Deutschland des 21. Jahrhunderts eher eine Unfreiheit von sich selbst. Biblische Parallele liefere der Römerbrief (3,7). „Denn ich tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse, das tue ich“. Was wir wirklich wollen, was wir wirklich für richtig halten, konstatierte Lehnert, „tun wir oft nicht“. Süchte, destruktive Verhaltensmuster oder Konsumzwang stehen dem Willen entgegen und hinderten den Menschen daran, zu tun, was Kopf, Herz und Bauch für richtig befinden. An dieser Stelle verwies Lehnert auf den Existentialisten und Atheisten Jean Paul Sartre: „Der Mensch ist zur Freiheit verdammt“. Ein Christ dagegen habe eigentlich einen unfreien Willen, weil er sich darum bemühe, das zu wollen, was Gott will. Die vielen „Ichs“ stünden dem im Wege, und ein freier Mensch sei letztlich der, der von sich abzusehen lerne – wie der Samariter, der seine Tagesgeschäfte ruhen ließ, um sich um den Überfallenen zu kümmern.

Freiheit als Verantwortung
Die Erkenntnis, selbst frei von Aberglauben und Götzenkult zu sein, bedeute dennoch, Rücksicht auf die zu nehmen, die geistig noch nicht so weit sind. Ein beliebtes Beispiel sei der Verzehr des heidnischen Götzenopferfleisches im 1. Korintherbrief 6. Mit Rücksicht auf die, die in ihrer geistigen Haltung noch nicht „reif“ genug sind, rate Paulus dort zum Verzicht. Die Herkunft der Redewendung „auf Freiersfüßen gehen“ für jemanden, der sich gerade um eine Bindung bemüht, spricht Bände, so Lehnert.
Der Gottesdienst wurde musikalisch begleitet mit Psalmenvertonungen aus den „Vesperae solennes de Confessore“ von Wolfgang Amadeus Mozart, gespielt von der Mülheimer Kantorei und dem „Neuen Orchester“ unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Christoph Spering.

Text: Annette von Czarnowski
Foto(s): Annette von Czarnowski