Seit ziemlich genau einem Jahr ist Stefan Jansen-Haß der neue Vertrauensmann (Bereich Prävention sexualisierte Gewalt) neben Siggi Schneider, der Jugendreferentin und Vertrauensperson beim Evangelischer Kirchenkreis Köln-Süd. Und er ist nicht nur Vertrauensmann, die beiden gestalten ihr Präventionskonzept so, dass sie beide die Schulungen für die Gemeinden im Kirchenkreis durchführen – sowohl die Schulungen der Presbyterien und der Mitarbeitenden, als auch die Schulungen für Jugendliche, entweder im Rahmen von Juleica (Jugendleiter-Card, der bundesweit einheitliche Ausweis für ehrenamtliche Mitarbeitende in der Jugendarbeit) oder als Einzelveranstaltungen. Sie merken, dass dieses Konzept sehr gut ankommt, sowohl bei den Presbyterien als auch bei den Jugendlichen – sie werden im Nachgang an die Schulungen häufig kontaktiert bei Fragen und Unsicherheiten aus dem Bereich Sexualität und zu dem Thema „Prävention sexualisierter Gewalt“.
Sie sind Kontaktpersonen für Kinder und Jugendliche in den Gemeinden, die selbst Opfer, Mitwissende oder Zeuge von sexualisierter Gewalt wurden bzw. deren Eltern, für Haupt-, neben- oder ehrenamtlich Tätige in den Gemeinden, Verantwortliche bei Ferien- und Freizeitmaßnahmen, die eine Vermutung oder einen konkreten Verdacht über sexualisierter Gewalttätigkeiten gegen Kinder und Jugendliche haben und für Gemeindemitglieder, die Fragen bzw. Informationsbedarf zum Thema „sexualisierte Gewalt“ haben.
Im Bereich der Prävention entwickeln sie einen Verhaltenskodex, erarbeiten Schutzvereinbarungen für spezielle Angebote und führen sexualpädagogische Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche durch bzw können in Bildungsangebote von anderen Jugendverbänden, Stadtjugendringen und Informationsstellen („zartbitter Köln“ etc) vermitteln.
Das Doppelinterview mit Stefan Jansen-Haß und Siggi Schneider:
Wie sind Sie zu Ihrer Aufgabe gekommen?
Stefan Jansen-Haß: Ich bin Pfarrer in Brühl. Ich bin wie die Jungfrau zum Kinde zu dieser Aufgabe gekommen, man hat mich ausgesucht. Es wurde eine Vertrauensperson männlichen Geschlechts gesucht – und mein Name ist in diesem Zusammenhang gefallen. Ab diesem Zeitpunkt wird die Sache zur Ehrensache: Denn wenn Jugendliche einem Menschen diese Aufgabe zutrauen, dann musst du einfach dabei sein. Und genau am 1. Januar 2021 ist dann die Berufung erfolgt.
Siggi Schneider: Ich bin seit 2017 Jugendreferentin im Kirchenkreis Köln-Süd und hatte davor eine Ausbildung zur „Insofern erfahrenen Fachkraft im Kinderschutz“ absolviert. Ich habe die ersten Jahre gemeinsam mit Rüdiger Penczek im Vertrauensteam gearbeitet. Stefan kannte ich vorher nur „vom Parkplatz“, das heißt, wir haben uns nur nebenbei mal ausgetauscht. Jetzt arbeiten wir in einem Team, wo die Inhalte sehr sensibel sind und man gleichzeitig sehr offen und auch mal Klartext reden muss. Dafür, dass unser Team zusammengewürfelt wurde, ist es eine unglaublich gute Zusammenarbeit. Ich glaube, wir machen eine gute Arbeit.
Wie gehen Sie vor?
Siggi Schneider: Bei einem Verdacht auf sexualisierte Gewalt gehen wir ins Gespräch, wir hören wir uns alle Seiten der Situation intensiv an und geben anschließend eine Einschätzung zu dem Fall und geben es gegebenenfalls auch an die Polizei weiter. Durch die Schulungen in den Gemeinden lernen uns die Menschen kennen – uns anzurufen ist leichter, weil man uns kennt, als eine anonyme Nummer zu wählen. Wir möchten eine Hilfestellung dazu geben, kritisch auf die eigenen Angebote der Gemeinde zu schauen: Wir möchten ja einen möglichst sicheren Raum für Kinder und Jugendliche schaffen. 100 Prozent Sicherheit kann es leider nicht geben, aber eine größtmögliche Sicherheit.
Stefan Jansen-Haß: Bei diesem Thema gibt es natürlich auch eine größere Hemmschwelle. Du bist an den Punkt gekommen, wo der Schmerz so groß ist, dass du mit jemandem über das, was da passiert ist, reden musst. Wenn du dann eine „gesichtslose“ Telefonnummer anrufen musst, ohne zu wissen, wer am anderen Ende sitzt, ist das sehr schwierig. Wenn wir sagen, wir sind da, ohne die große Welle zu machen, und dass wir gemeinsam darauf schauen können, was passiert ist – dann hilft das nicht nur, es ist das Eintrittstor. Es ist geradezu unerlässlich.
Siggi Schneider: Nach unseren Schulungen whatsappen uns die Jugendlichen auch gerne mal an: „Siggi, können Stefan und du mal vorbeikommen, so dass wir einfach nur über Sex reden können, aber ohne Gewalt?“ Die Jugendlichen möchten sich über das Thema austauschen. Wir sind nicht die Eltern, die Pfarrer, die Lehrer, sondern wir tauschen uns aus – und sind danach auch wieder weg. Das ist für die Jugendlichen ein sehr attraktives Angebot.
Sollte ein Vertrauensteam aus Mann und Frau bestehen?
Stefan Jansen-Haß: Das ist essentiell. Viele Menschen suchen sich sehr bedacht aus, dass sie gerne mit Siggi sprechen wollen.
Siggi Schneider: Aber: Die Jungs sind enttäuscht, wenn Stefan zu manchen Schulungen nicht mitkommt und dann fragen sie: „Warum ist Stefan nicht dabei?“ Mit einem Mann über das Thema „Sexualität“ zu sprechen ist für die Jugendlichen auch sehr gut. Sie möchten sogar über andere Dinge sprechen, z.B. was nach der Schule kommt.
Welche Fragen kommen öfter?
Siggi Schneider: Wir sprechen oft mit jugendlichen ehrenamtlichen Teamern über ihre Rolle – sie müssen mit den Jugendlichen, für die sie bei einer Gruppe oder Freizeit verantwortlich sind, anders umgehen, als wenn sie sich mit anderen Jugendlichen auf einer Augenhöhe bei einer Party treffen. Oder: Wie gehe ich als Pfarrer damit um, wenn sich Teilnehmende bei Ferienfreizeiten in Teamer oder Teamerin verlieben? Da ist der Beratungsbedarf sehr hoch. Pfarrer müssen den Spagat zwischen Seelsorge, Seelsorge-Geheimnis und Verantwortung als Chef für Team und Ehrenamtler schaffen.
Stefan Jansen-Haß: Es geht dabei darum, die eigene Rolle sauber zu klären. Wie trete ich auf? Bin ich Seelsorger oder Seelsorgerin, kümmere ich mich um dich, damit du in deinem Herzen klarkommst, was da passiert ist? Oder trete ich als Chef einer Jugendeinrichtung auf, und muss auch mal knallhart sagen, dass da Dinge gelaufen sind, die nicht ok sind? Es ist schwierig, das auseinander zu halten. Man kann uns jederzeit dazu holen – das zu wissen, ist wichtig.
Haben Sie das Gefühl, dass diese Themen Tabuthemen sind?
Stefan Jansen-Haß: Es wird unserer Erfahrung nach nicht gedacht: „Da wollen wir nicht drüber reden.“ Sondern eher: „Das gibt es bei uns doch nicht.“ Wenn wir bei den Schulungen dann allerdings Übungen mit konkreten Beispielen und verschiedenen Handlungsperspektiven durchspielen, dämmert es so langsam. Und anschließend wird gesagt: „Gut, dass wir darüber gesprochen haben.“
Welche Beispiele sind das?
Stefan Jansen-Hass: Ein Beispiel: Wie kommen die Jugendliche nach der Jugendgruppe nach Hause? Die älteren Jugendlichen fahren die? Ist das denn mit den Eltern abgesprochen, akzeptiert – und liegen dafür auch Einverständniserklärungen vor?
Siggi Schneider: Es geht ja nicht darum, überall eine Gefahr lauern zu sehen, wir wollen die Menschen nicht misstrauisch gegenüber machen. Es geht darum, miteinander zu reden und sich Fragen zu stellen und zu beantworten. Ich bin erstaunt und positiv überrascht, wenn eine Stunde um ist, wie intensiv die Teilnehmenden ins Gespräch kommen. Anfänglich trauen sich die Erwachsenen nicht richtig. Die Jugendliche sind es aus der Schule gewöhnt, sich über Sexualität auszutauschen. Bei den Jugendlichen machen wir auch Rollenspiele. Ist das nur Blödsinn oder ist das sexualisierte Gewalt? Dafür müssen Grenzen gesetzt werden, aber ich muss von meinem Gegenüber auch Grenzen mitbekommen.
Stefan Jansen-Haß: Und: Wenn man eine Grenze formuliert, muss das verbal sein? Grenzen zu erkennen und zu erkennen, hier bin ich grenzenlos – das ist ein wichtiges Thema. Das hat auch Überschneidungen mit sexualpädagogischer Bildung und Rollenbildern.
Welche genau?
Stefan Jansen-Haß: Es herrscht zuweilen große Unsicherheit bei der Sicht auf sich selbst und auf andere. Hier möchten wir früher ansetzen: Was können die Jugendlichen von sich selbst erwarten und von anderen? Denn das ist die Grundlage für Prävention – leichter einen Notfall als Notfall zu erkennen. Wir gehen mit Rollenbildern sehr offen um, zum Beispiel als Junge zu erkennen: „Ich will nicht nur rummachen.“
Siggi Schneider: Wir sprechen auch über Frauen als Täterinnen. Wir setzen tradierte Männer- und Frauenbrillen gerne mal ab.
Was ist Ihnen noch wichtig?
Siggi Schneider: Die Risikoanalyse mit den Gemeinden. Es ist vernünftig, sich hier Zeit zu nehmen und Gedanken zu machen und sich in die Rolle des Täters/der Täterin hinein zu versetzen und zu überlegen, wo könnte hier was stattfinden. Das „Reindenken“ ist die halbe Prävention. Was uns persönlich sehr wichtig ist: Stefan und ich wissen sehr zu schätzen, dass wir alle finanziellen und zeitlichen Ressourcen haben, die wir benötigen. Wir bekommen Inhouse-Schulungen für uns alleine, wir haben alle Möglichkeiten zur Fortbildung, die es gibt, damit wir den Job vernünftig machen können. Ich weiß, dass dieses Thema Stadtsuperintendent Bernhard Seiger wirklich wichtig ist. Er ist an dieser Stelle wirklich großartig. Und ohne das alles könnten wir den Job auch nicht richtig machen.
Foto(s): Oliver Rindelaub