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Porträt eines Künstlers: Holger Hagedorn

„Nur wenige Objekte setzen das Wesen des Menschen, seine Sehnsüchte, Grenzen und Möglichkeiten so unmittelbar ins Bild wie der runde Tisch… In der Geschichte des Tisches gibt es interessante Aspekte: Im christlichen Kult wird die ältere Tischsymbolik des Opferblocks durch die neuere Idee der Tischgemeinschaft überhöht“. Dies schrieb Professor Dr. Friedhelm Mennekes, 1987 bis 2008 Pfarrer der Jesuitenkirche St. Peter in Köln, die er bald schon zum Zentrum für zeitgenössische Kunst und Musik machte, womit sich der Theologe Mennekes auch um die kulturelle Vermittlung zeitgenössischer Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen, Vorträgen und Künstlergesprächen verdient machte. Das Zitat steht in seinem Vorwort zu der künstlerischen „Installation zur Kommunikation“ namens „La Table Ronde“, zu der er den damals erst 31-jährigen Künstler Holger Hagedorn und dessen zwei Jahre älteren Kollegen Winfried Lucassen in die Kunststation St. Peter eingeladen hatte. Mennekes sprach dabei auch von einem „Weg vorwärts in die Zukunft, in der aus Mythos, Sage und realer Erfahrung“ nicht nur religiöse und soziale Träume entstehen“, sondern wo auch der „Weg zur Demokratie Gleicher unter Gleichen beschritten“ werden könne. Und das alles erläuterte er sozusagen anhand der Kulturgeschichte des Tisches.

Tische und Tischgemeinschaft, Glocken und Brunnen
Seiner Einführung stellte Mennekes ein Wort von Josef Beuys voran: …. „setzt euch doch alle an den großen runden Tisch, ihr alle mit euren ungeheuren Bärenkräften….“ Und damit sind – kennt man den „Runden Tisch“ von Hagedorn und Lucassen – eigentlich schon fast alle wichtigen Themen des 1965 am Niederrhein geborenen Künstlers Holger Hagedorn aus Pulheim in den Blick genommen: Die Idee zu „La Table Ronde“ entstand in der bretonischen Partnerstadt Pulheims, in Guidel – hier ging und geht es in der Kunst wie im „realen Leben“ darum, Distanzen zu überbrücken zwischen Menschen verschiedener Herkunft, unterschiedlichen Alters, diverser Anschauung oder Religion. Denn auch das macht die Bedeutung eines runden Tischs aus, wie Mennekes betonte: Von jedem Platz aus ist der Weg am Runden Tisch für jeden, der dort sitzt, zur Mitte gleich weit: „So wird jener Dialog möglich, der die dialektischen Gegensätze…. auf höherer Ebene überbrückt und vereinigt.“ Die „Idee der christlichen Tischgemeinschaft“ taucht in Hagedorns Werken immer wieder auf, die Kunststation St. Peter war die erste, aber beileibe nicht letzte Kirche, in der er ausstellte. Sein erster Tisch – genau genommen eine Installation mit vielen sehr verschiedenen Elementen und Materialien – war in seinen wichtigsten Bestandteilen aus Holz. Und das war kein Zufall: „Holzskulpturen sind seit Anfang der 90 Jahre Teil meines Oeuvres, dabei sind Eichen-, Obstbaum- und Zedernholz das häufigste Material. Elementare, archaische Formen, oft in Kombination mit Kupfer und Blei, dominieren meine Arbeiten“, sagt Hagedorn. Und auch das Motiv des Tischs wurde mehrfach variiert: Später schuf er den Brunnentisch, ein markantes und doch organisch wirkendes Kunstwerk als Brunnen auf dem Pulheimer Marktplatz, den Glockentisch vor der evangelischen Friedenskirche Sinnersdorf, über dem in einem Edelstahlturm zum Teil von Pulheimer Konfirmandinnen und Konfirmanden selbst gegossene Glocken hängen, die mindestens jeden Sonntag leise läuten. Damit werden weitere, für Hagedorns Arbeit ebenso wichtige Aspekte deutlich: Bewegung und Klang. Und nicht zuletzt die Arbeit mit Jugendlichen.

Der Künstler kurz vor der Fertigstellung des Glockenturms der evangelischen Friedenskirche.

Von Techniken und Materialien
Zwar sah es eine Zeit lang fast so aus, als wolle Hagedorn mit seinem Studium der Geologie und Kunst in die Fußstapfen seines Vaters treten, der als Sport- und Deutschlehrer unter anderem auch die deutsche „Bibel des Baskettballs“ geschrieben hat, wie sein Sohn heute sagt. Doch da gab es auch noch einen niederrheinischen Großvater, einen impressionistischen Kunstmaler, dessen Bilder zu seiner Zeit so beliebt waren, dass sie mittlerweile „auf der ganzen Welt unterwegs“ sind. Immerhin: Schon der hatte eine „ganz spezielle Spachteltechnik mit dem Küchenmesser“, erzählt der Enkel – dem die handwerklichen Anforderungen an die Kunst keineswegs gleichgültig sind. Das kann auch kaum anders sein, arbeitet er doch mit extrem vielen unterschiedlichen Materialien, selbst bei Techniken wie Videofilm, einer wilden Klangwand aus allem, was „Krach“ macht, Polyäthurenschaum, verbrannten Mülleimern oder Plastikrohren kennt er keinerlei Berührungsängste. Letzteres war bei seiner jüngsten Ausstellung – die weit über Pulheims Grenzen hinaus viel Beachtung fand – in der Friedenskirche von Sinnersdorf, namens „Korpus Delikti A57“ – zu sehen. Arbeiten aus, mit und für Metall kommen dazu, Experimente mit Plastikplanen oder Kultgegenstände wie das wunderbare Holzboot, original aus Ägypten importiert, immer wieder Steine, Wasser und Holz. Ganze Landschaftsprojekte hat er gestaltet, sogenannte Landart, allein – oder gern auch mit anderen. Zum Beispiel mit Jugendlichen.

Eine der Installationen von Korpus Delikti A57 im Garten der Sinnersdorfer Friedenskirche.

Niemals nach „Schema F“
Ihm ist selbst klar, wie schwer seine Arbeit zu fassen sein muss: „Das Besondere ist die Vielfältigkeit meiner Arbeiten, nie nach Schema F: Immer wieder wird ein neues Kapitel aufgeschlagen.“ Und doch: Es gibt „rote Fäden, Themen“, die sich durchziehen. Die Auseinandersetzung mit Josef Beuys und dessen Idee von der „sozialen Plastik“ gehört ebenso dazu wie das Nachdenken über Zahlenmystik: „Der Bereich des Menschen ist die Vier, dem Himmlischen ist die Drei zugeordnet“, sagt er beispielsweise. Auch sein Studium der Geologie beflügelt den Künstler in mancherlei Hinsicht noch heute: Während des Studiums unternahm er seine erste Reise nach Stonehedge. Diese „neolithischen Steinsetzungen“ haben ihn bis heute so wenig losgelassen wie die „Symbolik der Kelten, die Zahlenmystik des europäischen Mittelalters, die Naturverbundenheit der Indianer“ und vieles mehr. Was ihn bei all dieser Vielfalt auszeichnet, ist seine Fähigkeit, immer wieder ohne jede Voreingenommenheit auf Neues zuzugehen. Sicher sind auch darum all seine Jugendprojekte noch im Ergebnis so überzeugend und lebendig, dass man den Spaß, den die Arbeit vermutlich gemacht hat, noch heute glaubt, mit Händen greifen zu können.

Das Land-Art-Projekt KREISWALD der Künstler Holger Hagedorn und Winfried Lucassen steht in Pulheim-Stommeln.

Auseinandersetzung mit Kunst in der und für die Kirche
Und auch die Auseinandersetzung mit Religionen und Kirchräumen wurde zum stets wiederkehrenden Thema für Hagedorn. Inzwischen sogar nicht mehr allein in seiner künstlerischen Arbeit, sondern auf einer durchaus intellektuellen Ebene, direkt im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland: Gemeinden, die „was mit Kunst machen wollen, brauchen einen Leitfaden, eine Handreichung“, ist Hagedorn überzeugt. Und an solch einem Positionspapier arbeitet er zur Zeit gemeinsam mit dem landeskirchlichen „Arbeitskreis für Kunst und Kirche“ unter Vorsitz des Pfarrers und Kunstkurators für den Kunstraum Notkirche Essen-Frohnhausen, Werner Sonnenberg. Die Hauptfrage müsse dabei natürlich lauten: „Welchen Stellenwert hat Kunst in Zeiten der Sparpolitik im kirchlichen Leben?“, sagt Hagedorn, der seit zweieinhalb Jahren gemeinsam mit den Mitgliedern dieses Arbeitskreises für die Gemeinden in der Rheinischen Landeskirche darauf verbindliche Antworten zu formulieren hilft. Für ihn ist klar: „Kirche ist ein Raum mit besonderen Anforderungen“. Ein wichtiges Anliegen ist dabei für ihn die Chance, über gute, gut durchdachte Angebote an Kunst und Kultur im Gemeinde-Leben neue und andere Zielgruppen anzusprechen als bisher.

Holger Hagedorns jüngste Arbeit ist privat: Das ungewöhnliche Baumhaus ist auch von der Straße aus für Nachbarn sichtbar.

Neue Projekte – oder: von Ufos und Himmelsleitern….
Doch Hagedorns nächstes Projekt steht – im wahrsten Sinn des Wortes – bereits vor der Tür. Nämlich in seinem wunderbar wilden Garten, in dem all die Elemente seiner Arbeit versammelt sind und in wildem Einklang, keineswegs säuberlich sortiert, miteinander zu leben, zu wachsen scheinen: Der Teich und der Bambus, das ägyptische Holzboot, der riesige Haselnusszweig aus Edelmetall – der eigentlich einen Äskulapstab darstellt, aber regelrecht zu wachsen, ja, kurz vor der Blüte zu stehen scheint. Reste alter Arbeiten, Anfänge neuer, etwa das an ein Ufo erinnernde Baumhaus, das er kürzlich fertiggestellt hat, in dem seine zwei Söhne toben können und das schon mehrere positive Reaktion seitens der Nachbarn hervorgerufen hat. Darunter finden sich Fundstücke und künstlerisch bearbeitete Teile aus Holz und Metall, Reste und Riesenteile, verrostet oder poliert…. Die Besucherin ist schon im Garten so fasziniert von dieser Vielfalt, dass sie das Angebot, die Atelierräume noch anzusehen, ausschlägt.
Denn dort im Garten steht auch schon die „Himmelsleiter“, noch nicht ganz fertig, aber erkennbar deutlich. Sie wird eine wichtige Rolle spielen im Jubiläumsjahr der evangelischen Melanchthon-Akademie Köln. Deren Leiter, Dr. Martin Bock, hat Hagedorn eingeladen, in einem Winkel des Akademiegartens eine temporäre Kunst-Installation zu bauen, die zu der vielfältigen Arbeit der Akademie „Assoziationen zwischen Himmel und Erde knüpfen“ soll. Auch hier wird es wieder um Zahlen gehen, um die Drei etwa. Und um Lichtreflektionen, um die Illusion von Wasser, um Bewegung – und um Ausblicke. Da die Akademie in diesem Jahr immerhin ihr 50-jähriges Bestehen feiert, soll diese Installation auch mit deutlichen Tönen quer durch die Südstadt auf sich aufmerksam machen: Die Jubiläumsfeierlichkeiten beginnen am Donnerstag, 20. September, um 18 Uhr mit einer Klangperformance im Torbogen des Severinstors am Chlodwigplatz: mit großvolumigen Klangkörpern – bei denen der ein oder andere sicher auch aus der „Hagedorn’schen Werkstatt“ stammt – und anschließendem Umzug zur Melanchthon-Akademie im Kartäuserwall 24b. Am Wochenende danach lädt auch Hagedorns Himmelsleiter mit ihren dreizehn Stufen – „Jesus plus die 12 Jünger“, definiert der Künstler – zum luftigen Begehen, zum Zwiegespräch mit Gott, zum Ausblick in die Südstadt oder einfach zur Meditation ein. Mehr sei hier noch nicht verraten….

Der Künstler in seinem Atelier.

Weitere Informationen
Weitere Bilder und Informationen zu den Arbeiten von Holger Hagedorn, seine künstlerische Biografie etc.: hier.

Text: AlMana
Foto(s): Hagedorn, AlMana